von F.-B. Habel
Eines von vielen Zeichen für die Verarmung unserer Kultur ist das Fehlen osteuropäischer Filme sowohl im Fernsehprogramm als auch bei den Kinoverleihern. Grund ist nur in zweiter Linie das Desinteresse von Verantwortlichen, in erster Linie liegt es daran, dass die Medienindustrie fest in anglo-amerikanischer Hand ist und mit einer riesigen Werbemaschinerie künstlich ein Publikumsinteresse geschürt wird, auf dass sich die Produkte gut verkaufen.
Wer mit außerordentlich guten – oder manchmal auch nur unterhaltsamen – Filmen aus den Ländern der Sowjetunion, aus Ungarn, der Tschechoslowakei oder Polen aufwuchs, vermisst heute viel. Zu meinen Lieblingsfilmen aus Polen beispielsweise zählte in den siebziger Jahren „Das Birkenwäldchen“, den Andrzej Wajda nach einer Erzählung von Jarosław Iwaszkiewicz drehte. Der Film über einen isoliert lebenden Waldarbeiter, der durch seinen plötzlich auftauchenden, an einer unheilbaren Krankheit leidenden Bruder gegen seinen Willen und anfangs unmerklich aus seiner Lethargie geholt wird, war poetisch und mit beeindruckenden Bildern erzählt worden. Die besondere, fast unwirkliche farbliche Stimmung des Films wurde durch das ORWO-Filmmaterial erreicht, wie Wajda später in einem Interview gestand. Mit Olgierd Łukaszewicz und Daniel Olbrychski hatte er für dieses Kammerspiel ausgezeichnete Darsteller zur Verfügung. Olbrychski hatte schon wenige Jahre zuvor in Wajdas „Alles zu verkaufen“, einer Parodie auf das Filmgeschäft, den Staffelstab als beliebtester jugendlicher Held des polnischen Films von dem verunglückten Zbigniew Cybulski übernommen.
Cybulski hatte die Hauptrolle in „Asche und Diamant“ gespielt, einem Film um Geschehnisse in der polnischen Provinz unmittelbar nach der deutschen Kapitulation 1945. Der FIPRESCI-Preis in Venedig brachte 1959 für Wajda den endgültigen internationalen Durchbruch, nachdem er zuvor für „Der Kanal“ in Cannes bereits mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet worden war. Dieser in seiner Heimat umstrittene Film über den Warschauer Aufstand, der die Rolle der Roten Armee ins Zwielicht setzte, zeichnete den thematischen Weg vor, den der Regisseur gehen sollte.
Andrzej Wajda, der am 6. März seinen 90. Geburtstag begehen kann, war Sohn eines polnischen Offiziers, der 1940 bei einer Massenexekution in einem NKWD-Lager umgebracht wurde. Dieses Erlebnis bestimmte die Haltung des späteren Regisseurs, der in seinen Filmen immer wieder Fragen nach den gesellschaftlichen Umständen stellte, nach historischen Wahrheiten fragte und untersuchte, wie die Mächtigen mit der Macht umgehen. Dazu zählen vor allem seine Filme über die Arbeiter in Nowa Huta, die Lenin-Werft in Gdánsk und die Solidarność-Gewerkschaft „Der Mann aus Marmor“ (1977) und „Der Mann aus Eisen“ (1981). Als Abschluss seines Lebenswerks ließ er dem noch 2013 „Wałęsa. Der Mann aus Hoffnung“ folgen. Allerdings wäre er sich untreu geworden, hätte er dem ehemaligen Arbeiterführer kritiklos gehuldigt. Auch Fehlentscheidungen Wałęsas werden angesprochen. (Die aktuellen Vorwürfe gegen den vermutlichen Zuträger der Geheimpolizei waren damals noch nicht bekannt.)
Ein Leben lang hatte er darauf gewartet, mit seinen Mitteln als Regisseur das Massaker von Katyn aufarbeiten zu können. Im Jahr 2007 war es so weit. Die verhängnisvolle Verbindung von Großmachtinteressen, die die Stalinschen „Säuberungen“ begünstigten, waren ein Thema, das Wajda immer beschäftigt hatte. Der Erfolg des Films „Katyn“, der auch für den „Oscar“ nominiert war, gab ihm eine tiefe Befriedigung.
Nicht alle von Wajdas fast 40 Spielfilmen sind Meisterwerke – die Hochhuth-Verfilmung „Eine Liebe in Deutschland“ (1983) beispielsweise erfasste nicht die wirkliche Atmosphäre der Kriegsjahre in Deutschland und war missglückt. Aber gerade seine Literaturadaptionen bleiben im Gedächtnis. Iwaszkiewiczs Stoffe hat Wajda noch zweimal kongenial verfilmt. In „Die Mädchen vom Wilkohof“ traf Wajda 1979 den richtigen Ton zwischen Idylle und äußerer Bedrohung. Und für „Der Kalmus“, in dem Wajda und seine Hauptdarstellerin Krystyna Janda geschickt das literarische Erlebnis mit der Gegenwart verbanden, erhielt Andrzej Wajda 2009 den Alfred-Bauer-Preis der Berlinale. Aber – und da sind wir wieder beim Anfang – in deutschen Kinos spielte der Film keine Rolle.
Andrzej Wajdas Namen trägt die von ihm gegründete Meisterschule für Filmregie in Warschau, an der er auch unterrichtet und sein Können, aber auch sein Credo weitergibt: „Erzählt über euch selbst, über euer Leben, poetisch und wahrhaftig!“
Schlagwörter: Andrzej Wajda, F.-B. Habel, Literaturadaptionen, polnischer Film