von Reinhard Wengierek
Meine Fundstücke im Kunstgestrüpp: Diesmal Nahostler im Westen, Arno an der Warnow, Expo in Milano…
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Ein Reden über die wahnsinnige politische Lage im Nahen Osten heiße mittlerweile kurz nur noch Reden über „the situation“, erklärt die israelische Regisseurin Yael Ronen, die mit ihrem scharfsinnigen, mutig kritischen, vom Journalismus inspirierten Polit-Theater nicht nur hierzulande berühmt wurde. Und so geht es also in ihrem neuen, wahrlich hochspannungsgeladenen Diskurs-Stück „The Situation“ über die nicht allein rein nahöstlichen Konflikte politischer, sozialer, religiöser, ethnischer oder weltanschaulicher Art. Die – sagen wir mal – „Diskutanten“ in Ronens sehr besonderen, sehr persönlich geprägten Talk-Show sind drei „echte“ Palästinenser, ein „echter“ Syrer und eine „echte“ Israelin zusammen mit ihrem Deutschlehrer bei einem Sprachkurs hier in Berlin auf der Bühne des Gorki-Theaters, wobei sich das Biografische der Fünf unversehens vermischt mit dokumentiertem Material anderer Leute mit „Situation“-Hintergrund. So formt Regisseurin Ronen als Autorin mit viel Wissen und Können sowie reichlich Humor, Wortwitz, Sarkasmus aus den realen Personen fiktive Figuren. Deren vehementer, zuweilen brutaler Schlagabtausch (im annoncierten Deutschkurs) wirft grelle Lichter aufs Kleine, aufs Privat-Konkrete dieser Nahostler; etwa deren mit Feindbildern und Traumata, mit Ängsten, Hass, Unwissen und Engstirnigkeit sowie radikaler Ideologie verkleisterten Geistes- und Gemütszustand. Zugleich wird dabei das ganz Große, das Dogmatisch-Politische und Fundamentalistisch-Kriegerische belichtet: Die zerrissene, lichterloh brennende Heimat der Gestrandeten, die bislang permanent in schier unerträglichen auch lebensbedrohlichen Extremsituationen lebten. Nun prallt hier in Berlin bei einem Theater-Deutschkurs das alles mit schonungsloser, ja brutaler Wucht aufeinander. Da kommt komprimiert heraus, was so sonst nur selten ins Öffentliche dringt.
Fürs perplexe Publikum ist das eine ziemliche Erschütterung – zugleich aber auch allerhand Aufklärung durch die direkt (oder indirekt) schrecklich Betroffenen – frei von Betroffenheits-Pathetik, aber auch fast ohne Hoffnung auf Besserung. Eine wenig optimistische Veranstaltung, auch wenn sie zuweilen heftig aufgeschäumt ist mit Insignien der Popkultur, was schließlich zum jugendlichen Alter der internationalen Akteure passt, die übrigens alle überraschend stark sind in ihrer Bühnenpräsenz und ihrer stimmlichen Ausdruckskraft.
Zum Schluss gibt’s eine tolle Pointe: Der Deutschlehrer namens Stefan (Gorki-Star Dimitrij Schaad) erklärt überraschend seinen Migrations-Hintergrund: Er stamme aus Kasachstan, sei als Kind namens Sergej nach Deutschland gekommen, habe wie seine Eltern schwer an der Einwanderung gelitten und sehe sich heute als „Meisterwerk der Integration“ – ein narbenreiches Trotzdem. Ein Hoffnungszeichen; immerhin.
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Arno Rink ist einer, der in tiefsten DDR-Zeiten zwar ein bisschen Lenin, Antifaschismus und Arbeiterklasse malte. Ansonsten aber vornehmlich Menschen: Extrem verrenkt, fest ineinander verschlungen, dabei meist schwebend über Bodenlosem. Lauter Entrückte und Verrückte, Narren und Gaukler, Gefesselte, Entfesselte, stur Insichgekehrte, exzessiv Extrovertierte. Alles starke, kaum durchschaubare Individualisten, vehement mit sich und ihren Süchten und Trieben ringend sowie ihrer offensichtlich schwer erträglichen Sicht aufs Leben wie auf die Welt. Darunter auch unheimliche, teils aus Biblischem hergeleitete, erotisch aufgeladene Figuren (monströse Hintern, stramme Schenkel).
Ein rätselhaftes, grelles, zugleich düster melancholisches und ahnbar symbolisches Panoptikum mit Hund oder auch Pferd. Ein Menschen-Kosmos, kraftvoll und zart und oftmals segelnd ins Transzendente; rauschhaft schwelgend in Farben, monumental. Eine in ihrer Raffinesse und delikaten Könnerschaft kostbare Überwältigungsmalerei – von fern grüßend die Renaissance in Italien und den Surrealismus. – Das alles und noch einiges Unerklärliches mehr ist das Werk von Arno Rink, dem die Kunsthalle Rostock jetzt anlässlich seines 75. Geburtstags eine fulminante Werkschau widmet.
Alles begann an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, also unterm Diktat des „sozialistischen Realismus“, das zu unterwandern einem unabhängigen Geist durchaus möglich war – trotz SED-Mitgliedschaft, trotz Rinks langer Lehrerschaft und zuletzt seines (bis Anfang der 1990er Jahre) Rektorats dieser stilprägenden Anstalt (Rink als graue Eminenz der „Leipziger Schule“). Jenseits aller Zeitläufte schuf dieser Künstler – unter durchaus missbilligendem Blick mancher Genossen – mit inzwischen weltweit bewunderter Meisterschaft sein ureigenes, letztlich schmerzvoll verdunkeltes Bild vom so elenden und gequälten wie erhabenen Menschen.
Da drängt sich die Sotisse aus dem Mund eines seiner Kollegen auf, dass alle DDR-Künstler „Arschlöcher“ seien. Allein schon diese Ausstellung stellt es vom ideologisch verkrampften Kopf auf die Füße einer völlig undogmatischen, staunenswert freien Kunst. Auch das begreift man in Rostock.
(noch bis zum 18. Oktober)
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Von Stazione „Duomo“ unter der sakralen Marmor-Mitte Mailands donnert man mit der Metro-Strecke Nr. 1, rote Linie, in etwa einer Dreiviertelstunde bis Endstation „Rho Fiera“: Das Mailänder Messegelände. Weiter zu Fuß über eine Kilometer lange Brücke, dann erst ist man endlich auf der „Expo 2015“. Motto: „Den Planeten ernähren, Energie für das Leben.“
Noch voller Energie stürzt man sich – nach Zahlung von 34 Euro Eintritt ‑ auf den Planeten, der sich hier mit seinen Länder-Pavillons als globales Dorf präsentiert, das, ganz allgemein, Ideen zur nachhaltigen Produktion von Lebensmitteln sowie deren gerechten Verteilung zur Diskussion stellen will. Es sind die schönen Träume von einer besseren Zukunft, einem friedlicheren Miteinander auf dieser unserer „einen“ Welt. Dass davon nicht nur Nationen träumen, sondern auch weltbekannte Fastfood-Ketten, Getränkehersteller und Produzenten von Süßwaren oder Fitnessgeräten, erstaunt; immerhin präsentieren sich aber auch soziale Vereine sowie die Slow-Food-Bewegung. Und alles ist, so die dicke Ansage, umweltfreundlich installiert – die von den Nationen engagierten Top-Architekten überbieten sich mit Bauten, die um den tollsten Wow-Effekt konkurrieren und obendrein die Nachhaltigkeit nicht vergessen. Dazwischen viel frisches Grün und Wasserplätschern.
Der Wanderweg durchs Weltendorf entpuppt sich als 45 Meter breite und 1,5 Kilometer lange schnurgerade Avenue, überdacht und fußfreundlich beschichtet mit Schaumstoff. Da mag man gerne schlendern und rasten; alle „Aussteller“ locken (auch als Touri-Werbung) mit landestypischen Näschereien; freilich stets für gutes Geld. Dafür gibt’s für lau viel Entertainment von Rock bis Pop und Folk.
Was die einzelnen Länder-„Hallen“ zeigen, ist ein Mix aus Bildung, Spiel und Spaß – man könnte auch sagen: ein High-Tech-gestützter Vergnügungspark der guten Vorsätze, aber eben auch und immerhin: einer gewissen Völkerverständigungsbemühung. Und gar der Körperertüchtigung. So ist im brasilianischen Pavillon ein riesiges schwankendes Netz gespannt, über das die Besucher balancieren – ein (symbolträchtiges?) Gleichgewichtstraining. Bei den Briten kann man mit dem Blickwinkel einer Biene durch Blütenwiesen schwirren bis hin zur stilisierten Wabe, und die Aserbaidschaner zeigen Plastikblumen, die bei Berührung die Farbe wechseln und pässliche Musik absondern. Germany präsentiert sich als drittgrößtes „Forscherland“ weltweit unter dem Slogan „Feld der Ideen“ in einer ballonartig leichten Schalenarchitektur, die elegant stromlinienförmig sich aufschwingt über eine Rampe mit halbrunder Freitreppe (als prima Veranstaltungsarena). Es ist der größte, womöglich auch teuerste Pavillon, der ein mit Technik vollgestopftes interaktives Museum beherbergt, das einem Mitmach-Labor gleicht und Lust machen soll auf vernünftige Ernährung. Der lustvoll erhobene deutsche Aufklärungszeigefinger. Dazu allerhand Futterstellen von vegan bis Eisbein-Sauerkraut nebst bayrischem Biergarten. Und polyglotter Besucherbetreuung in 15 (!) Sprachen. Das alles hat sich herumgesprochen und sorgt beständig für die längste Schlange am Eingang. – Tja, die vielen ermüdenden Warteschlangen! Doch die massenhaft Neugierigen stellen sich alle brav an. Zum Expo-Finale Ende Oktober sollen es zwanzig Millionen gewesen sein, die da durchs globale Dorf wandelten, sich ernährungstechnisch und landwirtschaftspolitisch fortbildeten und am globalen Esstisch gemeinsam schlemmten.
Schlagwörter: Arno Rink, Expo 2015, Kunsthalle Rostock, Mailand, Naher Osten, Reinhard Wengierek, Yael Ronen