von Mely Kiyak
Erst wollte ich es nicht tun. Mir die Günter-Jauch-Sendung vom Wochenende anschauen. In der Zeitung hieß es nämlich, dass Björn Höcke, der thüringische Fraktionschef der AfD, während der Fernsehdiskussion eine Deutschlandfahne ausgepackt habe, um ein Bekenntnis zu diesem Land abzulegen. Ich schaute mir die Sendung doch an und konnte fast nicht hinsehen. Tatsächlich zog der Politiker aus seiner Sakkoinnentasche ein knittriges Fähnlein heraus und legte es über seinen Stuhl. Wenigstens war es die rechte Stuhllehne. Trotzdem! Was für ein mickriges, ungebügeltes Bekenntnis, dachte ich mir. Ich selbst habe schon bei der einen oder anderen Show, mit der ich durch die Lande tingele, eine meterlange Deutschlandfahne herausgezogen und die Bühne damit drapiert. Wenn schon flaggen, dann doch wohl mit Tausend Quadratmeter Fahne, oder? Sich einwickeln und laut „Deutschlaaaand, Deutschlaaaand“ brüllend durchs Studio laufen. Die Arme dabei wie ein Propeller drehen. Das wäre ein Statement! Und nicht so ein mickriges, schlappes Stückchen Stoff. Das hat Deutschland nicht verdient, n’est-ce pas? Oh Gottchen, war das fies!
Das Land gibt es sowieso. Ob sich jemand dazu bekennt oder nicht. Was bedeutet es, wenn man die Fahne auspackt? Ich weiß es nicht. Gut. Ich habe auch nicht Nationalismus studiert. Gibt es das? Nationalismus auf Bachelor?
Ich verstehe nicht, warum es in Deutschland verboten ist, das Hakenkreuz zu zeigen. Ist doch bloß ein Zeichen, dessen Symbolik von vorne bis hinten verquer ist. Das Hakenkreuz wurde 1920 Parteierkennungssymbol der Nationalsozialisten. Mit Einführung des Reichsflaggengesetzes 1935 wurde es an allen öffentlichen Gebäuden gehisst. Das Hakenkreuz stand für die Nazis für die „arische Rasse“. Weshalb steht diese Formulierung in Anführungszeichen? Weil es die „arische Rasse“ nicht gibt. Sie ist, wie fast alles was die Nationalsozialisten propagierten, eine Erfindung.
Deutsche, die während der Nazidiktatur lebten, waren eine gemischte Gruppe mit verschiedenen Herkünften und Religionszugehörigkeiten. Jeder kam von irgendwo her und lebte in Deutschland. Was die meisten Deutschen miteinander teilten, war die Sprache. Deutsch. Damit war man aber nicht automatisch Arier.
Jemand Interesse eine Arierin kennenzulernen? Die Autorin dieser Kolumne ist eine echte Arierin. Die biographischen Wurzeln der Familie Kiyak sind auf die indoarische Sprachfamilie zurückzuführen. Arier sind nämlich Menschen, die beispielsweise Kurmandschi, eine der drei kurdischen Sprachen, sprechen. Das Indoarische ist ein linguistischer Zweig der indoiranischen Sprache. Wie das Romani, das manche Roma sprechen und hundert andere Sprachen, die derzeit von einer Milliarde Menschen verwendet werden.
Die Nationalsozialisten haben in ihrer Rassenlehre – auch wieder eine Erfindung, denn es gibt keine Rassen, sondern allenfalls Völker, beziehungsweise Ethnien – aus den Deutschen Arier gemacht. Und ihnen bestimmte äußerliche Eigenschaften zugesprochen. Blond, groß, blauäugig. Sie haben das damit begründet, dass die Deutschen von den Germanen abstammen würden. Das würde man quasi sehen. Das ist natürlich extrem idiotisch. Echte Arier haben zumeist eine dunklere Hautfarbe und dunklere Haare. Die Vorfahren der Theaterkolumnistin sind vor Urgenerationen mit den Germanen losgewandert und irgendwann bei den Turkvölkern im Osten gelandet. Trotz des germanischem Backgrounds ist das Gegenteil von blond und blauäugig daraus hervor gegangen.
Die nationalsozialistische Theorie, Germane – Arier – Deutsch – Reinrassig, wurde, um die Sache endgültig zu verkomplizieren mit dem Hakenkreuz, illustriert. Das Symbol mit den abgewinkelten Armen ist ein mindestens 10.000 Jahre altes Zeichen, das vielen Kulturen bekannt ist. Völker aus Europa, Asien und auch aus Afrika verwendeten das Kreuz als Symbol für die Sonne oder das Glück. Das Hakenkreuz heißt korrekt Swastika, ein Wort aus dem Sanskrit. Das Hakenkreuz ist also das genaue Gegenteil von etwas Reinrassigen, sondern vielmehr wie die Sonnenblume der Grünen das Zeichen für Multikulturalität, Multiethnizität und Multireligiosität. Das Hakenkreuz ist die Sonnenblume der Völker. Ich trage immer eines im Herzen.
Es ist so langweilig Rechtsextremen und Nazis zuzuhören. Ihre ganze „Das deutsche Volk ist bedroht“-Rhetorik ist so lächerlich und dumm. Das Hakenkreuzgeschmiere ist völlig sinnlos. Weil einem ständig durch den Kopf geht, hä, welches Volk denn, du Luftpumpe? Hakenkreuz, na und? Haben die Inder vor tausenden Jahren schon in den Currysack geritzt.
Einige Leser können sich vielleicht noch an eine der vergangenen Kolumnen erinnern, als es darum ging, Flüchtlinge in ehemaligen Konzentrationslagern unterzubringen. Als diese Woche ein Krimiautor von Katzengeschichten bedauerte, dass die Einrichtungen nicht mehr in Betrieb sind, dachte man doch: Endlich! Jetzt wird es ehrlich. Ab jetzt kann man wirklich miteinander diskutieren. Das Für und Wider von Vernichtung abwägen.
Oh Mann, das wär’s! Wenn jetzt Maybrit Illner eine Sendung machen würde zum Thema: „Konzentrationslager in Europa – Verbot oder Angebot?“ Denn darum geht es doch, oder? Einmal alles bis zum Ende durchdenken. Und nicht bloß Fähnlein schwenken. Und wahnwitzige Sendungen veranstalten mit so verlogenen Titeln wie: „Wird der Hass gesellschaftsfähig?“ Da latschen Tausende von Menschen mit Heiligkeitsstimmung zwei Galgen hinterher, als würde es sich um eine Prozession handeln, täglich werden Heime angezündet und wir diskutieren seit Monaten, ob etwas nicht in Ordnung ist.
Es verabschiedet sich für heute,
Ihre Arierin mit Swastika im Herz,
Mely Kiyak
Kiyaks Theater Kolumne. Mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
Schlagwörter: Arier, Deutschland, Flüchtlinge, Hakenkreuz, Konzentrationslager, Maly Kiyak