von Edgar Benkwitz
Kein Land in Asien steht gegenwärtig vor einer interessanteren Entwicklung als Myanmar, das frühere Burma. Erst vor wenigen Wochen, am 30.März, endete nach über fünfzig Jahren die Herrschaft der Militärs. Eine demokratisch legitimierte Regierung übernahm die Staatsgeschäfte. Die erste Amtshandlung der neuen Regierung war die Freilassung einer großen Gruppe Studenten, die seit einem Jahr wegen Teilnahme an einer Demonstration inhaftiert waren. Und die letzte Amtshandlung der alten Regierung war die Aufhebung des von ihr verhängten Ausnahmezustandes in der Unruheprovinz Rakhaing, wo die muslimische Minderheit der Rohingyas den Gewalttaten chauvinistischer Buddhisten ausgesetzt ist.
Die demokratische Öffnung Myanmars ist ohne Aung San Suu Kyi nicht denkbar. Die Tochter des burmesischen Nationalhelden Aung San, der 1947 kurz vor der Unabhängigkeit Burmas ermordet wurde, konnte trotz vieler Repressalien durch die Militärführung nicht zum Schweigen gebracht werden. Der überwältigende Wahlsieg für ihre Partei bei den Parlamentswahlen Ende des letzten Jahres machte endgültig den Weg für eine demokratische Gestaltung der burmesischen Gesellschaft frei.
Suu Kyi trägt nun das erste Mal Regierungsverantwortung. Doch trotz ihres Ansehens kann sie das höchste Amt im Staat nicht bekleiden. Das verhindert die von den Militärs geschaffene Verfassung. Trotzdem wurden Wege gefunden, ihren Einfluss auf die Gestaltung der Politik und die Entwicklung des Landes geltend zu machen. Ihr enger Vertrauter, Htin Kyaw, wurde Ende März vom Parlament zum Präsidenten gewählt und ist damit auch der Regierungschef. Frau Suu Kyi nimmt in der neuen Regierung vier Ämter wahr: die Portfolios für Außenpolitik, Energie und Bildung sowie die Leitung des Büros des Präsidenten. Hinzu kommt die für sie neu geschaffene Funktion des State Counselor, des Staatsberaters. Das Gesetz, das dazu von beiden Kammern des Parlaments angenommen wurde, bevollmächtigt sie, offiziell mit dem gesamten Regierungsapparat zusammenzuarbeiten; dem Parlament gegenüber ist sie rechenschaftspflichtig. Diese Funktion – so die Kommentare der Weltpresse – entspricht der eines Ministerpräsidenten. Suu Kyi kann damit ihre Vorstellungen auf alle Ministerien übertragen und die Regierungspolitik koordinieren.
Es wird sich zeigen, wie durch diese Maßnahme das Verhältnis zwischen den zivilen und den militärischen Kräften belastet wird. Noch sind die Militärs einflussreich. In der neuen Regierung besetzen sie drei wichtige Ministerien: Verteidigung, Inneres und Grenzangelegenheiten. Auch der 1.Vizepräsident ist ein Militär. Im Verteidigungs- und Sicherheitsrat sicherten sie das Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten: Sechs von elf Mitgliedern sind Militärs. Schließlich bestimmt die Verfassung, dass für die Streitkräfte ein Fünftel der Parlamentssitze reserviert ist. Damit können Verfassungsänderungen blockiert werden.
Die Parlamentsdebatte um die neu geschaffene Funktion des Staatsberaters wurde denn auch kontrovers geführt. Die Abgeordneten der militärischen Fraktion bezeichneten die Maßnahme als gegen die Verfassung gerichtet und boykottierten die Abstimmung. Beobachter sehen darin den ersten größeren Zusammenstoß zwischen ziviler und militärischer Führung.
Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie sich in Zukunft die Machtverhältnisse in Myanmar gestalten werden. Bleibt es bei der gegenwärtigen Machtaufteilung oder werden die demokratischen Kräfte versuchen, längerfristig die Mitbeteiligung der Streitkräfte am politischen Geschehen des Landes weiter einzuschränken oder ganz zu eliminieren? Letzteres kann jedoch nur über eine Verfassungsänderung erreicht werden. Der Armeechef machte kürzlich klar, dass das Militär auf keinen Fall auf seine garantierten Sonderrechte verzichten wird. Myanmar wird also in absehbarer Zeit mit zwei Machtzentren leben müssen. Von der Gestaltung eines einvernehmlichen Verhältnisses zwischen ihnen dürfte die weitere Entwicklung des Landes abhängen, es gibt nur die Wahl zwischen Kooperation und Konfrontation. Ein ernsthafter Konflikt zwischen beiden würde das Land in seiner Entwicklung zurückwerfen und die Instabilität des Landes fördern.
Doch vorerst dürften beide Machtzentren in Myanmar kein Interesse an größeren Konflikten haben. Zu groß sind die Aufgaben, die vor dem Land stehen und die nur durch gemeinsames, abgestimmtes Handeln gemeistert werden können. Der neue Präsident des Landes nannte als vorrangige Aufgabe die Befriedung der zahlreichen ethnischen und regionalen Konflikte, die für die Integrität Myanmars eine ernste Gefahr darstellen. Im Land gibt es weit über einhundert ethnische Minderheiten, einige verfügen über bewaffnete Rebellenarmeen. Ihre Forderung nach Autonomie wurde bisher meist mit Waffengewalt niedergeschlagen, nur mit einigen größeren bewaffneten Gruppen gibt es einen Waffenstillstand. Fortschritte auf diesem Gebiet stärken die Stabilität des Landes und sind der Schlüssel für die Lösung anderer dringender Probleme. Auch der Konflikt mit der muslimischen Minderheit der Rohingyas, die seit Generationen im Südwesten des Landes leben, aber denen die Staatsbürgerschaft verweigert wird, harrt der Lösung. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass Myanmar zu den ärmsten Ländern der Welt gehört. Nach dem UNDP-Index belegt das Land von 187 gelisteten Ländern Platz 150 und befindet sich damit in der Nachbarschaft von Nepal und Afghanistan. Weitere wichtige Themen, die auf die Tagesordnung der neuen Regierung gehören, sind das Vorgehen gegen die enorme Korruption und der Kampf gegen den illegalen Rauschgiftanbau und -handel. Erfolge auf diesen Gebieten sind wichtig für ausländische Finanzgeber und deren dringend benötigte Investitionen. Es ist aber auch ein hochbrisantes Thema, denn mit Rauschgift und Korruption sind Teile der Militärelite verbunden.
In den Jahren der Militärherrschaft war Myanmar außenpolitisch weitgehend isoliert. Erst als die Generäle den „Fahrplan zur Demokratie“ beschlossen und einige von ihnen die Uniform ablegten und eine halbzivile Regierung bildeten, wuchs das Interesse, vor allem der westlichen Welt. Nur der große Nachbar China und mit einigen Vorbehalten die ASEAN-Staaten, hatten zu den Generälen gehalten. China war denn auch der größte Handelspartner und Investor. Doch mit der Wiederbelebung der Beziehungen zur westlichen Welt verlor das Verhältnis zu China seine vorrangige Bedeutung. Das Investitionsklima für China wurde rauer. Sichtbares Zeichen dafür ist der Baustopp für den gigantischen Myitse-Staudamm, der 2011 durch den damaligen Präsidenten verhängt wurde. Im Land machte sich eine antichinesische Stimmung breit, die bis heute anhält. Nicht überraschend ist daher, dass nur zwei Tage nach der Regierungsbildung als erster ausländischer Besucher der Außenminister Chinas in Myanmars Hauptstadt vorsprach. Neben den Glückwünschen für die neue Regierung wurden auch die Probleme in den Beziehungen angesprochen, wie die großen finanziellen Verluste durch verhängte Investitionsstopps sowie der Konflikt mit den ethnischen Chinesen im Kokang-Grenzgebiet.
Die neue Regierung Myanmars ist erst seit einigen Wochen im Amt. Noch fehlen größere programmatische Festlegungen, nach denen sich die Politik des Landes richten kann. Bei der Vielzahl und des Umfangs der anstehenden Probleme ist es beinahe vermessen, nur von den Mühen der Ebenen zu sprechen, die von den Regierenden gemeistert werden müssen.
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