von Alfons Markuske, zz. Bologna
Bologna, mit knapp einer halben Million Einwohner die Hauptstadt der Emilia-Romagna in der Ebene des Po, ist ein Ort der Kolonnaden, der Laubengänge, also der überdachten Gehsteige – mal funktional schlicht, aber auch mit opulenten Säulen und wuchtigen Kasettendecken. Über 40 Kilometer davon soll es im innerstädtischen Bereich geben, und selbst das einige Kilometer außerhalb gelegene Heiligtum der Madonna von San Luca, eine Basilika, ist über einen durchgehenden Gang mit 666 Arkaden, den zwischen 1674 und 1793 errichteten Portico di San Luca, stets trockenen Fußes zu erreichen.
Zu danken haben Einwohner und Touristen diese insbesondere bei heftiger Sonneneinstrahlung, aber auch bei Regen komfortable Eigenheit einem Phänomen, dessen bloße Erwähnung in Deutschland vielen bereits die Zornesröte auf die Wangen treibt – nämlich der Steuergesetzgebung. Vor Jahrhunderten erhob die Stadt Abgaben auf jeden Quadratmeter bebauten Grund und Bodens. Da kamen Pfiffikusse auf folgende Variante der (legalen) Steuerverkürzung: Sie errichteten einen Teil ihrer Gebäude oberhalb eines Laubenganges, so dass der Obolus statt auf die gesamte Grundfläche dieses Hausbereiches nur noch auf die gering dimensionierten Flächen für Stützpfosten und Säulen anfiel. Heute geben diese Kolonnaden der Altstadt ihr einzigartiges Gepräge – mit Architekturzeugnissen aus über 700 Jahren. Die ältesten noch erhaltenen Beispiele stammen aus dem 13. Jahrhundert, und ihren äußerst massiven Holzkonstruktionen sind die Jahre deutlich anzusehen.
Darüber hinaus trägt die Stadt eine Reihe von Beinamen, die jeweils auf Charakteristika dieser mediterranen Metropole verweisen.
Bologna, la rossa – die Rote. Wegen der im historischen Stadtkern allgegenwärtigen Backsteinarchitektur. Patrizier-, Bürger- und andere Häuser, Kirchen, Paläste, Theater – alles Backstein auf Backstein gemauert. Wer Geld hatte und das zeigen wollte, ließ eine Marmorfassade davor setzen, und wenn dann das Geld nicht reichte oder die Zeitläufte sich änderten, dann überdauerte das Gebäude das nächste halbe Jahrtausend gegebenenfalls auch mit halbfertiger Fassade. Wie im Falle der Basilika San Petronio, der auf das Jahr 1390 zurückgehenden Hauptkirche Bolognas, die die Piazza Maggiore im Zentrum der Stadt beherrscht. Sie ist die fünftgrößte Kirche weltweit und mit fast 260.000 Kubikmeter umbauten Raumes (Länge 132 Meter, Breite 60 Meter, Gewölbehöhe 45 Meter) die größte Backsteinkirche überhaupt. Dabei hatte der Plan der Bologneser insgesamt eine Länge von 270 Metern vorgesehen, doch dies sprach sich vorzeitig bis zum damaligen Papst herum, der erfolgreich intervenieren konnte, weil Bologna damals zum Vatikanstaat gehörte. Anderenfalls wäre San Petronino größer geworden als die Peterskirche in Rom, und das ging natürlich gar nicht. Trotzdem reichte es zum Ruhm weit über die Stadtmauern hinaus. Karl V., der bekanntlich von sich behaupten konnte, dass in seinem Reich niemals die Sonne unterging, wählte San Petronino für seine Kaiserkrönung durch Papst Clemens VII. im Jahre 1530. – Gegenüber San Petronino der Palazzo Nuovo, natürlich aus Backstein, der über 22 Jahre als Gefängnis für einen König (von Sardinien) diente. Der hörte auf den schönen deutschen Namen Heinz (italienisch: Enzo), war der (uneheliche) Lieblingssohn des Stauferkaisers Friedrich II. und geriet am 26. Mai 1249 bei der Schlacht bei Fossalta in Bologneser Gefangenschaft. Es gelang dem Papa bis zu seinem eigenen Ableben 1250 nicht, den Spross wieder freizubekommen, denn die Kommune der Stadt hatte beschlossen, Heinz lebenslang gefangen zu halten – um die Unabhängigkeit und Stärke Bolognas zu demonstrieren. Heinz gebrach es der Überlieferung zufolge im Palazzo an nichts. Außer an fehlender Freiheit, was er unter anderem in melancholischen Versen über sein Schicksal sublimierte. Die Stadt richtete ihm schließlich ein ehrenvolles Begräbnis aus und nennt den „Kerker“ ihm zum Gedenken bis heute Palazzo Re Enzo. – Tja, und die Sache mit den Backsteinen hat eine ganz natürliche Bewandtnis. Die Po-Ebene besteht aus Schwemmsand. Da kommt Naturstein zum Bauen praktisch nicht vor, aber Material zum Ziegelbrennen im Überfluss. – Bologna, la rossa im Übrigen auch, weil die Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg insgesamt 54 Jahre lang von der IKP regiert wurde. Davon zeugt unverändert unter anderem die Via Stalingrado.
Bologna, la turrita – die Turmreiche. Wegen der vielen Kirch- und Geschlechtertürme. Alle im Wesentlichen aus Backstein. Als eigentliches Wahrzeichen der Stadt gelten dabei die beiden nebeneinander stehenden schiefen – Schwemmsand ist nachgiebig! – Türme Asinelli (knapp 100 Meter hoch, Neigung 2,20 Meter) und Garisenda (noch 48 Meter hoch, Neigung 3,20 Meter), benannt nach den Familien, die sie zwischen 1109 und 1119 errichten ließen. Garisenda hat es gar zu literarischem Weltruhm gebracht, durch mehrfache Erwähnung in Dantes „Göttlicher Komödie“. Solche Geschlechtertürme – bis zu 180 davon soll es gegeben haben, was der Stadt bereits im Mittelalter eine Skyline verlieh, von der selbst Manhattan bis Anfang des 20. Jahrhunderts nur träumen konnte – dienten wahrscheinlich als Verteidigungsbastionen reicher Familien gegen feindliche Geschlechter und als Ausfallbasis für eigene Angriffe. Aber nur in ihren untersten Bereichen, wobei die Unterkünfte für das Gesinde und das Vieh oberhalb der Wohnräume der Herrschaftsfamilie platziert waren. Der übergroße Rest der Türme war reiner Protz: Wir können mindestens genauso hoch wie (besser: noch etwas höher als) ihr!
Bologna, la dotta – die Gelehrte. Wegen ihrer Wissenschafts- und Bildungstradition, von der vor allem die bereits 1088, zunächst als Schule des Rechts gegründete älteste Universität Europas zeugt. Heute mit etwa 100.000 Studenten an 23 Fakultäten die drittgrößte Italiens. Dort studierten bereits Dante und Petrarca, und berühmte Professoren aus jüngerer Zeit hießen zum Beispiel Umberto Eco und Romano Prodi. Die öffentliche Besoldung des Lehrkörpers reicht bis 1350 zurück. (Zuvor waren die Professoren von den Studenten bezahlt worden.) Und ein Zusammenschluss deutscher Studenten in Form einer „Natio Germanica Bononiae“ ist schon im 15. Jahrhundert nachweisbar. Das beeindruckendste historische Gebäude Bolognas ist zweifellos der zweigeschossige Palazzo dell’Archiginnasio, Sitz der Universität zwischen 1563 und 1803 und ebenfalls direkt an der Piazza Maggiore gelegen. Im Erdgeschoss trifft man zunächst auf eine mächtige Freskenwand mit über 6.000 Wappen von Studenten und mit Inschriften zu Ehren von Professoren. Die hat das Verdikt der republikanischen Regierung von 1797, die Bemalung zu zerstören, ebenso überlebt wie amerikanische Bombentreffer im Zweiten Weltkrieg. Im Obergeschoss ist ein ehemaliger Studiensaal zu besichtigen, der Sala dello Stabat Mater, so benannt zur Erinnerung an den 18. März 1842, als an dieser Stelle die italienische Uraufführung des Stabat Mater von Rossini stattfand. Wenn man sich, nachdem man diesen Saal betreten hat, rechts hält, gelangt man ziemlich am Ende des Raumes an eine seitliche Tür. Sollte diese offen stehen, gibt sie den Blick auf die benachbarte wundervolle Bibliothek preis. Vor allem berühmt ist der Archiginnasio jedoch wegen seines 1637 errichteten Teatro anatomico – eines in Amphitheaterform angelegten Anatomiesaales mit Holzverkleidung und nahezu lebensgroßen Statuen berühmter Ärzte. 1944 nach Bombentreffern eingestürzt, wurde dieses Kleinod der Wissenschaftsgeschichte später vollständig restauriert.
Bologna, la grassa – die Dicke. Wegen der vielfältigen und vor allem üppigen Bologneser Küche. Wie üppig die ist, kann jeder, der sich eine Weile dort aufgehalten hat, anschließend unschwer beim Gang auf die Waage feststellen. Die Stadt reklamiert nicht nur die Erfindung der Mortadella für sich, auch großartige Rezepte stammen von hier – etwa für Lasagne oder für Tortelloni, jene mit Fleisch oder Gemüse oder beidem gefüllten Nudeln, die dem Nabel der Venus nachgebildet sein sollen. Und um nochmals auf den Torre Garisenda zurückzukommen: Der soll nur deswegen so schief stehen, damit er in die duftenden Kochtöpfe der Altstadt hineinschnuppern kann. Beim Auffinden eines „authentischen“ Restaurants übrigens können die in Deutschland Kultstatus genießenden Spaghetti bolognese sehr hilfreich sein: Wo man die auf der Speisekarte findet, kann man ziemlich sicher sein, in einer Touristenfalle zu sitzen. Denn in Bologna heißt die betreffende Fleischsoße zum einen ragú alla bolognese und wird zum anderen zu einer Sorte Pasta in gar keinem Fall gereicht – zu Spaghetti. Mit Tagliatelle, ja, mit Makkaroni, zur Not, in der Lasagne, gewiss. Aber nie mit Spaghetti, weil die sich mit dieser Soße nicht verbinden können…
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