von F.-B. Habel
„Noch der niedrigste Pazifismus hat gegen den edelsten Militarismus tausendmal recht! Es gibt kein Mittel, das uns nicht recht wäre, den Moloch des Kriegswahnsinns und des Staatswahnsinns zu bekämpfen.“ So Kurt Tucholsky anlässlich des Verbots der Remarque-Verfilmung „Im Westen nichts Neues“ 1930. Der von der amerikanischen Universal hergestellte Film eines deutschen pazifistischen Autors wirbelte viel Staub auf. Der Film habe eine „ungehemmte pazifistische Tendenz“, hieß es im Protokoll der Filmoberprüfstelle, und wenn eine derartige Darstellung auf die Menschen treffe, könne „bei der heutigen seelischen Not nicht ausbleiben, daß Explosionen“ entstünden. Damit hatte sich der Produzent Carl Laemmle erneut Feinde in der reaktionären deutschen Rechten geschaffen.
Wer sich in der Filmgeschichte auskennt, weiß, dass Carl Laemmle mit der Universal einer der großen amerikanischen Produzenten der Stumm- und frühen Tonfilmzeit war. Laemmle wurde noch vor dem ersten Weltkrieg zu einem der Gründerväter Hollywoods. Dass der Verlag Hentrich & Hentrich ihm jetzt eine Bildbiografie widmet, ist dem Umstand geschuldet, dass Laemmle (oder Lämmle, wie er zunächst hieß) 1867 in einer jüdischen Familie im württembergischen Laupheim zur Welt kam und bis zu seinem Tode in Beverly Hills im September 1939 wenige Tage nach Kriegsbeginn mit der Heimat in engem Kontakt blieb. Der Laupheimer Historiker Udo Bayer stand mit der Familie Laemmle (darunter mit Carl Laemmles kürzlich 105jährig verstorbenen Nichte Carla) in Kontakt und kann in diesem Band zahlreiche Fotos und Dokumente über die Familie und die jüdische Gemeinde Laupheims bis ins 19. Jahrhundert zurück präsentieren. Nachvollziehbar wird der Weg von Oberschwaben in die USA, originale Zeitungsartikel der deutschen Minderheit beispielsweise in Wisconsin werden wiedergegeben. Laemmle versuchte sich in verschiedenen Professionen, war Werbestratege einer Textilfirma und avancierte vom Kinobesitzer zum Verleiher, bevor er die Filmproduktion begann.
Mit dem Ersten Weltkrieg begannen die politischen Querelen für den Mann zwischen zwei Nationen. Er hatte „deutschfeindliche“ Streifen produziert, kam aber nach dem Krieg mehrfach in die alte Heimat zurück, um den Laupheimern mit umfangreichen Zuwendungen auf die Beine zu helfen. Doch es gab Neider, wie einer Polemik der München-Augsburger Abendzeitung von 1921 zu entnehmen ist: „Karl Laemmle ist durch seine Schimpffilme gegen Deutschland Millionär geworden; als er dann Deutschland besuchte (wo man ihn hätte fassen und vor Gericht stellen sollen!), schenkte er seiner Vaterstadt ganze – 10.000 M. Leider ist dieses Geschenk wohl in Unkenntnis der wahren Gesinnung Laemmles angenommen worden.“
Im selben Jahr mussten Laupheims Stadtväter auf Druck des württembergischen Innenministeriums die 1919 an ihren großen Sohn verliehene Ehrenbürgerschaft wieder zurücknehmen. Laemmle ließ sich nicht beirren, sammelte in Kalifornien Kleiderspenden, die er 1923 „für unsere armen Klassen“ nach Laupheim sandte, wo sie „ohne Unterschied der Konfession“ verteilt werden sollten.
Noch im Frühjahr 1932 sammelte Laemmle 40.000 Dollar ein, um dem klammen Olympischen Komitee eine repräsentative Teilnahme deutscher Sportler an den Olympischen Spielen in Los Angeles zu ermöglichen – und gab selbst den größten Betrag. Seit 1928 betrieb er die Deutsche Universal, die noch bis 1934, nun schon in Nazi-Deutschland, unter anderem Filme von Luis Trenker produzieren konnte.
Bereits im Juni 1933 wurde die Laupheimer Carl Lämmle-Straße umbenannt. In Streichers Stürmer erschien ein Hetzartikel von einem gewissen Fritz Brand, in dem es über Carl Laemmle hieß: „Er eröffnete ein kleines Kino in Chicago, nach und nach weitere in verschiedenen Städten Amerikas und Canadas und ist heute einer der mächtigsten Rassenschänder der neuen Welt. Die für seinen Beruf nötigen Kenntnisse lieferte ihm sein Talmud. Dieser Talmud machte aus dem kleinen Laupheimer Schmierjuden den (…) heute vielfachen Millionär, auf dessen Wink viele Tausende gehorchen! Armes Amerika!“
Laemmle, der 1936 die Universal verkaufte, engagierte sich vehement für die Verfolgten in Deutschland. Er übernahm bis zu seinem Tode etwa 300 Bürgschaften für deutsche jüdische Familien und forderte andere wohlhabende Juden in den USA auf, es ihm gleichzutun. Damit rettete er viele Menschen vor Nazi-Terror und Tod.
Carla Laemmle und andere Angehörige konnten 1994 in Laupheim ein Carl-Laemmle-Gymnasium einweihen, an dem an ihn erinnert wird und wo Bayers Laemmle-Buch sicherlich einen Ehrenplatz erhält.
Udo Bayer: Carl Laemmle – Von Laupheim nach Hollywood, Hentrich & Hentrich Verlag, Berlin 2015, dt. und engl., 128 S., 24,90 Euro
Schlagwörter: Carl Laemmle, F.-B. Habel, Filmgeschichte, Laupheim, Udo Bayer