von Otfried Nassauer
Das Beschaffungswesen ist seit Jahren ein Sorgenkind der Bundeswehr. Die deutschen Streitkräfte bekommen nur selten neue Waffen, die halten, was versprochen war, die kosten, was vereinbart wurde und die zudem noch pünktlich geliefert werden. Ursula von der Leyen war nicht einmal drei Monate im Amt, da schien es, als wolle die neue Verteidigungsministerin den Stier bei den Hörnern packen. Damals stellte sie fest: „Viele Großprojekte halten weder Zeit- noch Finanzrahmen ein. […] Das ist kein haltbarer Zustand.“
Mittlerweile hat die Ministerin ihr führendes Personal ausgetauscht, externe Berater ins Haus geholt, um Rüstungsvorhaben zu durchleuchten, und begonnen, die zivilen und die militärischen Strukturen des Beschaffungswesens zu reformieren. Nur die Industrie wurde ausgeklammert. Sie soll sich offenbar selbst kurieren – im Dialog mit der Beschaffungsbürokratie. Ist also alles auf dem Weg zum Besseren?
Das zu beurteilen, dafür ist es wohl noch zu früh. Ob die Industrie in Zukunft wieder vertragstreu liefert und ob die Reformen im administrativen Bereich dies auch sicherstellen können, bleibt abzuwarten. Es ist lediglich eine Hoffnung.
Zu den Schwachstellen des deutschen Beschaffungswesens, die die beauftragte Unternehmensberatung KPMG identifiziert hat, gehörte im Übrigen noch eine weitere. Ursula von der Leyen benannte sie im vergangenen Jahr fast beiläufig, als sie den Bericht der Berater entgegennahm: „Handwerkliche Fehler im Verteidigungsministerium, aber auch handwerkliche Fehler auf Seiten der Industrie, die ganz klar benannt werden müssen und politische Einflussnahme (Hervorhebung – O.N.) und dann kann man aus diesem ganzen Gebräu heraus sehen, dass die Diagnose, wenn auch schmerzhaft, richtig ist und uns auch sehr kostbare Hinweise darauf gibt, wo wir Veränderungen herbeiführen müssen. Und an diese Arbeit machen wir uns jetzt.“
Politische Einflussnahme – den Beratern war aufgefallen, dass manche Rüstungsvorhaben auch daran kranken, dass sie in erster Linie aus politischen Gründen unbedingt gewollt wurden. Die Hubschrauber Tiger und NH90 zum Beispiel – Projekte, die die deutsch- französische Zusammenarbeit stärken sollten. Die Berater übersahen auch nicht, dass es politische Einflussnahme aus dem Parlament gibt. Dort sitzen Abgeordnete, die regionale oder sektorale Wirtschaftsinteressen und natürlich auch ihre Wahlkreisinteressen vertreten. Die Abgeordneten der Regierungsparteien verstehen sich in der Regel als politische Gestalter. Sie arbeiten daran, Interessen, die sie vertreten, durchzusetzen. Damit aber können auch sie zu einer Ursache für Probleme im Beschaffungswesen werden.
Das zeigt sich dieser Tage: Während das Verteidigungsministerium noch daran arbeitet, die bestehenden Probleme bei Rüstungsvorhaben wieder in den Griff zu bekommen, ist die Ministerin zusammen mit Abgeordneten aus den Regierungsfraktionen eifrig dabei, neue Beschaffungsvorhaben vorzubereiten und die Industrie mit neuen Aufträgen zu füttern. Die Liste ist lang. Zu den Projekten gehören:
– der umstrittene Kauf von neuen Marinehubschraubern;
– die Beschaffung eines zweiten Loses von Radpanzern des Typs Boxer;
– der Bau von vier Mehrzweckkampfschiffen des Typs MKS 180;
– MEADS, ein neues Luftverteidigungssystem ;
– die Entwicklung einer europäischen Aufklärungs- und Kampfdrohne;
– die Wiederaufnahme des gescheiterten Drohnenprojektes Eurohawk;
– die Modernisierung vorhandener Kampfpanzer des Typs Leopard 2; und
– Vorstudien der Entwicklung eines neuen Kampfpanzers, des Leopard 3.
Zusammen geht es um weit mehr als zehn Milliarden Euro, die für diese Vorhaben nötig sind. Und es kann zudem gut sein, das die Liste noch nicht vollständig ist. Denn es gilt ja zum Beispiel auch, die Konsequenzen aus dem Debakel um das Sturmgewehr G36 zu ziehen.
Viele dieser Vorhaben wurden zunächst von Parlamentariern ins Spiel gebracht. Der Verteidigungsausschuss beschloss bereits im vergangenen Jahr, die Projekte Boxer, Leopard 2-Modernisierung, Leopard 3-Entwicklung und das Luftverteidigungssystem MEADS anzugehen. Der Sprecher der SPD in diesem Ausschuss, Rainer Arnold, setzte sich schon damals zum Beispiel vehement für die Weiterführung von MEADS ein:
„Deutschland ist jetzt schon gut im Bereich der bodengebundenen Luftverteidigung; das ist ein richtiges Argument. Wir haben schon viel Geld ausgegeben, auch für die Weiterentwicklung – Stichwort MEADS. Die deutsche Wirtschaft hat im Bereich Sensorik und bei anderen Technologien auf dem Weltmarkt die Marktführerschaft inne beziehungsweise besitzt hohe Fähigkeiten. Deshalb wäre es klug, die bodengebundene Luftverteidigung zu einem Schwerpunkt der deutschen Verteidigungspolitik zu machen und den Bündnispartnern anzubieten.“
Doch was der Traum der Verteidigungspolitiker sein könnte, dürfte der Albtraum seriöser Haushaltspolitiker sein. Um diese Vorhaben zu realisieren, ist deutlich mehr Geld notwendig, als im Verteidigungshaushalt vorgesehen ist. Auch die acht Milliarden Euro, die Finanzminister Schäuble seiner Kollegin von der Leyen bei den letzten Haushaltsberatungen für vier Jahre zusätzlich zugestanden hat, werden dafür bei weitem nicht reichen. Neue Rüstungsprojekte starten kann daher nur, wer eine erneute Finanzspritze für die Bundeswehr ins Auge fasst. Nach den Vorstellungen der Verteidigungspolitiker der Großen Koalition soll das mit den nächsten Haushalten geschehen.
Unabhängig davon, ob die Probleme der Vergangenheit tatsächlich einer Lösung zugeführt werden, plädieren die Verteidigungspolitiker beider Regierungsfraktionen also für ein altes Allheilmittel politischer Führung: Sie schlagen vor, die noch immer ungelösten Probleme des Beschaffungswesens mit zusätzlichem Geld und neuen Rüstungsvorhaben zu übertünchen.
Dabei deutet sich bei etlichen der neuen Projekte schon jetzt an, dass sie erneut Probleme hervorrufen werden. Die kürzlich bestellten Marinehubschrauber sind nach Ansicht vieler Fachleute für die ihnen zugedachten Aufgaben nicht geeignet. Bei den geplanten Drohnen gilt im Blick auf deren Zulassung für zivil genutzte Lufträume das Prinzip Hoffnung. Und das geplante Luftverteidigungssystem MEADS wird scheinbar wieder einmal und gegen alle negativen historischen Erfahrungen mit besonders komplexen und überfrachteten Systemvorgaben als eierlegende Wollmilchsau ausgelegt. Es soll möglichst als Luftabwehrsystem gegen Bedrohungen aller Art und in äußerst unterschiedlichen Einsatzszenarien ausgelegt werden – von der Bündnisverteidigung bis zum Einsatz bei Militärinterventionen.
Es ist durchaus möglich, dass die Verteidigungspolitiker der Großen Koalition diese Legislaturperiode vor allem nutzen wollen, um möglichst viele neue Beschaffungsvorhaben auf den Weg zu bringen und damit industriepolitisch gestaltend zu wirken. Doch sicherheitspolitisch ist dieses Vorgehen mehr als fragwürdig: Es greift dem Ergebnis des Prozesses zur Erarbeitung eines neuen Weißbuchs vor, in dem die künftigen Aufgaben der deutschen Streitkräfte fest- gelegt werden sollen. Daraus wären dann die Fähigkeiten der Bundeswehr abzuleiten. Nun wird das Pferd offenbar vom Schwanz her aufgezäumt: Zunächst wird über militärische Fähigkeiten entschieden und erst danach über die Aufgaben geredet, die man hofft, mit diesen Fähigkeiten erfüllen zu können. Politische Einflussnahme gestaltet dann vor allem eines: Die Beschaffungsprobleme der Zukunft.
Schlagwörter: Beschaffung, Bundeswehr, Ottfried Nassauer, politische Einflussnahme, Rüstung, Ursula von der Leyen