18. Jahrgang | Nummer 26 | 21. Dezember 2015

Psychoboulevardisierung
Nachrichten aus der Debattiermaschine (XL)

von Eckhard Mieder

Vor anderthalb Jahren, im April 2013, schrieb ich im Blättchen schon einmal über die bizarre Medien-Inszenierung der Beate Zschäpe. Ich nannte den damals von NDR und Spiegel verbreiteten „Exklusiv-Filmclip“ eine Peepshow, deren Absicht mir nicht klar war. Sollte Abscheu erweckt werden? Sollte diese piefig-spießige Erotik erzeugt werden: das Luder, das Böse, das unterschwellig mit den „Waffen des Weibes“ reizte? Die Frau mit zwei Männern im Untergrund – „Untergrund“ klingt da wie „Bettdecke“; eine Menáge-à-trois in Braun? War es ein Vor-Spiel, und dem Betrachter sollten vor Wonne und Schaudern die Tannennadeln den Rücken runterrieseln; wie bei denen wohl der Vollzug vor sich ging, bevor sie sich schnell noch gegenseitig ein paar Zeilen aus „Mein Kampf“ vorlasen und sich mit Waffenöl in Stimmung tranken?
Damals schwieg Beate Z. Jetzt hat sie reden lassen, und wir (?) alle (?) waren, als ihre Einlassung (ein Geständnis gar?) medial breit angekündigt wurde, aufs Äußerste (an)gespannt. Aus dem Munde der Bösen würden wir die Gründe des Bösen erfahren. Detail für Detail der Mordtaten würden enthüllt werden. Die Kanaille würde sich selbst erlegen und ihr Fleisch und ihren Geist zum Geißeln freigeben. Ich fragte mich nur, warum sollte sie das tun?
Wurde das tatsächlich erwartet? Sind wir so blöd? Oder ist es die Hoffnung in uns, wir würden durch ein faktenreiches, bedingungsloses, gnadenloses Geständnis endlich erlöst werden? Erlöst von unserer Fassungs- und Ratlosigkeit betreffs der scheußlichen Mord-, Raub- und Brandschatztaten? Dass wir endlich sagen und ruhen könnten: Igitt, wie eklig die sind! Dass der Prozess gemacht wird, das Urteil gefällt, und ab geht’s in die Archivkiste des Rechtsstaates. Dann gedenken wir noch einen Moment lang der Opfer und deren Angehörigen, die eine oder andere Straße wird nach ihnen benamst, Gedenksteinchen hier, Stolpersteinchen da – naja, dann geht das Leben weiter. Die nächste Katastrophe wartet.
Es kam anders. Z. betrat den Gerichtssaal, gelöst habe sie gewirkt, heiter gar. Das nachdem wir kurz vorher erfahren durften, dass sie einen Nervenzusammenbruch im Knast gehabt haben soll. Z. zeigte den Kameras ihr Gesicht und nicht nur die Hinterseite. Das gibt uns Anlass, darüber zu spekulieren, ob es sich bei der Frau um eine nicht übel aussehende Bitch oder eine kantig gewordene, recht Reizvolle handelt. Es soll ja Videobilder geben, die die Vierzehnjährige zeigen, wie sie „Schlag bei Männern“ hatte und in der Diskothek „mit ihren blauen Augen und dem wallenden Haar nach rechts und links flirtete“. (Bin ich froh, dass es meines Wissens keine Bilder von mir gibt, wie ich mit spacken 14 Jahren und mit gegeltem blonden Haar nach links und ausschließlich nach links zu flirten versuchte; diesen flackernd-verdrucksten Irrenblick möchte ich nicht sehen. Möglicherweise hätte ich mich in die Beate ergebnislos verguckt; aber ich habe niemals in Jena gelebt und hieß auch nie Uwe und älter als die alle, fällt mir grad ein, bin ich sowieso.) Und so weiter und so fort.
Es kam anders: Die verlesenen wasüberfuffzisch Seiten lösten Enttäuschung und Wut aus: bei den Klägern, bei den Nebenklägern, bei den Medienvertretern (nachhallend in mir mittlerweile wie Versicherungsvertreter, wie Autohändler und Loseverkäufer). Es begann das Große Stochern im Seelensalat. Das Große Drehen und Wenden. Jeder Satz wurde, bevor er höhnisch als aalglatte Ausflucht abgetan wurde, durch den Fleischwolf der Psychologie gedreht. Am Ende hieß es, alles Lüge, alles Verdrängung, alles Berechnung, so kann es nicht gewesen sein. Mit diesen beiden Typen. So arg übel war ihre Kindheit doch wohl auch nicht. Die haben sogar gelacht und Urlaub gemacht an der See. (Wo machen eigentlich die Superverbrecher der Mafia, der Regierungen, der Wirtschaft Urlaub? Im Banksafe? Unterm Kunstlicht privater Bunker?) Etc. pp.
Mein juristisches Wissen ist gering, mein Verständnis für tatsächliche Verbrechen ist noch geringer. Doch hätte es mich gewundert, wenn Zschäpe und ihre Anwälte der Anklage geständig entgegengekommen wären. Ist es nicht gerade der Sinn und Zweck einer Verteidigung, ihren Klienten oder ihre Klientin entkommen zu lassen? Habe ich ein Bulletin verpasst, in dem der Rechtstaat jenes Im-Zweifel-für-den-Angeklagten außer Kraft gesetzt hat? Gilt die Unschuldsvermutung nicht mehr, und gilt auch nicht mehr, dass dem Angeklagten die Schuld nachgewiesen wird und nicht er seine Unschuld beweisen muss? (Ich unterhielt mich vor Jahren stundenlang mit einem Strafverteidiger, der Mörder verteidigte. Er sagte mir, dass er die auch dann verteidige, wenn ihre Schuld quasi unleugbar sei. Jeder Mensch habe ein Recht auf Verteidigung, oder es gibt kein Recht. Ich glaube nicht, dass der Mann ein Zyniker oder nur auf die Gerichtsshow und das Geld aus war.)
Ich weiß, dass es komplizierter ist mit der Juristerei, in der es die reine Lehre nicht gibt. Ich weiß auch, dass es kaum etwas Schmutzigeres gibt als die Psychoboulevardisierung der Medien. Und ich habe Furcht davor, dass da eines ins andere sich mengt; muss es das nicht sogar, wenn die sogenannte vierte Gewalt der Medien die Judikative bedrängt? Oder wirken sie, wenn sich das Gericht nicht durchs Getöse und Geblase beindrucken lässt, weil es stark und unabhängig ist, mindestens aber in ein Publikum hinein? Das dann – eine fünfte Gewalt wird? Und man kann immer noch eine Kohle nachlegen.
Etwa wird berichtet, dass Beate Z. im Knast wie eine Diva behandelt werde. Sie habe Assistentinnen, die ihr bedingungslos beistehen, weil sie sie bewundern. Selbst Wärterinnen seien ihr verfallen. Welcher Porno läuft in welchen Köpfen ab? Welcher amerikanische Hierarchie-Knast-Krimi? Was soll es mir, wenn es um den sachlichen Nachweis von Schuld geht, wenn mit allem Psycho-Mist öffentlich gespielt wird – als sei daraus ein Tröpfchen Aufklärung zu melken?
Von dem Ding mit der Moral habe ich durchaus gehört. Dass Moral tatsächlich öffentlich eingeklagt wird, finde ich ehrenwert und heuchlerisch. Es geht nicht um Moral, es geht um Verbrechen, es geht um den Nachweis, dass ein Angeklagter sie begangen hat, es geht um eine gerechte Strafe. Ist mein Verständnis von Rechtsfindung und -sprechung naiv?
So naiv wie mein Abscheu vor Medienauftritten von Spezialistinnen und Spezialisten, die aus Kleidung, Mimik, Gestik ein Persönlichkeitsbild puzzeln? Was sie ja machen können. Was sie ja dürfen. Was sie nicht machen können und was sie nicht dürfen: das von ihnen erstellte Bild als Argument gegen diese Persönlichkeit benutzen. Doch. Selbst das können und dürfen sie. Wenn sie denn unbedingt auf (Nazi)Glatzen die Locken ihrer Artikel und Sendungen drehen wollen und – das finde ich beschämend – den ganzen Psycho-Matsch zu einem mächtigen Vorurteile-Strom anschwellen lassen. Wenn sie denn schon zu wenig Handfestes, Argumentatives Faktisches bei der Hand haben. Wenn denn schon – wie es scheint; darüber höre und lese ich ansonsten wenig – der gesamte Bereich der staatlichen Beihilfe (?) ausgegliedert ist? Wenn denn die Vermutungen über das Innen- und Außenleben einer Frau, die vor Gericht steht, zu Fakten geknetet werden?
Ob ich Verbrechern, die unter der Last der Reue vor Gericht zusammenbrechen und schluchzend danach verlangen, einer gerechten Strafe und der Resozialisierung in den heimeligen Schoss der Gesellschaft zugeführt zu werden –-, ob ich denen letztlich mehr glauben würde als einem Verbrecher, der sein Verbrechen leugnet? Was ich gerne hätte: Fakten, Fakten, Fakten statt Geraune, Gesäusel, Gelechze.
Es findet ein unwürdiges Spiel statt, in dem die Opfer und ihre Hinterbliebenen im Dunkel der Hinterbühne verschwinden, die Täter (die Täterin?) im Lichte eines Scheinwerfers stehen, und ganz nach vorn an die Rampe haben sich die Medienmasken gespielt.