von Peter Liebers
Mit ihrem leichten Wiener Sing-Sang in der Stimme brachte die österreichische Schauspielerin Erika Pelikowsky in den Anfang der 1950er Jahre auf Ost-Berliner Bühnen eher proletarisch-revolutionär geprägten Ton etwas ein, was dem Deutschen Theater (DT) so kurz nach dem Zweiten Weltkrieg sehr bald etwas Weltoffenes, Charmantes gab. 1956 wurde sie festes Ensemblemitglied des DT und prägte eine ganze Ära. Dabei waren es nur fünfzehn Jahre, die sie an dem von ihrem Landsmann Max Reinhardt 1905 neu begründeten DT gewirkt hat. Die restriktive Kulturpolitik der ausgehenden 1960er und 1970er Jahre betraf neben dem Filmwesen oder anderen Medien der DDR auch das Theater. Nach den zermürbenden Kampagnen und engstirnigen ideologischen Debatten gegen die „Faust“-Inszenierung, die ihr Mann Wolfgang Heinz mit dem damals 33-jährigen Regisseur Adolf Dresen am DT herausgebracht hatte, blieb Erika Pelikowsky zwar noch einige Zeit im Ensemble, beendete aber auf dem Höhepunkt ihrer Karriere ihr Engagement. Sie nahm eine Einladung Helene Weigels an das von ihr geleitete Berliner Ensemble (BE) an. Zu einer neuen Heimat wurde ihr das Brecht-Theater nicht mehr. Nach dem Tode ihres Ehemannes im Oktober 1984 blieb sie noch am BE, wenngleich die Rollen, die sie dort zu spielen hatte, ihrem Format nicht entsprachen. Der Verlust „dieser leidenschaftlich-streitbaren Partnerschaft“, wie ihre Tochter, die Schauspielerin Gabriele Heinz, den Arbeitsalltag des Künstlerpaares wahrgenommen hat, mag dazu beigetragen haben, dass Erika Pelikowsky sich seit 1986 nicht nur vom BE, sondern auch von ihrer vielseitigen Filmarbeit zurückgezogen hat.
Schade bleibt indessen, dass von den glanzvollen, hunderte Male gespielten Inszenierungen wie Kiltys „Geliebter Lügner“, Gorkis „Kleinbürger“, Tschechows „Kirschgarten“ oder eben jenen Brecht-Aufführungen kaum etwas überliefert und somit in unseren Tagen nachvollziehbar ist. „Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze.“ Die mit diesem für leidenschaftliche Theaterfreunde ernüchternden Wort ausgedrückte Vergänglichkeit der Schauspielkunst gilt wohl für jede Zeit. Friedrich Schiller schrieb sie in seine Trilogie „Wallenstein“ zur Wiedereröffnung der Schaubühne in Weimar 1798.
Der 100. Geburtstag der Schauspielerin Erika Pelikowsky wird dieser Tage öffentlich kaum wahrgenommen. Dabei gilt auch für sie im Wortsinn, dass sie Theatergeschichte geschrieben hat – und das in mehreren Kapiteln. Geboren am 18. Januar 1916 in Wien, will die Tochter aus kleinbürgerlichem Haus nach ihrer Schulausbildung Schauspielerin werden und bewirbt sich am renommierten Max-Reinhardt-Seminar ihrer Heimatstadt, wird noch während des Schauspielstudiums Kleindarstellerin bei den Salzburger Festspielen und macht danach die „Ochsentour“ durch die Provinz, erste Station ist das Theater Linz. Ende der dreißiger Jahre wird sie ans Wiener Burgtheater engagiert, die herausragende Sprechbühne im deutschsprachigen Raum. Es sind vor allem die Klassiker, in denen sich Erika Pelikowskys Begabung erweist: die Hermia in Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ oder die Luise in Schillers „Kabale und Liebe“. 1943 holt Heinrich George sie als Gretchen für die „Faust“-Inszenierung an das von ihm geleitete Schillertheater nach Berlin. Aber in den Kriegswirren werden die Bühnen in Deutschland und Österreich wegen des „totalen Kriegseinsatzes der Kulturschaffenden“ am 1. September 1944 geschlossen. Sie kann ihren Beruf nicht mehr ausüben und geht für einige Zeit nach Italien.
Nach Kriegsende kehrt sie nach Wien zurück. Hier ist sie zwar wieder am Burgtheater willkommen, spielt am Wiener Volkstheater, wo sie auch den Schauspieler und Regisseur Wolfgang Heinz kennenlernt, aber Erika Pelikowsky entschließt sich bald „zu einem radikalen Einschnitt in ihrer Karriere“, wie ihre 1948 geborene Tochter die Entscheidung ihrer Mutter für die Mitarbeit an der von Heinz 1948 mitgegründeten „Scala Wien“ nennt. Dieses mehr als 1.200 Sitzplätze umfassende ehemalige Kino in einem Wiener Arbeiterbezirk konnte mit Unterstützung der sowjetischen Besatzer, der Kommunistischen Partei Österreichs und des Wiener Kulturamtes als selbstverwaltetes Theater den Spielbetrieb aufnehmen. Es verstand sich als linke, revolutionäre Bühne, als ein anspruchsvolles Theater, in dem das Volksstück ebenso gespielt wurde wie die Klassiker oder zeitgenössische Dramen. Obwohl große Teile des bürgerlichen Wiener Theaterpublikums das als „Kommunistenbühne“ verschriene Theater mieden, war es bald auch über Österreich hinaus sehr populär. Die Scala wird nach Abzug der Besatzungsmächte wegen gestrichener Subventionen und vor allem wegen ihres politischen Programms 1956 geschlossen.
Erika Pelikowsky nimmt nach Gastspielen am DT mit einer Reihe von Kollegen endgültig eine Einladung des damaligen Intendanten Wolfgang Langhoff an. Mit Karl Paryla, Trude Bechmann, Hortense Raky, Emil Stöhr und nicht zuletzt ihrem Mann Wolfgang Heinz prägt sie bis 1971 das herausragende Niveau der Schauspielkunst des Deutschen Theaters Berlin und sichert so auch in Zeiten des Kalten Krieges über Jahrzehnte dessen Ruf als eine der besten deutschsprachigen Bühnen.
Ihr Kinodebüt gibt Erika Pelikowsky relativ spät, aber umso eindrucksvoller: 1955 ist sie in „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ erstmals auf der Leinwand zu sehen. Ab den 1960er Jahren arbeitet sie in zahlreichen DEFA-Produktionen, und obwohl sie im Kino beziehungsweise Fernsehen kaum Hauptrollen spielt, prägt sie diese Filme doch immer wieder als markante Darstellerin. So etwa als sorgenvolle Mutter in Konrad Wolfs „Der geteilte Himmel“ (1964) als schrullige Wirtin in „Pension Boulanka“ (1964), als Ehefrau des Bildhauers Ernst Barlach in Ralf Kirstens Drama „Der verlorene Engel“ (1966), in „Die Abenteuer des Werner Holt“ (1965), als Wirtin Anna in der fünfteiligen TV-Serie „Daniel Druskat“ (1976) oder als Professorin Mittenzwei in Roland Gräfs „Die Flucht“ (1977).
In der Serie „Einzug ins Paradies“ steht sie noch ein letztes Mal als eine gütige, warmherzige Großmutter vor der Kamera und setzt diesem Kindertraum ein bis heute unvergessenes Denkmal. Die Schauspielerin stirbt am 21. Februar 1990 in Berlin, ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof in Berlin-Adlershof.
Schlagwörter: Burgtheater Wien, DDR, Deutsches Theater Berlin, Erika Pelikowsky, Kulturpolitik der SED, Peter Liebers, Wolfgang Heinz