19. Jahrgang | Nummer 2 | 18. Januar 2016

Gedanken zu Franz Grillparzer

von Manfred Orlick

Franz Grillparzer wird heute einerseits als österreichischer Nationaldichter angesehen, als der österreichische Klassiker schlechthin, andererseits wird sein vielseitiges Schaffen kaum noch wahrgenommen. Ein Grund dafür mag sein, dass Grillparzer keiner literarischen Strömung des 19. Jahrhunderts eindeutig zuzuordnen ist, weder der Romantik, noch dem Biedermeier, dem Vormärz oder dem bürgerlichen Realismus, wobei er all diese Epochen durchlebt hat. Er stand in der barocken Habsburgischen Tradition und Vorbilder waren für ihn stets die Kultur der Aufklärung und der Weimarer Klassik.
Franz Grillparzer wurde am 15. Jänner 1791 in Wien in eine bewegte Zeit geboren. Die Französische Revolution erreichte gerade ihren grausigen Höhepunkt und seine Kinder- und Jugendjahre fielen in die Napoleonische Epoche. Der Sohn eines zwar angesehenen, aber verschuldeten Wiener Rechtsanwaltes verlor schon früh (1809) den Vater, wodurch die Familie in finanzielle Bedrängnis geriet. Der 18-jährige Franz, der ab 1807 selbst juristische Studien an der Universität Wien absolvierte, musste für seine drei jüngeren Brüder eine Art Vaterstelle annehmen und durch Privatstunden für den Unterhalt der Familie sorgen. Ein paar Jahre später musste er die Selbstmorde der psychisch anfälligen Mutter und eines Bruders verkraften. Lebenslang litt Grillparzer selbst unter Depressionen. Auch noch als erfolgreicher Dramatiker zweifelte er die Qualität seines Werkes an.
Seit 1813 arbeitete Grillparzer in der Hofbibliothek und wurde 1823 Hofkonzipist in der k.k. Allgemeinen Hofkammer. Aber die Beamtenlaufbahn, stets von einer kritischen Distanz zum System Metternich geprägt, befriedigte ihn nicht. In seiner „Selbstbiographie“ erinnerte er sich mit Widerwillen an den Staatsdienst, an Zurücksetzungen und ungerechte Behandlungen. Dennoch hat er bis zu seiner Pensionierung an der doppelten beruflichen Laufbahn – als Dichter und Staatsdiener – festgehalten.
Die ersten literarischen Versuche fielen bereits in seine Studienzeit. Sein dramatisches Erstlingswerk, das Trauerspiel „Blanka von Kastilien“, wurde jedoch vom Wiener Hoftheater abgelehnt (es erlebte erst 1958 die Uraufführung). Die Enttäuschung saß tief und von da an wollte Grillparzer „der Poesie für immer den Abschied geben“. Neben einigen poetischen Versuchen und Fragmenten wagte er es tatsächlich erst sieben Jahre später, sein erschütterndes Trauerspiel „Die Ahnfrau“ vorzulegen. Die Uraufführung im Theater an der Wien 1817 wurde zu einem Riesenerfolg, der mit den Räubern von Schiller verglichen wurde. Euphorisch hieß es: „Es ging ein Rausch des Beifalls, aber auch des Entsetzens durch Wien.“ Es folgten Aufführungen in München, Dresden, Hamburg und im Burgtheater – das Trauerspiel ging „im Sturmschritt über alle deutschen Bühnen“ und wurde zu einem Repertoirestück des 19. Jahrhunderts.
Mit der Ahnfrau wurde Grillparzer schlagartig berühmt, er wurde zum „Schicksalsdichter“, wobei er selbst über diesen Ruhm eher erschrocken war. Es wird berichtet, dass er sein Erstlingswerk selbst nur ein einziges Mal vom Zuschauerraum aus gesehen hat. Sein zweites Stück „Sappho (1819) wurde häufig mit Goethes Tasso oder Iphigenie verglichen. Grillparzers Ansehen war so weiter gestiegen und er erhielt einen Fünf-Jahres-Vertrag als k.k. Hoftheaterdichter, den er aber bereits 1821 wieder löste.
In den 1820er Jahren feierte Grillparzer weitere Theatererfolge, so mit seiner Trilogie „Das goldene Vlies“ (1822), den Trauerspielen „König Ottokars Glück und Ende“ (1825) – im Stil der Shakespeareschen Königsdramen – und „Ein treuer Diener seines Herrn“ (1830), die allesamt vom Publikum zustimmend aufgenommen wurden. Nach diesen Erfolgen als Dramatiker wurde das Liebesdrama „Des Meeres und der Liebe Wellen“ (1831) um das antike Liebespaar Hero und Leander jedoch zu einem großen Misserfolg. Bereits nach vier Vorstellungen wurde es abgesetzt, was Grillparzers Selbstzweifel steigerte und zu tiefer Niedergeschlagenheit führte.
Erst nach einer Neuinszenierung von Heinrich Laube 1851 wurde die dramatisierte Hero- und-Leander-Sage zum populärsten Stück Grillparzers und von den Kritikern als eine der ergreifendsten Liebestragödien in deutscher Sprache angesehen. Mit dem dramatischen Märchen „Der Traum ein Leben“ (1834) feierte Grillparzer noch einmal einen Theatererfolg. Als sich jedoch mit dem Lustspiel „Weh dem, der lügt!“ (1838) der Misserfolg wiederholte, zog sich Grillparzer vom Theater vollständig zurück.
Der sensible Grillparzer war so verbittert, dass er als 50-Jähriger aufhörte, Stücke der Öffentlichkeit zu übergeben – er schrieb nur noch für die Schreibtischschublade. Erst die kommende Generation sollte seine Stücke auf der Bühne erleben und sich daran erfreuen. In seinem Testament verfügte er sogar, seinen Nachlass, darunter die drei Altersdramen „Ein Bruderzwist in Habsburg, „Die Jüdin von Toledo“ und „Libussa“, die in den Jahren 1847-51 entstanden waren, zu vernichten.
In den Jahren der selbstgewählten Einsamkeit entstand seine heute noch gelegentlich verlegte Novelle „Der arme Spielmann (1848). In der Geschichte eines ehrgeizigen aber erfolglosen Geigers legte Grillparzer das Problem seines literarischen Schaffens offen – ausführlicher dann in seiner „Selbstbiografie“, die er später durch seine „Erinnerungen aus dem Jahre 1848“ ergänzte.
Die Ereignisse des Revolutionsjahres veranlassten Grillparzer, wieder an die Öffentlichkeit zu treten. Neben einigen Gedichten vor allem mit den Schriften „Dem Vaterlande und Gedanken zur Politik“, in denen er die Monarchie in ihrer Vielgestaltigkeit verteidigte. Die Revolution von 1848 bedeutete für ihn nicht den Anfang einer neuen Ordnung, sondern einen Schritt auf dem Wege der Zerstörung Österreichs, was ihm den Vorwurf einbrachte, ein Reaktionär zu sein. Ausdruck dieses Zwiespaltes war auf der einen Seite seine Unterschrift unter eine Petition für Pressefreiheit und andererseits seine Ode auf Radetzky, in der er dem legendären Feldmarschall zurief: „In Deinem Lager ist Österreich“.
1856 wurde Grillparzer pensioniert, wobei ihm der Hofratstitel verliehen wurde. 1864 wurde er zum Ehrenbürger von Wien ernannt. Franz Grillparzer starb am 21. Jänner 1872 in Wien. Das Staatsbegräbnis und die Beisetzung fanden drei Tage später unter dem Geleit von über zwanzigtausend Trauernden statt. Noch im selben Jahr wurden seine Dramen „Ein Bruderzwist in Habsburg“ (Wien) und „Die Jüdin von Toledo“ (Prag) uraufgeführt.
Franz Grillparzer gilt als bedeutender Repräsentant des nachklassischen deutschsprachigen Theaters. Er hatte einen besonderen Dramenstil ausgebildet, der das farbenprächtige österreichische Barocktheater mit volkstümlichen Elementen des Wiener Volksschauspiels und der deutschen Klassik verband. Neben Johann Nestroy und Ferdinand Raimund war Franz Grillparzer der große österreichische Nationaldichter des 19. Jahrhunderts, der auch auf spätere Dichter der Donaumonarchie wie Hugo von Hofmannsthal, Franz Kafka oder Joseph Roth gewirkt hat.