18. Jahrgang | Nummer 18 | 31. August 2015

Antworten

Angela Merkel, Kanzlerin – Nahezu täglich laufen derzeit aus Deutschland Meldungen über Brandanschläge und Übergriffe auf Flüchtlingsheime über die Nachrichtenticker. Über 200 solcher Anschläge sind in diesem Jahr bereits aktenkundig geworden. Und obgleich Sie in Heidenau selbst mit Naziparolen wie „Volksverräterin“ beschimpft worden sind, war neben Sprechblasen aller Art Ihre offenbar wichtigste Botschaft Ihr „Danke an jene, die vor Ort Hass ertragen“ – Chapeau!

Siegmar Gabriel, Vizekanzler – Auch Sie haben Heidenau als einen der Orte besucht, an denen Flüchtlingsunterkünfte von hirnlosen Rassisten, von Ihnen zu Recht als „Pack“ bezeichnet, angegriffen werden. „Für die“, so haben Sie festgestellt, „gibt’s nur eine Antwort: Polizei, Staatsanwaltschaft und nach Möglichkeit für jeden, den wir da erwischen, das Gefängnis.“ Das klingt konsequent, wenn da nicht Polizei und Justiz wären. Zwei zwar trunkene, aber berlinweit durch rechte Straftaten längst aktenkundige Neonazis, die in einer Bahn nach diversen Beschimpfungen öffentlich auf die Kinder einer Migrantenfamilie uriniert haben, sind nach Feststellung der Personalien jedenfalls wieder freigelassen worden. Dass ihnen nun – wann und mit welchem Ergebnis auch immer – ein Verfahren droht, dürfte für solches Pack eher eine Adelung als eine Drohung sein.

Jakob Augstein, Spiegel-Online-Kolumnist Mit Blick auf die Ereignisse in Heidenau und anderswo zitieren Sie den Soziologen Wilhelm Heitmeyer, der bereits vor Jahren gewarnt hatte: „Unsere Analysen lassen erwarten, dass eine Zunahme menschenfeindlicher Einstellungen und Verhaltensweisen davon abhängt, inwieweit immer mehr Menschen in unsichere Arbeits- und Lebensverhältnisse, politische Ohnmachtsempfindungen und instabile emotionale Situationen, kurz: in prekäre Anerkennungsverhältnisse geraten.“ Und Ihrerseits ergänzen Sie: „So ist es eingetreten. Je weniger Anerkennung ein Mensch selbst erfährt, desto weniger kann er für andere Menschen aufbringen.“

János Áder, Präsident der Magyaren – „Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass (…) eine Völkerwanderung losbricht und Hunderttausende Einwanderer die Grenzen Ungarns belagern“, haben Sie in einer Rede vor Armeerekruten in Budapest gefragt. Und genau das ist das Problem, denn dass dies einmal so passiert, wie wir es jetzt erleben, hätten langfristig denkende und handelnde Politiker sogar schon vor weit mehr als zehn Jahren wissen können und müssen. Die immer weitere Auseinanderentwicklung von Arm und Reich dieser Welt und die Hausse von Kriegen und anderweitiger Gewalt, waren absehbar – sofern man nicht die Augen davor verschloss. Eben das tat man allerdings allerorten in dieser „Ersten Welt“, nicht nur unter Politikern. Den Überraschten zu spielen und – wie im Falle Ungarns – das so „überraschende Unheil“ durch einen Sperrzaun abwenden zu wollen, ist einfach nur erbärmlich.

Andrzej Kowalzcyk, Gdansker Pfarrer Als einer von mittlerweile rund 130 kirchlich benannten Exorzisten in Polen sind Sie unbestritten ein Experte in Sachen teuflischen Werkes. So haben Sie denn auch die Erfahrung gemacht, dass „ganze politische Parteien vom Satan besessen“ sind. So richtig teilen wir zwar nicht, worauf Ihre Profession beruht, aber wo Sie recht haben, haben Sie wohl recht.

Tuhan, problemindonesischer Schreiner – Vor 42 Jahren haben Ihre Eltern Ihnen den Namen Tuhan gegeben, was indonesisch „Gott“ bedeutet. Nun verlangt der Gelehrtenrat der Religionsbehörde, dass Sie diesen blasphemischen Namen ändern oder mindestens durch „Abdu“ ergänzen, wodurch Sie zum „Diener Gottes“ würden. Bis Sie sich zu einer der geforderten Varianten entschließen, so die Gelehrten, sollten Ihnen alle Sozialleistungen entzogen werden. Ob Sie für jene 42 Jahre, in denen sich niemand an Ihrem Namen gestört hatte, nachträglich Buße zu tun haben, steht als Behördenurteil noch aus.

Andrea Camillieri, Multi-Talent mit Händchen für crime Sie reüssierten als Drehbuchautor, Theater- und Fernsehregisseur sowie Schriftsteller. In letzterem Metier können Sie durchaus auch andere Genres bedienen, aber als Krimiautor sind Sie einer mit Suchtpotenzial. Ihre Reihe um den sizilianischen Kommissar und Gourmand Salvo Montalbano, mit dessen Namen Sie einen anderen modernen Krimiklassiker ehren, Ihren leider schon verstorbenen spanischen Kollegen Manuel Vázquez Montalbán, ist in deutscher Übersetzung, wenn wir richtig gezählt haben, inzwischen beim 20. Band angekommen, und einige weitere harren noch der Übertragung. Wir können es kaum erwarten, der Aufklärung weiterer Verbrechen beizuwohnen, die sich im ansonsten ziemlich verschnarchten fiktiven Kleinstadtkaff Vigàta mit einer Zwangsläufigkeit zu ereignen scheinen wie im Chicago der 30er Jahre, dabei regelmäßig über regionale Kulinarika ins Bild gesetzt zu werden und dem wogenden Auf und Ab der Beziehung zu Salvos – Wir dürfen ihn doch so nennen? – ewiger Verlobter Livia zu folgen, die endlich zu ehelichen er sich offensichtlich ebenso wenig entschließen kann wie die Hände ganz von ihr zu lassen.
Am 6. September feiern Sie Ihren 90. Geburtstag, und da man in Ihrem Alter kaum noch abergläubisch sein dürfte, gratulieren wir jetzt schon einmal auf das Herzlichste!

Dr. Azubi, Lehrling der Zukunft – Noch trägt diesen Namen ein Internetportal des Deutschen Gewerkschaftsbundes, mit dem jungen Menschen der Übergang in die Berufsausbildung durch Rat und Tat erleichtert werden soll. Nun reüssiert der Bewerber auf einen Ausbildungsplatz schon heute sehr oft nur, wenn er durch nachgewiesenes Abitur weniger bildungsqualifizierte Schulabgänger auf die Plätze verweisen kann. Und so dürfte es absehbar sein, dass irgendwann ohne eine vorgelegte Promotion bei der Wahl des Ausbildungsberufs nichts mehr geht. Auf welcher Strecke alle anderen bleiben, darüber gibt nun wieder das Arbeitsamt hilfreiche Auskunft.