19. Jahrgang | Nummer 12 | 6. Juni 2016

„Drehscheibe“ Kasachstan

von Hubert Thielicke

Im 25. Jahr seiner Unabhängigkeit aktiviert Kasachstan seine Außenpolitik, will die Eurasische Wirtschaftsunion voranbringen, die Beziehungen mit der EU ausbauen und kandidiert für einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Gerade angesichts der aktuellen Probleme in der Weltwirtschaft ist die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) von besonderer Bedeutung für das Land. Der diesjährige EAWU-Vorsitz von Präsident Nursultan Nasarbajew soll genutzt werden, um die Rolle der Wirtschaftsunion als Brücke zwischen der EU und Asien, insbesondere China, zu entwickeln. Dafür werden vor allem zwei Hauptrichtungen gesehen: Erstens sollen die Institutionen der erst etwas mehr als ein Jahr alten Vereinigung gestärkt werden. Neben den Gründerstaaten Belarus, Kasachstan und der Russischen Föderation gehören ihr nun auch Armenien und Kirgistan an. Derzeit wird das Sekretariat der Eurasischen Wirtschaftskommission erweitert, dessen Vorsitz turnusgemäß für drei Jahre der ehemalige armenische Ministerpräsident Tigran Sarkisjan übernommen hat. Zweitens will man die Wirtschaftsbeziehungen der EAWU mit anderen Staaten und Vereinigungen ausbauen. Nach dem Abschluss des Freihandelsabkommens mit Vietnam im vergangenen Jahr wird nun mit weiteren Staaten verhandelt; etwa 40 sollen bereits Interesse an engeren Beziehungen mit der EAWU signalisiert haben. Von besonderer Bedeutung ist die Zusammenarbeit mit anderen wichtigen Integrationsprojekten, insbesondere der EU. Die Union ist für Kasachstan mit 50 Prozent des Handelsvolumens der weitaus größte Wirtschaftspartner. Erst 2015 schloss es mit der EU ein umfassendes Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit. Als im Herzen Eurasiens gelegenes Land ohne Zugang zum Meer misst Kasachstan dem chinesischen Infrastrukturprojekt „Neue Seidenstraße“ große Bedeutung zu. Vor allem geht es um den Ausbau der Autostraßen und Schienenwege in Zentralasien, aber auch um die Verkehrsverbindungen zu den Häfen an der Ostsee, am Pazifik und am Indischen Ozean. Als „Drehscheibe“ in Eurasien kann Kasachstan eine wichtige Rolle spielen.
In der UN-Generalversammlung initiierte Kasachstan im letzten Jahr eine Deklaration über eine kernwaffenfreie Welt und unterstrich damit erneut seine Rolle als Vorreiter einer Nuklearabrüstung in Asien. So schloss es vor 25 Jahren nicht nur das weltweit größte Nukleartestgelände in Semipalatinsk, sondern liquidierte auch das von der Sowjetunion überkommene viertgrößte Kernwaffenarsenal und trug maßgeblich zum Zustandekommen der kernwaffenfreien Zone in Zentralasien bei. Als wesentlicher Erfolg wird hervorgehoben, dass in den letzten beiden Jahren alle fünf dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NPT) angehörenden Kernwaffenstaaten das Protokoll zum Vertrag über die kernwaffenfreie Zone unterzeichnet und – bis auf die USA – auch ratifiziert haben. Gemeinsam mit Japan setzt sich Kasachstan derzeit als Kovorsitzender einer Konferenz zum Kernwaffenteststoppvertrag für das baldige Inkrafttreten des vor nunmehr 20 Jahren geschlossenen Abkommens ein, das aber wichtige Staaten wie die USA und China immer noch nicht ratifiziert haben. Als größter Uran-Exporteur spielt Kasachstan zudem eine wichtige Rolle bei der Nichtverbreitung von kernwaffenfähigen Materials, insbesondere auch durch die auf seinem Territorium in Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) eingerichtete Internationale Bank für niedrig angereichertes Uran. Durch ihre Vermittlungstätigkeit bei den Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm – in Almaty fanden zwei Gesprächsrunden zwischen Iran und der P5+1-Gruppe statt – leistete die Diplomatie Kasachstans einen Beitrag zur Wiener Vereinbarung mit Teheran und damit auch zur Stärkung des Vertrages über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (NPT).
Ein Prioritätsziel Kasachstans ist in diesem Jahr die Wahl zum nichtständigen Mitglied des UN-Sicherheitsrates für die Periode 2017-2018. Konkurrent im Bemühen um den Sitz der asiatisch-pazifischen Regionalgruppe ist Thailand. Während Bangkok aber bereits 1985-1986 dem Gremium angehörte, war die Region Zentralasien, und damit auch Kasachstan, noch nie im Sicherheitsrat vertreten. Wie kein anderes Land der Region hat sich Kasachstan jedoch für regionale und globale Sicherheit eingesetzt. Mit seinem Engagement zur Lösung des Afghanistankonflikts, zur Vertrauensbildung in Asien und zur Stärkung der OSZE stellte es unter Beweis, dass es in der Lage ist, seinen Beitrag zur Erhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne der UN-Charta zu leisten.
Ein zentrales Vorhaben Kasachstans ist die in Astana geplante EXPO 2017. Erstmals findet die Weltausstellung in einem postsowjetischen Land statt, während es das russische Jekaterinburg bei der Bewerbung um die EXPO 2020 zwar bis in die letzte Runde schaffte, schließlich aber Dubai den Vortritt lassen musste. Kasachstan hat für die EXPO das anspruchsvolle Thema „Energie der Zukunft“ gewählt. Bis Ende dieses Jahres sollen die Ausstellungspavillons stehen, so dass die teilnehmenden Länder Anfang 2017 mit der Innengestaltung entsprechend ihrer nationalen Schwerpunkte beginnen können. Den Hauptthemen „Reduzierung der CO2-Emissionen“, „Energieeffizienz“, „Energie für alle“ und „Welt der Energie“ werden spezielle Pavillons gewidmet. Insgesamt rechnet man mit 100 Teilnehmerstaaten und etwa zwei Millionen Besuchern, davon rund 15 Prozent aus dem Ausland, insbesondere aus dem GUS-Raum und China, aber auch aus Europa, der Türkei und den USA.
Unweit vom EXPO-Gelände zeigt das Hauptquartier des nationalen Kosmos-Unternehmens dass das junge Land durchaus in der Lage ist, moderne Großprojekte umzusetzen. Neben dem gemeinsam mit Russland betriebenen weltgrößten Kosmodrom Baikonur ist das Land dabei, ein eigenes Weltraumprogramm zu realisieren, vor allem in Zusammenarbeit mit Unternehmen aus Russland, Deutschland, den USA, Großbritannien, und Frankreich. Schwerpunkte sind kosmische Systeme zur Erdfernerkundung und zur Satellitennavigation. Der Erdfernerkundung dienen zwei 2014 gestartete Satelliten, die vom internationalen Konzern Airbus Defence and Space gebaut wurden. Für Ende dieses Jahres ist der Start eines selbst projektierten und gebauten Satelliten für wissenschaftlich-technische Zwecke geplant, dem bis 2018 ein Radarsatellit zur Erdfernbeobachtung folgen soll.