19. Jahrgang | Nummer 16 | 1. August 2016

Ellys Masche. Und ein paar Fragen darüber hinaus

von Sarcasticus

Es muss als löblicher Dienst an der Öffentlichkeit gewertet werden, wenn mandatstragende Politikerinnen und Politiker rechtzeitig vor den nächsten Wahlen in Erinnerung bringen, dass sie – und womöglich bereits seit längerem – nicht (mehr) wählbar sind.
Renate Elly Künast, Uraltgestein von Bündnis 90 / Die Grünen, hat diesen Dienst gerade geleistet und vielleicht sogar nachhaltig, obwohl – oder besser: weil – der Anlass ein reichlich makabrer war.
Am Abend des 18. Juli ging in einem Regionalzug von Treuchtlingen nach Würzburg ein Mann mit Axt und Messer auf Mitreisende los. Vier Touristen aus Hongkong wurden verletzt, zwei davon schwer. Als der Zug zum Halten kam, floh der Täter.
In den Tagesthemen sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) gegen 22.45 Uhr, es habe sich um einen unbegleiteten 17-jährigen Afghanen gehandelt. (In den Tagen danach warf dessen Identität jedoch neue Fragen auf.) Um Mitternacht ergänzte Herrmann, dass ein Sondereinsatzkommando (SEK) den Migranten gestellt und getötet habe.
Und nur zwanzig Minuten später hat Renate Elly Künast nichts Besseres zu tun, als schon mal dringlich eine Aufarbeitung des Falls anzumahnen – und zwar der Polizeimaßnahmen, nicht der möglichen Motive des Täters oder vielleicht von dessen Umfeld. Wörtlich twitterte sie: „Wieso konnte der Angreifer nicht angriffsunfähig geschossen werden???? Fragen!“
Nach diesem Tweet ergoss sich ein Shitstorm über Künast.
Tatsächlich muss man sich fragen, was Renate Elly eigentlich bewogen haben könnte, sich ohne jegliche Detailkenntnis und praktisch noch im laufenden Geschehen zu Wort zu melden. Oder liegt die Frau einfach nur ständig, selbst um Mitternacht noch, auf der Lauer nach Themen, mit denen sie es am nächsten Morgen ins Frühstücksfernsehen oder ins Radio schaffen könnte? Und wenn ja, macht Sie das eigentlich selbst oder hat sie für kleines Geld aus ihren Abgeordnetenmitteln dafür einen Hiwi engagiert?
Bisher schon galt Künast als Rekordhalterin in einer auch bei anderen Politikern nicht unbeliebten Disziplin – der moralisierenden Vorverurteilung. Was die „Entrüstungsgeschwindigkeit“ angehe, nähme es „in der Hauptstadt mit ihr niemand so leicht auf“, konstatierte schon vor einigen Jahren der Spiegel-Kolumnist Jan Fleischhauer. Auf ihn geht auch das Künast-Label „Meisterin des Zeigefingers“ zurück. Er listete zusammen, wen alles Künast schon mal kurzerhand aus dem Amt kegeln wollte: Sie forderte den Rücktritt von Guido Westerwelle, von Wolfgang Schäuble, Cornelia Pieper, Ilse Aigner, Karl Theodor zu Guttenberg und – natürlich – Christian Wulff, von Hartmut Mehdorn, Bischof Mixa und Thilo Sarrazin. „Eigentlich fehlt in dieser Reihe“, so spöttelte Fleischhauer, „nur der Papst, aber vielleicht habe ich den in der Eile auch übersehen.“ Letzteres konnte durchaus passieren, denn wenn man zu der Zeit, als der Journalist seinen Beitrag schrieb, „Künast fordert Rücktritt“ bei Google eingab, brandeten einem 14.500 Treffer entgegen.
„Vielleicht wäre man mit Renate Künast versöhnter“, so nochmals Fleischhauer, „wenn sie die Ansprüche, die sie an andere erhebt, für sich selber gelten lassen würde. Leider gehört sie zu den Menschen, die Selbstgerechtigkeit für die höchste Form der Gerechtigkeit halten.“ Damit verkörpert diese Frau genau jenen Typus von Mandatsträgern, der zunehmend mehr Menschen erst in die Politikverdrossenheit und dann schlimmstenfalls in die Fänge von Pegida, AfD und anderen Rattenfängern am rechten Rand treibt.

P.S.: Das alles ist im Übrigen kein Grund, jeder Kritik, die sich Künast mit ihrem Tweet einfing, Beifall zu zollen. So erklärte etwa Rainer Wendt, der Chef der kleinen Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), die zum Deutschen Beamtenbund (DBB) gehört: „Zur Demokratie gehört wohl auch, daß sich Politiker mit kindlichen Fragen zu Wort melden. In einer Gesellschaft muß man solche politische Schlaumeierei als Ausdruck freier Meinungsäußerung wohl ertragen. Dieses Gerede nervt zwar, ist aber eigentlich irrelevant. Frau Künast hat schlicht keine Ahnung von Polizeiarbeit, aber da ist sie ja nicht alleine.“ Das sagte er, was schon mal ein Geschmäckle hat, der Jungen Freiheit. In der Welt war er erstens etwas gröber („parlamentarische Klugscheißerei“) und meinte zweitens: „Die Frau Künast soll nicht so viele schlechte Kinofilme gucken. Wer glaubt, wenn einer mit Axt und Messer auf die Polizei losgeht, dann fangen wir an, dem das Beil aus der Hand zu schießen – das ist wirklich ahnungslos und dumm.“
Wirklich?
War das nicht ein SEK, durch dessen Einsatz der mutmaßliche Täter zu Tode kam?
Das sind doch die besonders hart trainierten, besonders kaltblütigen Jungs.
Und die sollen nicht in der Lage gewesen sein, einen ausgeflippten Jugendlichen kampfunfähig zu machen?
Durch ein Projektil ins Bein zum Beispiel?
Die mussten ihn – und dann auch noch mit mehreren Schüssen – final platt machen?
(By the way – ein toter Täter erspart langfristige Ermittlungen mit gegebenenfalls ungewissem Ausgang und einen öffentlichen Prozess.)
Aber auch andere Fragen zu dem Zwischenfall in Würzburg werden ja offiziell nicht gestellt. Etwa wie logisch es ist, dass jemand, der in angeblich seinem ISIS-Bekennervideo denen blutige Rache schwört, „die in unsere Länder kommen und unsere Männer, Frauen und Kinder töten“, ausgerechnet Asiaten angreift. Bekanntlich ist kein fernöstliches Land an der Anti-ISIS-Koalition beteiligt …