18. Jahrgang | Nummer 26 | 21. Dezember 2015

Film ab

von Clemens Fischer

Als dänische Ministerpräsidentin in der Serie „Borgen“ war Hauptdarstellerin Sidse Babett Knudsen nicht nur sehr ausdrucksstark und präsent, sondern hatte, reden wir gar nicht erst um den heißen Brei herum, auch eine höchst erotische Aura. Das registrierten, wie mir von gewöhnlich gut informierter Seite versichert wurde, keineswegs nur männliche Zuschauer.
Diese Aktrice in einer „zarten Porno-Poesie“ (Mediensprech) über ein lesbisches Paar – das muss doch der Hammer sein, dachte ich und suchte eines der wenigen Berliner Kinos auf, in denen „The Duke of Burgundy“ überhaupt läuft. Die Tilsiter Lichtspiele „mit dem kleinsten Kinosaal der Welt“ (Eigenwerbung; drei Reihen à circa zehn Plätze) waren gut gefüllt – mit, mich ausgenommen, ausschließlich weiblichen Zuschauern. Vielleicht konnten die damit, was folgte, nachdem das Saallicht von hell und weiß auf dunkel und tiefrot gedimmt worden war, mehr anfangen als ich. Aber für SM- und Fetisch-Rituale muss man eine gewisse Ader haben und für diese ganz spezielle Art von pervers-lustvollem Höhepunkt schon gar, für die die bedauernswerte Frau Knudsen den ganzen Film über ständig Unmengen an Wasser trinken muss. Der Vollzug der Übung wird dem Publikum gottseidank nur akustisch zugemutet, optisch nicht. (Was eine solche Perversion gleichwohl an Surplus für die Dramaturgie eines Filmes bringen kann, das war schon vor Jahren an Jürgen Tarrachs Opernsänger im Haas-Pandämonium „Silentium“ sehr viel eindrücklicher zu besichtigen.) Der Duke mutet dem Publikum im Übrigen auch sonst praktisch nichts zu – außer Langeweile. Wenn die Filmemacher jedoch die Botschaft rüberbringen wollten, dass selbst eine Obsession nicht nur die reine Freude ist, sondern unversehens in Arbeit ausarten kann, dann soll ihnen konzediert werden, dass zumindest dies nicht restlos misslungen ist.
Der Film läuft nur OmU. Das ist allerdings kein Grund, ihn zu meiden, denn üppige oder gar anspruchsvolle Dialoge waren erkennbar nicht das primäre Anliegen des Drehbuchverfassers.
Da die beiden involvierten Damen auf dem Gebiet der Lepidopterologie zugange sind, wenn sie nicht gerade mit- oder an- beziehungsweise übereinander tätig sind, an Freunde der Schmetterlinge und Falter noch die Warnung, daran keine irrigen Erwartungen zu knüpfen. Der Film bleibt sich nämlich auch in dieser Hinsicht treu: Was er lepidopterologisch zu bieten hat, wird von jedem Urania-Vortrag, der diesem Namen nur halbwegs gerecht wird, mehrfach getoppt.
Trotzdem hat ein – offenbar besonders perfider – Redakteur eines an sich nicht weiter erwähnenswerten Printperiodikums behauptet, der Film halte, „was ‚50 Shades of Grey‘ versprach, aber nicht zustande brachte: Ästhetik, Sex, Witz und Wendungen der Machtverhältnisse“. Ich behaupte dagegen: Der Mann findet offenbar Trost darin, sich für einen vergeudeten Kino-Abend dadurch zu entschädigen, dass er möglichst viele weitere Leute in einen solchen lockt.
„The Duke of Burgundy“, Regie: Peter Strickland. Derzeit in manchen Kinos.

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Hermann Melvilles großem Epos „Moby Dick“ liegt bekanntlich eine wahre Geschichte zugrunde. Am 20. November 1820 wurde das Walfangschiff „Essex“ aus Nantucket/USA im Pazifik, 3.700 Kilometer von der südamerikanischen Küste entfernt, bei der Jagd auf eine Pottwalschule von einem der Tiere während zweier Attacken gerammt und so schwer beschädigt, dass das Schiff von der Besatzung aufgegeben werden musste. Für die Seeleute begann eine über 90-tägige unvorstellbare Strapaze in leichten, offenen Walfangbooten, mit ungenügenden Nahrungsmittel- und Trinkwasservorräten, die letztendlich nur acht von ursprünglich 20 Mann überlebten. Und die in der letzten Phase ihrer Odyssee in Richtung Südamerika auch nur durch Kannibalismus.
Wer diese Geschichte authentisch „erleben“ will, der muss den Bericht lesen, den Owen Chase unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Nantucket verfasst und veröffentlicht hat. Chase war als 1. Offizier der zweite Mann auf der „Essex“. (Seinen Bericht gibt‘s als preiswerte Taschenbuchausgabe bei Piper.)
Demgegenüber ist der Streifen „In the Heart of the Sea“ – wie der Titel schon befürchten lässt – Hollywood-Kino, und das nimmt es bekanntlich um zusätzlicher dramatischer Effekte willen mit der historischen Wahrheit nicht so genau. Die Handlung ist, soweit sie nicht auf der „Essex“ spielt und später die havarierten Seeleute in ihren Nussschalen zeigt, eine ziemlich flache Mischung aus Kitsch und Klischees. Doch was vom Leben auf einem Walfangschiff Anfang des 19. Jahrhunderts, von dessen Kampf mit den entfesselten Elementen, vom Walfang selbst und der anschließenden Verarbeitung der Beute sowie schließlich von den Attacken des Wales auf das Schiff und schließlich auch auf die offenen Boote – die letztgenannten Angriffe haben in der Wirklichkeit nicht stattgefunden – über die Leinwand geht, das macht den Film durchaus sehenswert. Den Rest der Zeit kann man getrost Popcorn mampfen.
„Im Herzen der See“, Regie: Ron Howard. Derzeit in den Kinos.