von Wolfgang Brauer
Kirsten Harms, 2004 bis 2011 Intendantin der Deutschen Oper Berlin, nannte sie die „ABC-Waffen“ der Intendanten, die auch in der miserabelsten Inszenierung jedes Haus füllten: „Aida“-„Butterfly“-„Carmen“. Das bewahrte sie nicht davor, 2008 eine „Aida“-Inszenierung durch Christopher Alden in den märkischen Sand setzen zu lassen. „Es wird eine sehr coole Interpretation“, verriet das Regie-Genie vor der Premiere der staunenden Presse. Zumindest für die Aida der Annalisa Raspagliosi wurde sie das auch. Die Arme wurde vom Wüterich Radames in einer Art Zimmerspringbrunnen ersäuft. Zuvor durfte sie die „amtierende Putzfrau“ (Christine Lemke-Matwey) geben.
Jetzt unternahm die Deutsche Oper einen erneuten Anlauf, sich des ägyptisierenden Verdi-Werkes zu bemächtigen. Diesmal wandelte sich die Putzfrau zur Wurststullen schmierenden Hausfrau. Dieser lusttötende Kelch ging aber von der äthiopischen Sklavin Aida (Tatiana Serjan) an die Konkurrentin Amneris (Anna Smirnova) über. Die ist eigentlich Tochter des Pharaos und in tiefster Liebe zum Berufskrieger Radames (Alfred Kim) entbrannt. Der wiederum liebt nur die schöne Sklavin, die ist nebenher Königstochter beim Feind – Papa wird unerkannt gefangengenommen –, und erwidert diese Liebe. Die Pharaonen-Hausfrau kriegt das natürlich mit, und das Elend nimmt seinen bekannten Lauf. Die Geschichte ist oft genug erzählt und scheint reichlich abgenuddelt. Also muss auf Teufel komm raus „gegen den Strich“ inszeniert werden.
Benedikt von Peter ging das tapfer an: Seine „Aida“ kommt ohne ägyptischen Klimbim aus. Keine bemalten Säulen, keine Straußenfedern schwingenden nubischen Sklaven, keine barbusigen Tempeltänzerinnen – der Chor der Priesterinnen schwebt durch die geöffneten Türen gedämpften Tones vom Foyer in den Saal –, keine Elefanten, nicht ein einziges Dromedar … Einen Teil des Publikums frustrierte das. Es gierte nach den lieb gewonnenen Triumphmarsch-Orgien. Von Peter strich die und anderes gnadenlos. Er setzte vollkommen zu Recht auf die Wirkungskraft der Verdischen Musik – nicht zuletzt in Gestalt der großen Duette und der wundervollen Cantilene zu Beginn des „Nil-Aktes“. Alfred Marquart prägte dafür einmal die Formulierung „psychologisch feinste Charakterisierung der Personen und Situationen durch Musik“. Die wurde hier dank der trefflichen Besetzung der Hauptpartien und behutsamster Stabführung durch den jungen Dirigenten Andrea Battistoni (Isis möge ihn vor übergroßer Hybris bewahren!) in selten zu hörender Schönheit bestätigt.
Die Chorführung William Spauldings bot ein adäquates Pendant. Die Verteilung der Choristinnen und Choristen im Parkett und auf den Seitenrängen lieferte ein ungewöhnlich wuchtiges Klangerlebnis.
Der Regisseur allerdings schwätzte im Programmheft vom „besten Mausoleum, das man bekommen kann“ – und belegte leider, dass er mit seiner eigenen Grundidee, „Aida“ gleichsam als Requiem darzubieten, nicht umgehen kann. Dass dem Radames Zeitungsfotos der „Kollateralschäden“ seines heldischen Tuns an die Brust geheftet werden, ist ja noch irgendwie nachvollziehbar. Dass sich Amneris am Ende der großen Sterbeszene des 4. Aktes das Buttermesser in den Bauch rammen muss ist jedoch einfach nur lächerlich. Ihr „Tutto darei per te“ („Alles würde ich für dich hingeben!“) sollte ernster genommen werden. Der Regisseur erklärte, dass er ein „hohes Risiko“ eingehe, „denn wenn die Sänger nicht spielen“, sei „schnell nichts mehr los“. Stimmt, das ging schief.
Doch der Musik dieser unvergleichlich schönen Oper den Raum verschafft zu haben, der ihr gebührt – das ist die große Leistung dieser Inszenierung.
Am 10. Dezember zum letzten Mal in dieser Spielzeit.
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