von Arndt Peltner, aus Somaliland/Puntland
Xaaxi, ein Dorf im Osten der unabhängigen Republik Somaliland. Eine Sandstraße führt von Burao dorthin, drei Stunden im Jeep vorbei an Kamel- und Ziegenherden, Nomadenansiedlungen und der schier endlosen Steppe. In einem Kreis auf dem Boden sitzen mehrere Jugendliche und junge Männer zusammen. Sie alle wollen weg. Ihr Ziel Deutschland. Weder die Gefahr unterwegs, die Sorgen der Eltern, noch die ungewisse Zukunft werden sie aufhalten. „Ich werde ankommen“, meint der 18jährige Abdul. „Inschallah“, so Gott will. Die Einwände, dass niemand in Europa auf sie warte und sie dort auch nicht arbeiten dürften, werden mit einem Lachen übergangen. Sie hätten Freunde, die es geschafft haben. Die posteten auf facebook Bilder von ihrem neuen Leben. Sie hätten schon neue Autos, ihnen ginge es gut. „Glaubt nicht alles, was ihr auf facebook seht.“. Die Antwort kommt schnell. „Wer bist Du, ich kenne Dich nicht. Aber ich kenne meine Freunde auf facebook.“
„Tahreeb“ heißt das, was sie vorhaben. Eine Reise mit Risiko. Und „Tahreeb“ ist am Horn von Afrika in aller Munde. Im Nachbardorf Harasheik sitzen die Dorfältesten zusammen und sprechen mit Vertretern von Care Deutschland über ein Wasser-Solar- Projekt, das die Hilfsorganisation hier aufgebaut hat. Eine Wasserpumpe wird mit Solarzellen betrieben, der überschüssige Strom wird an die Dorfbewohner verkauft. Mit dem Erlös wird ein Techniker finanziert, der in der Hauptstadt Hargeisa in einem Ausbildungszentrum von Care und dem Wasserministerium von Somaliland geschult wurde. Ein funktionierender Kreislauf, der langfristig den Zugang zu sauberem Wasser und Strom garantiert. Wichtig dabei zu wissen ist, dass Somaliland kein Bankensystem hat. Bezahlt wird fast alles bargeldlos per Handy. Jedes Glas Tee am Eckstand, jedes Busticket, jeder Einkauf wird so sofort beglichen. Eine SMS wird einfach an die Nummer des Verkäufers oder Anbieters geschickt. In Somaliland gibt es ein sehr gut funktionierendes 4G Mobilfunktelefonnetz. Die Bewohner der Dörfer sind jedoch nicht ans Stromnetz angeschlossen, sie müssen einen anderen Weg finden ihre Handys aufzuladen. Da kommt die Wasserpumpe ins Spiel. Mit diesem einfachen Kreislauf sollen die Ausbildung junger Leute gefördert und zugleich die Entwicklungsmöglichkeiten in diesen abgelegenen Dörfern unterstützt werden.
Ruun ist 65 Jahre alt, sie wurde in Harasheikh geboren, erlebte den Krieg und die Dürre. Das Wasserprojekt werde im Dorf gut angenommen, meint sie. Im nächsten Satz dann: „Es ist zu wenig, um Tahreeb zu stoppen.“ 15 junge Männer aus der kleinen Gemeinde seien in diesem Jahr schon weg, darunter auch ihr Sohn. „Jede Familie ist hier davon betroffen, denn unterwegs im Sudan und Libyen werden sie von Banden aufgegriffen, die Lösegeld verlangen.“ Eltern verkaufen ihr Haus und ihr Vieh, leihen sich von Nachbarn, Freunden und Verwandten Geld, damit der Sohn frei kommt und seine Reise nach Europa fortsetzen kann. Lösegelder werden in der Höhe von 10.000 Dollar und mehr gezahlt.
Ruun sitzt in ihrer kahlen Hütte auf dem Boden. Sie erzählt von dem harten Leben in dieser kargen Gegend, von den täglichen Herausforderungen und davon, dass sie nie woanders gelebt hat. Sie sagt, sie versteht die Entscheidung ihres Sohnes und der anderen jungen Leute. „Es gibt hier keine Arbeit, keine Möglichkeiten. Und Somaliland wird international nicht anerkannt, das behindert die Entwicklungsmöglichkeiten, das Wachstum unseres Landes.“ Die Republik Somaliland wurde 1991 nach dem Sturz des somalischen Präsidenten Siad Barre ausgerufen. Es gibt eine eigene Währung, eigene Pässe, eine eigene demokratisch gewählte Regierung. Doch an den Traum von der Unabhängigkeit glauben die meisten der jungen Leute in Somaliland schon lange nicht mehr. Sie wollen nur noch weg.
In Puntland, direkt am Horn von Afrika gelegen, ist die Situation ähnlich und doch anders. Puntland ist eine semi-autonome Region Somalias, zwar mit eigener Regierung, doch man sieht sich langfristig, im Gegensatz zu Somaliland, als Teil eines geeinten Somalias. Aus Puntland kommen die Piraten, die seit ein paar Jahren die Schifffahrtsstraße im Golf von Aden unsicher machen. Auch auf dem Land sind Entführungen und anschließende Lösegelderpressungen keine Seltenheit. Deshalb verlangt die puntländische Regierung von westlichen Besuchern, dass sie nur mit Polizeischutz unterwegs sind. Auch in Puntland unterstützt Care verschiedene Projekte, darunter die Lehrerausbildung und eine E-Bibliothek an der „Puntland State University“ und einen Ausbildungscenter für handwerkliche Berufe in Garewo, der Hauptstadt Puntlands. All das ist nur ein Anfang, weitere Bildungsmöglichkeiten sollen gefördert und ausgebaut werden. Was genau, davon wollen sich die Care- Mitarbeiter vor Ort einen Überblick verschaffen. Erst seit kurzem sind wieder direkte Besuche möglich. Die Sicherheitslage, zumindest in der Hauptstadt Garewo, scheint unter Kontrolle zu sein, auch wenn man auf Schritt und Tritt von drei schwergewaffneten Polizisten begleitet wird und es nach einer Stunde an einem Ort heißt, man müsse nun weiter.
Über „Tahreeb“ wird auch in Puntland viel und überall gesprochen. Jamal Hassan Darod ist 27 Jahre alt. Er ist der Vorsitzende der Somali Youth Network Association. Er selbst hat fünf Jahre in Uganda studiert und findet jetzt keinen Job in seinem Heimatland. Jamal lebt wieder bei seinen Eltern, arbeitet ehrenamtlich um Berufserfahrungen zu sammeln. Die Hoffnungen in ihn sind groß, ein Onkel finanzierte sein Studium im Ausland. Jamal Hassan Darod kennt die Probleme der Jugendlichen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Ausbildungsmöglichkeiten begrenzt, Hoffnung auf ein besseres Leben hat diese Kriegsgeneration nicht. „Wir haben hier in Puntland Frieden“, betont Jamal mehrmals im Gespräch, so als ob er sich damit selbst vergewissern will. Er will bleiben und sagt dennoch: „Viele gehen ins Ausland, nach Europa, um einen zweiten Pass zu bekommen. Nur damit kommt man hier an Jobs. Als ich mich das letzte Mal auf eine Stelle bewarb, fragte man mich, ob ich einen zweiten Pass habe. Ohne hätte ich keine Chance, wurde mir gesagt.“
An der Puntland State University sitzt eine Runde Studierender zusammen. Junge Männer und junge Frauen. Sie alle betonen, dass sie nicht weg wollen, sie in Puntland ihre Zukunft sehen. Eine von ihnen ist die 19jährige Studentin Samira. Sie fällt auf in der Gruppe, obwohl sie anfangs leise, ja schüchtern, erzählt. Ihre strahlenden Augen, ihr Lächeln sind voller Zuversicht. Samira studiert Sozialwissenschaften, ihren Bachelor-Abschluss will sie hier in Garewo machen, für ihren Master will sie dann nach Indien oder in die Türkei. Aber sie sieht sich hier in Puntland, in Somalia. Sie sagt: „Ich werde nicht weggehen, ich komme zurück.“ Ihre Eltern sind geschieden. Als der Krieg ausbrach, floh die Familie nach Kenia. Vor ein paar Jahren kamen Samira, ihre Mutter und ihre Geschwister zurück nach Garewo. Geld war keines da für die Ausbildung der Tochter. Doch Samira eröffnete mit ihrer Mutter einen kleinen Laden und Imbiss. Davon finanziert sie nun ihr Studium. Sie arbeitet hart, jeden Tag bis spät in die Nacht. Der Laden, das Studium, das Ziel vor Augen.
Der Schlüssel für die Zukunft Puntlands und Somalilands liegt in der Bildung und Ausbildung. Das unterstreicht auch PSU Professor Abdullah Aledou, der ganz offen sagt, hier in Puntland studiere man an der Realität vorbei. Fast 80 Prozent hätten sich für Sozialwissenschaften, Wirtschafts- und Verwaltungsfächer eingeschrieben. „Doch es gibt keine Unternehmen hier, die ihnen anschließend Jobs bieten“, meint Aledou. Was man brauche seien Absolventen für Landwirtschaft, Fischerei, Veterinäre, das seien die Kernbereiche der somalischen Wirtschaft, Ingenieure, die das Land nach dem Krieg wieder aufbauen. Die Universitäten versuchten ihr bestes, doch ausgebildet werde am Markt vorbei. Professor Abdullah Aledou sieht deshalb viele seiner Studenten das Land verlassen. Sie hoffen auf einen Job, eine bessere Zukunft im fernen Europa. „Die Situation ist sehr ernst. Ich sehe ein Land, aus dem die Jugend wegrennt. Wie kann ich da ein positives Bild zeichnen, wenn der Großteil der Somalier Jugendliche sind und die meisten davon nur weg aus diesem Land wollen.“ Daher sei die internationale Gemeinschaft gefordert, in Puntland und auch Somaliland in die Bildung und Ausbildung zu investieren, so Aledou. Die Flüchtlingsproblematik in Europa lasse sich nur hier in den Herkunftsländern lösen.
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