von Herbert Wulf
Es war am 4. April 2016. Der „geliebte Führer“ Kim Jong-un ließ der US Regierung über die nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA mitteilen, mit einem Raketenangriff werde man „die Zitadelle der Aggression in einem Schlag“ auslöschen können. Seit Anfang des Jahres macht Nordkorea wieder Schlagzeilen: Anfang Januar ein Atomtest, im Februar der Test einer landgestützten Langstreckenrakete, Androhung von präemptiven Nuklearschlägen gegen die USA sowie Südkorea und dieser Tage der erste Unterwasserstart einer U-Boot-gestützten Trägerrakete. Die jüngsten Verbalinjurien Nordkoreas sind eine Reaktion auf die größten je abgehaltenen Manöver der USA und Südkoreas, aber auch auf die Verabschiedung verschärfter Sanktionen durch den UN-Sicherheitsrat am 2. März 2016 in Gestalt der Resolution 2270. Seither vergeht kaum ein Tag, an dem es keine offenen oder versteckten Drohungen der Konfliktparteien gibt.
Was ist das Ziel der UN-Sanktionen und wie wirksam sind sie?
Das erklärte Hauptziel ist der Stopp des nordkoreanischen Atomwaffenprogramms. Doch nach allen bisherigen Erfahrungen wird sich die Regierung Nordkoreas vom weiteren Ausbau seiner Nuklearfähigkeiten vermutlich auch durch die neuerlich verschärften Sanktionen nicht abhalten lassen. Denn alle Versuche, Druck durch wirtschaftliche Sanktionen auf die Regierung in Pjöngjang auszuüben, führten in der Vergangenheit eher zu dortigen Trotzreaktionen und zu verstärkten wissenschaftlichen und militärischen Anstrengungen.
Ein zweites Ziel – in den UN-Sanktionen nicht explizit erwähnt – ist eine politisch-diplomatische Bestrafung der nordkoreanischen Regierung. Diese klare und eindeutige internationale Reaktion ist mit der Resolution des UN-Sicherheitsrates vom 2. März 2016 zweifellos gelungen. Denn die Resolution wurde nicht nur einstimmig vom Sicherheitsrat verabschiedet; sie wurde auch von den USA und China gemeinsam eingebracht. Dies ist eine neue Situation, denn Beijing hat in der Vergangenheit oft schärfere Sanktionen blockiert, indem es seine schützende Hand über das Regime in Nordkorea gehalten hat, und das Land wirtschaftlich unterstützt. Die Nahrungsmittel- und Energielieferungen Chinas waren zur Verhinderung eines Wirtschaftskollapses essentiell.
Schließlich gibt es ein drittes Ziel der Sanktionen: Der Druck auf die nordkoreanische Regierung soll diese dazu bewegen, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Betrachtet man die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte, so ist dieses Ziel nicht völlig unrealistisch; denn die verschiedenen Regierungen der Kim-Dynastie haben oft zwischen Bereitschaft zu Gesprächen über Rüstungskontrollabkommen und schroffer Ablehnung geschwankt.
Was hat Nordkorea durch die verschärften Sanktionen vom März 2016 zu befürchten und wie realistisch ist deren Durchsetzung? Alle Mitgliedsländer der UNO sind verpflichtet, auf ihrem Territorium die Ein- und Ausfuhren Nordkoreas zu kontrollieren. Dies war bisher nur der Fall, wenn der Verdacht auf für das Waffenprogramm relevante Lieferungen bestand. Jetzt wird Nordkorea abgeschnitten vom Import von Flug- und Raketentreibstoff; der Handel mit Waffen ist verboten, ebenso Rohstoffgeschäfte gegen Devisen, außer für humanitäre Zwecke. Nordkoreanische Diplomaten werden ausgewiesen, wenn sie Sanktionen verletzen.
Der Sicherheitsrat greift damit auf sein Sanktions-Instrumentarium zurück, das bereits in vielen anderen Fällen (wie Irak, Iran, Libyen) angewendet wurde, zieht die Schraube aber deutlich härter an als bisher. Der Rat nimmt mehrfach Bezug auf seine Resolution 1718 aus dem Jahr 2006 und bestätigt, dass er Nordkoreas Nuklear- und Raketentests als Bedrohung für den Frieden ansieht. Die Sanktionen aus dem Jahr 2006 und deren strikte Anwendung werden signifikant verschärft. Seitenlang listet Resolution 2270 Maßnahmen auf, die alle UN-Mitgliedstaaten befolgen sollen. Dabei geht es um schwarze Listen mit Reiseverboten und das Einfrieren ausländischen Vermögens von Personen aus der nordkoreanischen Elite sowie nordkoreanischer Organisationen wie Handels- und Schifffahrtsgesellschaften, Banken; es geht um Einschränkungen für das Ministerium für Atomenergie, die Munitionsindustrie, die Entwicklungsgesellschaft für Luftfahrt und wirtschaftliche Planungskomitees, sofern sie im Atomrüstungs- oder Raketenprogramm involviert sind. Im Anhang der Resolution werden 31 nordkoreanische Schiffe mit Namen und internationaler Registrierungsnummer genannt, um jeglichen Handel zu unterbinden, der für das nordkoreanische Waffenprogramm nützlich sein könnte. Schließlich wird der Handel mit Luxusgütern sanktioniert.
Zweifelsohne haben schon die früheren Sanktionen Nordkoreas wirtschaftliche Entwicklung behindert, nicht aber das Atomprogramm aufgehalten. Weil die nordkoreanische Regierung selbst die Isolation gewählt und auf Autarkie gesetzt hat, waren die Außenhandelsbeziehungen vergleichsweise gering. Daher konnten Sanktionen von außen so wenig bewirken.
Darüber hinaus waren bislang zwei weitere Gründe für die begrenzte Wirksamkeit der Sanktionen entscheidend: Erstens hat China (und auch Russland) eine andere Strategie verfolgt als beispielsweise die USA, Südkorea, Japan oder auch die EU. Während die westliche Staatengruppe auf Sanktionen und Isolierung Nordkoreas setzte (und auch auf einen Zusammenbruch des Kim-Regimes hoffte), verfolgten Beijing und Moskau eine Strategie der Einbindung. Immer wieder ermunterte die chinesische Regierung Nordkorea zu wirtschaftlichen Reformen, chinesische Firmen investierten kräftig und Russland baute an der russisch-nordkoreanischen Grenze die Infrastruktur aus, um erweiterten Handel zu ermöglichen.
Mit Resolution 2270 vom 2. März 2016 hat sich nun nicht nur die Reichweite der Sanktionen erweitert, auch das Verhältnis Chinas zu Nordkorea scheint eine neue Qualität zu erhalten. China ist auf keinen Fall bereit, das nordkoreanische Atomprogramm zu tolerieren, fürchtet man doch in Beijing einen Dominoeffekt. Würde Nordkorea seine Atomwaffen behalten, das Programm weiter ausbauen oder gar als Atommacht international anerkannt werden, würden vermutlich Südkorea und auch Taiwan sowie Japan ebenfalls den Atommachtstatus anstreben – ein Horrorszenario nicht nur für Beijing. China wird also Maßnahmen ergreifen, um die Regierung in Nordkorea möglichst über Verhandlungen zu einem Verzicht zu bewegen. Das war zwar auch schon früher das erklärte Ziel der chinesischen Regierung, doch mit der Verabschiedung der jetzigen UN-Sanktionen scheint China eine härtere Gangart gegenüber Nordkorea zu wählen.
Der zweite Grund für die nur begrenzte Wirksamkeit der Sanktionen im letzten Jahrzehnt waren Nordkoreas Möglichkeiten der Umgehung. Pjöngjang hat sich als Meister des Ausnutzens von Schlupflöchern erwiesen. Trotz der Sanktionen gelang es der nordkoreanischen Regierung, Devisen zu erwirtschaften um damit für das Nuklearprogramm notwendige Technologie zu importieren. Durch die Veröffentlichung der Panama Papers ist jetzt bekannt geworden, dass Nordkoreas Daedong Credit Bank ebenfalls Kunde der panamaischen Anwaltskanzlei Mossack Fonseca war. Die Kanzlei hatte im Jahr 2006 eine Firma namens DCB Finance Ltd. auf den Britischen Jungferninseln etabliert, die auf den Nordkoreaner Kim Chol-Sam und den britischen Banker Nigel Cowie registriert wurde. Cowie hatte seit etwa zehn Jahren in Nordkorea gelebt. Seit 2013 wurden die beiden Firmeninhaber von US-Behörden sanktioniert, weil sie bei der Finanzierung des Raketenprogramms eine zentrale Rolle gespielt hatten. Schon zuvor hatte das US Treasury Department DCB Finance beschuldigt, Finanztransaktionen mit Nordkorea zu tätigen
Die entscheidenden Fragen für das Funktionieren der UN-Sanktionen lauten: Wird China tatsächlich Ernst machen und den Druck auf Nordkorea erhöhen und werden die Panama Papers dazu führen, Schlupflöcher zu schließen? Oder bleibt die offensichtlich gewordene Schattenwelt der internationalen Finanzen weiterhin auch für Nordkorea als Möglichkeit zur Umgehung der UN-Sanktionen offen?
Schlagwörter: Atomwaffen, Herbert Wulf, Mossack Fonseca, Nordkorea, Panama Papers, UN-Sanktionen