von Uwe Feilbach
Am 20. März wird im Iran und in Afghanistan mit dem Nouruz-Fest der Beginn des Sonnenjahrs der Hedschra 1395 gefeiert. Das persische Sonnenjahr ist um elf Tage länger als das islamische Mondjahr, die Zählung der Jahre richtet sich aber wie beim islamischen Kalender nach der Hedschra, der Auswanderung des Propheten Muhammad von Mekka nach Medina. Der afghanische Kalender entspricht dem iranischen, mit dem Unterschied, dass hier die Monate die arabischen Namen für die Tierkreiszeichen tragen. So beginnt das Kalenderjahr mit dem Monat „Hamal“ (Widder) und endet mit dem Monat „Hut“ (Fische).
Da das iranische Sonnenjahr mit der Frühlings-Tagundnachtgleiche beginnt, feiern die Iraner am 1. Farwardin, der dem 20. beziehungsweise 21. März unseres Kalenders entspricht, gleichzeitig mit dem Beginn eines neuen Jahres auch den Frühlingsanfang, das Erwachen der Natur. Demgemäß wird dieses Fest als ein ausgelassenes Fest der Lebensfreude gefeiert, und alle Bestrebungen der islamischen Geistlichkeit, dieses tief in der nationalen Tradition der Iraner und der mit ihnen verwandten Völker verwurzelte Fest zu verbieten oder seinen Charakter zu verfälschen, sind gescheitert.
Das Nouruz-Fest hat zwar seinen Ursprung in der zoroastrischen Religion, wird aber heute von Angehörigen verschiedenster Religionen und Weltanschauungen gefeiert. Es hat eine lange, bis weit in die Antike zurückgehende Tradition. Der Legende nach, wie sie im Schahnameh, dem iranischen Nationalepos überliefert ist, wurde das Nouruz-Fest von dem mythischen König Dschamschid gestiftet. Von dem wird berichtet, dass er die vormals auf Bergen und in Wäldern lebenden Iraner gelehrt habe, sesshaft zu werden, dass er Städte erbaut, Eisen geschmolzen, Gold und Edelsteine aus der Erde gefördert und Heilmittel gegen Krankheiten hergestellt habe. Er habe auch Gesetze und Regeln für das Zusammenleben der Menschen geschaffen und ihnen dadurch Frieden und Wohlstand gebracht. An dem Tag, an dem alle diese Werke vollbracht waren, bestieg Dschamschid seinen prächtigen Thron, und danach nannte man diesen Tag „Nouruz“ was „Neuer Tag“ bedeutet. An diesem Tag gab sich auch Dschamschid nach vollbrachtem Werk den Festesfreuden und der Fröhlichkeit hin.
In vorislamischer Zeit waren die Festlichkeiten zum Beginn des neuen Jahres eng mit den Glaubensvorstellungen und Ritualen der altiranischen Staatsreligion, des Zoroastrismus verbunden, in deren Mittelpunkt der ewige Kampf zwischen den Mächten des Guten und des Bösen steht. So sah man in dem Beginn des Jahres und des Frühlings ein Symbol des Sieges des Lebens über den Tod, des Lichtes über die Finsternis, Ahura Mazdas über Ahriman (d.h. der Macht des Guten über das Böse). Nach der Vorstellung der alten Iraner kehrten in den ersten fünf Tagen des neuen Jahres die Seelen der Verstorbenen auf die Erde zurück, um ihre Kinder und Verwandten zu besuchen. Auf den Höfen der Paläste der Herrscher wurden 25 Tage vor Beginn des Nouruz-Festes auf Säulen verschiedene Sorten von Getreide und Hülsenfrüchten ausgesät und nach dem 12. Tag des Monats Farwardin abgepflückt. An der Art der Triebe dieser Pflanzen glaubte man erkennen zu können, wie im neuen Jahr die Ernte der betreffenden Ackerfrucht ausfallen würde.
An den Höfen der Könige und Herrscher wurde das Neujahrsfest in großer Pracht mit Banketten und Empfängen gefeiert und auch das Volk großzügig beschenkt und bewirtet.
Nach der Islamisierung des Iran infolge der Eroberung durch die Araber im 7. Jahrhundert (n. Chr.) wurden diese höfischen Feierlichkeiten, wenn auch in etwas veränderter Form, beibehalten. Schließlich boten sie den Herrschern die Möglichkeit, ihre Macht und Autorität vor dem Volk zu repräsentieren. Die einzelnen Bräuche des Festes waren je nach Regionen und Zeitepochen zwar unterschiedlich, bestimmte Grundelemente blieben aber. Zentral sind seit jeher das frische Grün der Pflanzen, das Frühlingsfeuer sowie bunt gefärbte Eier, Süßigkeiten und ein festliches Essen. Auch das gründliche Reinigen der Wohnungen vor Beginn des Nouruz, das Anlegen neuer, festlicher Kleider, der Austausch von Geschenken sowie gegenseitige Besuche, fröhliche Lieder und Tänze und Ausflüge in die Natur waren immer Bestandteil dieses Festes, das in vielem an unser Osterfest erinnert.
Am Abend des letzten Mittwochs des alten Jahres wird das Tschaharschanbe Suri – Fest (Mittwochsfest ) begangen. Bei diesem Fest werden mit Gestrüpp und Reisig Feuer entzündet, über das die Menschen springen. Diese Feuer symbolisieren die Vernichtung alles Welken und Verdorrten, das der vergangene Winter zurückgelassen hat. An diesem Abend wird als Dessert ein besonderes Naschwerk (schab-tschare) verzehrt, welches aus getrocknetem Obst und Nüssen besteht. Auch wird das Tschaharschambe Suri-Fest von zahlreichen Zeremonien und Bräuchen begleitet, die mit der Bitte um Erfüllung von Wünschen sowie der Befragung von Orakeln für das neue Jahr verbunden sind.
Zwei Tage vor Beginn des Jahreswechsels erfolgt eine gründliche Reinigung des Hauses. Kurz vor Beginn des Festes legen die Menschen neue Kleider an. Sie setzen sich um das Nouruz-Speisetuch herum, das auf einem Tisch oder, nach traditionellem Brauch, auf einem Teppich ausgebreitet wird. Dieses festliche Tischtuch das auch als Haft-Sin-Tuch bekannt ist, wird mit speziellen Gegenständen dekoriert: Ein Gefäß mit Wasser, in dem Goldfische schwimmen, Süßigkeiten, eine Schüssel voll Reis, Brot, ein Spiegel, gekochte und gefärbte Hühnereier sowie ein heiliges Buch der Religion, zu der sich die betreffende Familie bekennt. Heute wird stattdessen auch oft ein Band mit Gedichten des berühmten persischen Dichters Hafis auf das Haft-Sin-Tuch gelegt. Dazu kommen die Haft Sin – sieben Dinge, die im Persischen mit dem Buchstaben Sin (s) beginnen: sabsi (grüne Sprossen verschiedener Gräser und Getreidearten, die einige Tage vorher in einer irdenen Schale ausgesät wurden); sir (Knoblauch); sib (Äpfel); somaq (Sumach, ein Gewürz); samanu (eine süße Mehlspeise); sendsched (Mehlbeeren); und sekke (Münzgeld).
Im Augenblick des Jahreswechsels umarmen und küssen sich die Menschen und wünschen sich gegenseitig Glück und Erfolg für das neue Jahr. Während der folgenden Tage des Nouruz-Festes stattet man sich gegenseitig Besuche ab, tauscht Geschenke aus und genießt festliche Speisen und Leckereien. Am dreizehnten Tag des neuen Jahres (Sizdah Bedar) begeben sich die Menschen hinaus ins Freie und verbringen den Tag mit Ausflügen, Spaziergängen und Spielen. Die grünen Sprossen werden dem fließenden Wasser der Flüsse und Bäche übergeben. Mit diesem Tag endet das Nouruz-Fest.
Trotz der streng islamischen Ausrichtung der heutigen iranischen Staatsführung sind auch derzeit an den ersten fünf Tagen des Nouruz-Festes Behörden und Ämter geschlossen, die Schulen für dreizehn Tage. Technisierung und Industrialisierung haben dazu geführt, dass heute, besonders in urbanisierten und industrialisierten Regionen, das Nouruz-Fest meist nicht mehr mit einem so hohen Aufwand an Zeit und finanziellen Mitteln begangen wird, wie es früher üblich war. Die größte Vielfalt der iranischen Neujahrsbräuche hat sich in den ländlichen Regionen erhalten.
Außer im Iran und Afghanistan wird das Nouruz-Fest auch von Kurden, Tadschiken, und Anhängern der Bahai-Religion, von den Parsen in Indien, aber auch in den turksprachigen Gebieten Zentralasiens und im Kaukasus gefeiert. Über die Grenzen von Religionen, Weltanschauungen und politischen Orientierungen hinweg bildet das Nouruz-Fest zusammen mit dem persischen Nationalepos „Schahnameh“ und dem reichen Erbe der klassischen persischen Literatur ein einigendes Band der kulturellen Identität der Völker des iranischen Kulturkreises. Im Jahre 2009 übernahm die UNESCO den Nouruz-Tag in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit auf.
Uwe Feilbach lebt in Berlin, wo er zuletzt bis zu seiner Berentung 1993 als Bibliothekar für Information/Dokumentation bei der Parochial-Kirchengemeinde arbeitete. Im Ruhestand studierte er mehrere Jahre als Gasthörer Islamkunde, Iranistik und Arabistik.
Schlagwörter: Iran, Islam, Nouruz, Uwe Feilbach, Zoroastrische Religion