von Eckhard Mieder
Im Oktober 1995 fuhr ein gemieteter Fiat Punto durch Israel. In dem saßen meine Frau, meine vier- und meine 15-jährige Tochter und ich. Wir fuhren di kreuz und di quer durch ein Land, von dem ich viel gehört hatte und recht wirklich nichts wusste.
In Jerusalem wurde ein Stein gegen die hintere Scheibe geworfen. Aus einem Transporter heraus, der uns rasend schnell überholte. Auf der Rückbank des Fiats saßen die blonden Töchter. Der Steinwurf hätte, hätte, hätte… Der Fiat hatte, wie anders, wenn man ihn am Flughafen Ben Gurion abholt, ein Tel Aviver Kennzeichen.
Im Stadtviertel Mea Shearim, nie wieder gehe ich dahin, glitten Menschen wie Schatten an uns vorbei. Einige schimpften „Schickse, Schickse“ und meinten, begriff ich, meine „Weiber“. Das eine, das barbeinig auf meiner Schulter saß. Das andere, das grüngefärbte Haare hatte (weil: Punkphase). Das dritte, meine Frau, weil sie – ersichtlich Frau war.
Auf dem Weg nach Haifa, wo wir einen Mann besuchten, der als Jude im Berlin der Nazizeit Jugendlichen den Besuch der Oper „Fidelio“ ermöglichte, kamen wir an Baracken vorbei, in denen schwarzhäutige Juden aus Äthiopien untergebraucht waren. Vor den Cafés in Haifa saßen wunderschöne junge Frauen in Uniform, das Maschinengewehr über die Lehne des Stuhls gehängt.
In einem Kibbuz lernten wir einen Mann kennen, der erst gar nicht mit uns sprechen wollte und vorgab kein Deutsch zu verstehen. Dann aber doch. Er erzählte nicht über von seiner Herkunft, nicht von seinem Schicksal. Er sprach darüber, wie bedauerlich es sei, dass die Kibbuz-Utopie allmählich aus der Gesellschaft verschwand.
An einer Bushaltestelle waren die Namen der Opfer eines Attentats in Stein geschlagen. An das Ufer des Sees Genezareth schwappte der Konsum-Plastik-Müll der 20. Jahrhunderts (falls Jesus jetzt übers Wasser laufen würde, dann über diesen Teppich, wäre möglich und eine Erklärung für seinen Gang).
Auf einem Zeltplatz lernten wir eine Frau kennen, die mit ihren drei Kindern niemals anders ein bisschen Urlaub machen würde als so. Mit einem Zelt auf steinernem Grund. Ihr werdet niemals, sprach die Geldkarte zu ihr und ihren Kindern, einen Petersfisch essen, jedenfalls nicht da, wo die Touristen ihn vorgesetzt bekommen.
An der Grenze zum Libanon hatte ein Faun sein eigenes Reich aus dem Holz und aus den sonstigen Anschwemmungen des Mittelmeeres errichtet. Er lag im Clinch mit dem Staat, ein Streit, der ihm wohlbekam.
Eine drusische Familie im Karmel-Gebirge verköstigte uns wie es die arabische Familie in Sunem tat: randvoll der Tisch, randvoll das Herz. Aus Sunem stammte das Mädchen Abisag, das dem König David beigelegt wurde, als es ans Sterben ging. Aber natürlich war das Dorf nicht mehr das Dorf des Alten Testaments; ebenso wenig, wie das Alte Testament herhalten sollte, meine ich, als Argumentation für heutige (oder 1990er) Zustände.
Irgendwo am Strand des Mittelmeers stand eine voll bekleidete Frau im Wasser und badete ihr voll nacktes Söhnchen, das vor Vergnügen schrie. Irgendwo am Rande der Strecke schenkten uns Erntearbeiter eine Stiege voller Kaktusfeigen. Wir hielten an dem Feld an, weil wir die Früchte, die da geborgen wurden, nicht kannten. Der Großteil der Ernte ginge in die USA, aber warum nicht eine paar Früchte für deutsche Wunderlinge?
Und so weiter und so fort. Diese Reise war ein Märchen voller Schönheit und Schrecken. Sie geht mir nicht aus dem Sinn, seit zwanzig Jahren nicht.
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