von Clemens Fischer
Der deutsche Titel des Films ist, um es diplomatisch auszudrücken, also den Begriff „bescheuert“ zu vermeiden, phantasielos und irreführend, denn in „Inside Out“, so das Original, steht nicht nur nichts Kopf, sondern ist vielmehr alles genau an seinem Platz, und zwar hinter der Stirn der elfjährigen Riley, hinter der sich die faszinierendsten Szenen – und dieser Streifen besteht über lange Strecken weitgehend aus solchen – abspielen. Wer schon immer einmal alles darüber wissen wollte, wie das menschliche Gehirn funktioniert, der wird nach diesem Film zwar im (physiologischen) Detail nach wie vor im Dunkeln stehen, aber doch zumindest eine (prinzipielle) Vorstellung davon haben, wie komplex und kompliziert dieses Organ aufgebaut ist und arbeitet, respektive wie solche Kern-Emotionen wie Freude, Kummer, Furcht, Wut und Ekel (im Film jeweils als eigenständige Figuren mit typischer Charakterzeichnung) in ihrem Wechsel- und Zusammenspiel unser Verhalten steuern. Und diese Vorstellung hat der Zuschauer den Animationsweltmeistern der Pixar Studios („Findet Nemo“, „Ratatouille“) zu danken. Dabei waren die Macher des Films gut beraten, sich auf fünf psychische Grundmuster zu beschränken und andere zentrale (wie Schuldgefühl, Verachtung oder Scham) nicht auch mit eigenständigen Figuren zu versehen, um das Publikum nicht zu überfordern. Es ist auch so schon nicht ganz einfach, in diesem Feuerwerk pausenloser Einfälle und Gags den Überblick zu behalten. Bewundernswert nicht zuletzt, welche Darstellungsweisen die Pixar-Wizards („Hexenmeister“) für Hirnfunktionen wie Langzeitgedächtnis, Vergessen, abstraktes Denken, Träumen und Unterbewusstsein gefunden haben.
Trotzdem ist das Ganze kein Lehrfilm geworden, sondern ein maximal vergnüglicher Kinospaß. (Dazu trägt auch die bis ins Detail stimmige Synchronisation bei – mit so einem netten Zusatzgag, dass zwei Wächtern des Unterbewusstseins, die einen ziemlich dadaistischen Dialog über ihre Kopfbedeckungen führen, dies mit den Stimmen der beiden Kölner Tatort-Kommissare Klaus J. Behrendt und Dieter Bär tun.)
Eine Sache, die dann, wenn man so will, doch Kopf steht, soll angesichts des Gesamturteils nicht überbewertet, aber zumindest benannt werden: Während hinter Rileys Stirn sichtbar Emotionen beiderlei Geschlechts agieren, sind es hinter denen ihrer Eltern, hinter die auch einige Blicke gestattet werden, nur noch weibliche bei der Mutter; dito Bart tragende beim Vater. Und noch eins: Nach der dramatischen Zuspitzung am Ende des Films hätte man durchaus gern etwas mehr darüber gewusst, wie sich das Ganze dann doch noch zu dem Happy Ending dreht, für das die Filmemacher sich in bester Hollywoodmanier entschieden haben.
Mit seiner Story, also über das bisher Gesagte hinaus, ist „Inside Out“ vor allem ein Film für Eltern und solche, die es werden wollen – nämlich darüber, was passieren kann, wenn ein Kind radikal entwurzelt wird, zum Beispiel durch einen Umzug vom Land in die Großstadt. Für diese Zielgruppe auch die Zusatzinformation: Es könnte demnächst einen zweiten, eher noch dramatischeren Teil geben, denn am Schluss des Film taucht auf dem Schaltpult in Rileys Kopf, an dem die Emotionen ihren Dienst versehen, ein neuer, tiefroter Button auf – mit dem Begriff „Pubertät“. Fragt eine der Emotionen: „Was ist denn das?“ Antwortet eine andere: „Ach, irgend so was Unwichtiges“ …
Und apropos Publikumsüberforderung: „Inside Out“ ist zwar ohne Altersbeschränkung in die hiesigen Lichtspielhäuser gekommen, aber ob Kinder unter 10 Jahren dem Geschehen tatsächlich voll folgen können, muss angesichts der Höhe der intellektuellen Latte der Materie zumindest bezweifelt werden.
„Alles steht Kopf“, Regie: Pete Doctor und Ronnie del Carmen; derzeit in den Kinos.
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