von Hans-Peter Götz, z. Z. Ozon, Departement Ardèche
Die mittelgebirgigen, wald-, wiesen- und feldreichen, von zahllosen Dörfern und Kleinstädten durchwirkten Departements Ardèche und Drôme in der französischen Region Rhônes-Alpes erstrecken sich südlich des Verwaltungssitzes Lyon beiderseits der Rhône, die in dieser Gegend als breiter, ruhiger Strom ihrem Ruf als wasserreichster Fluss unserer gallischen Nachbarn vollauf gerecht wird.
Unser Ferienquartier – nahe Ozon direkt auf dem Gipfel eines der hohen felsigen Hänge gelegen, die hier stromabwärts, jedoch nur Ardèche-seitig, dem mäandernden Fluss seinen Lauf quasi vorgeschrieben haben, – bietet einen phantastischen Weitblick über Landschaft, Siedlungen, auch einige Industrieanlagen, am Drôme-Ufer sowie hin und wieder auf ein nobles Flusskreuzfahrtschiff oder einen Lastkahn, letztere meist mit ein bis zwei PKWs an Deck hinter der Steuerbrücke.
Blickfang direkt am jenseitigen Ufer ist Saint-Vallier, eine betuliche Kleinstadt. Um 1500 hatte im dortigen Schloss Diane de Poitiers das Licht der Welt erblickt, die später – ebenso klug wie schön und mutig – als Mätresse Heinrichs II. französische Geschichte mit schrieb. Diesen Heinrich, der ihr bis zu seinem Tode mit Haut und Haar verfallen war und den sie beherrschte, hatte sie sich als seine Gouvernante zielgerichtet geangelt. Da war er noch Dauphin und erst 17 Jahre jung, sie hingegen bereits 37 und schon Witwe. Auf Diane waren wir bereits einige Jahre zuvor bei einem Aufenthalt an der Loire gestoßen – in dem entzückenden Château de Chenonceau, einem Wasserschloss aus der Renaissance, dessen Galerie den Cher, einen Nebenfluss der Loire, überbrückt. Dieses Château hatte Heinrich ihr geschenkt, kaum dass er König geworden war. Seine Gattin, Katharina von Medici, hatte gegen die Rivalin keine Chance und musste sich in die dauerhafte ménage à trois fügen. Hin und wieder paktierten die beiden Damen allerdings auch, etwa wenn weitere potenzielle Rivalinnen ihre Reize dem König allzu freimütig feilboten. Im Falle der Lady Fleming, einer überaus reizvollen Schottin aus dem Gefolge der Maria Stuart, die bekanntlich einen Teil ihrer Kindheit und Jugend am französischen Hof verbrachte, war das stutenbissige Gespann erfolgreich. Aber auch Diane bekam ihr Fett schließlich doch noch weg, als Heinrichs verstorben war: Katharina forderte Chenonceau zurück …
Im unmittelbaren Hinterland unseres Urlaubsquartiers breiten sich in voller Frucht stehende Süßkirsch-Plantagen aus, die wir im Übrigen, ebenso wie solche mit Aprikosen und Pfirsichen, unterwegs vielerorts antreffen. Die frische Ernte wird an den Haupt- und Nebenverkehrswegen direkt von Produzenten feilgeboten. Wir schwelgen in frischem Obst und dank der immer wieder ein Fest für die Sinne bietenden Wochenmärkte in größeren und kleineren Ortschaften auch in anderen regionalen Produkten – vom fromage bis zum salami. Und, wir müssen uns zu unserer Schande schuldig bekennen, auch ein Gläschen fois gras de canard ist dabei. Monbazillac (Likörwein) oder Sauternes (Süßwein) allerdings, die man hier üblicherweise dazu trinkt, sind uns bei der hier herrschenden Affenhitze, die auch zu abendlicher Stunde kaum nachlässt, zu schwer. Wir ziehen daher gut gekühlte heitere Rosés aus der Umgebung vor.
Eine unserer ersten Touren führt uns 70 Kilometer Rhône abwärts zu den Gorges de l’Ardèche, wahrlich beeindruckenden engen Schluchten, die dieser Nebenflluss der Rhône – zur jetzigen Zeit mit eher niedrigem Wasserstand und immer wieder frei liegenden Geröllstreifen und -inseln – in den Fels gegraben hat. Von Vallon-Pont-d’Arc aus bis St-Martin-d’Ardèche kann man das Abenteuer einer 32 Kilometer langen Kanufahrt genießen, so man über hinreichend praktische Erfahrungen mit Stromschnellen verfügt, von denen es auf dieser Strecke in etwa so viele gibt, wie sie Kilometer zählt. Da unsere Kanupraxis über Spreewald-Fliese nicht hinausreicht, bevorzugen wir die hoch gelegene, kurvenreiche Uferstraße und kommen dank gut eines Dutzends touristenfreundlich ausgebauter belvédères entlang der Strecke auch so auf unsere Kosten. Nahe der berühmten Pont d’Arc, der über 60 Meter breiten und 50 Meter hohen karstigen „Brücke“ über die Ardèche, gibt es einen großen Parkplatz, so dass man das Naturwunder aus nächster Nähe bestaunen kann. An heißen Tagen empfiehlt sich die Mitnahme von Badebekleidung, da der Fluss an dieser wie an anderen Stellen zum kühlen Bade lädt.
Zum Verzicht auf das Kanu bestärkt hatte uns übrigens … Aber der Reihe nach.
Auf unserer Fahrt nach Vallon-Pont-d’Arc waren wir zunächst immer der D86 gefolgt, direkt an der Rhône entlang, bis Bourg St Andeol. Dann ging es über die D4 in die Berge. Hinter St-Remèze war beste Mittagszeit, wovon auch leichter Hunger kündete, aber landschaftlich war gerade nirgendwo angesagt. Und in eben diesem Nirgendwo passierten wir plötzlich und völlig unvermutet eine matt an ihrem Fahnenmast am Straßenrand erschlaffte Nationalflagge. Eine deutsche. Mehr hatten wir bei Tempo 90 erst mal gar nicht wahrgenommen. Doch zu induzierter Neugier und einem flotten Wendemanöver bei nächster passender Gelegenheit reichte das allemal. So entdeckten wir die Auberge La Table d’Aurèle, die wir hier frank und frei zum Geheimtipp adeln und weiterempfehlen, denn in einem urigen Gemäuer und sommers auf einer überdachten Terrasse, auf deren Balken ein Kater schlummerte, zum dem sich später weitere Katzen gesellten, aßen wir zwar einfach, aber ausnehmend vorzüglich. Eine Speisekarte gibt es nicht; serviert wird ein Drei-Gänge-Menü aus Salat, Hauptgang und Dessert. Und das – samt Baguette, Mineralwasser und einem halben Liter Rosé – für ganze 50 Euro. In Frankreich! Der Maître entpuppte sich als gesprächsfreudiger Landsmann aus Kiel, etwa unseres Alters, den es nach zwölf Jahren als Flugzeugmechaniker bei der Bundeswehr schließlich an diesen Flecken verschlagen hatte, an dem er ein, euphemistisch gesprochen, Handwerkerobjekt zum Wohnhaus und Restaurant reanimiert hat. Ob wir an die Ardèche wollten, fragte er uns nach dem Essen, und ob wir verheiratet seien. Die Kanutour empfehle er gern unverheirateten Paaren, die hinterher oftmals viel besser wüssten, ob oder besser gesagt, dass sie vielleicht doch nicht so optimal zueinander passten. Er habe da in den Kanus und insbesondere an den Stromschnellen Szenen beobachtet …
Ein paar Tage später führt uns eine weitere Tour – 60 Kilometer in nordwestlicher Richtung – bis auf den Crêt de la Perdix. Der ist mit seinen 1.432 Metern die höchste Erhebung des Mont Pilat im östlichen Zentralmassiv und liegt schon im benachbarten Departement Loire. Seinen Gipfel muss, wer schlecht zu Fuß ist, nicht komplett besteigen, denn bis knapp unterhalb des Gipfels ist der Berg gut befahrbar. Die Wege auf den letzten Höhenmetern waren teilweise mit einem dichten, sich an den Boden schmiegenden rundhalmigen Gras bewachsen, dass es eine Lust ist, darauf barfuß bis knapp unterhalb der kahlen Bergspitze zu laufen. Auf derselben – ein 360-Grad-Rundblick, wie man ihn sich nicht alle Tage erwandern kann, und noch dazu, wenn die Sicht sehr klar ist, mit einem atemberaubenden Sahnehäubchen: Dann türmt sich am östlichen Horizont über den immer höher werdenden Berge noch eine massive, majestätische schneeweiße Spitze auf: der Mont Blanc, mit seinen über 4.800 Metern zweithöchster Berg Europas. Die Sichtweite beträgt dann immerhin 140 Kilometer.
Die nächste größere Kleinstadt von unserem Quartier aus ist Tournon, das bereits 814 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Von dort starten wir auf einer für Touristen liebevoll wieder hergestellten eingleisigen Schmalspureisenbahnstrecke an den Hängen der Gorges du Doux, eines weiteren Nebenflusses der Rhône, mit dem Train de l‘Ardèche zu einer Fahrt mit Dampflok und offenen Wagons. Die Streckenführung erscheint gewagt bis halsbrecherisch – auf der einen Seite steiler Fels, zum Anfassen nah, auf der anderen gähnender Abgrund, auch nicht weiter entfernt. Unsere Platzierung im ersten Wagon erweist sich als suboptimal, denn ein Teil der Flugasche der Lok landet in demselben. Auf der Rückfahrt genießen andere dies, denn auf halber Strecke, an der Station Colombier le Vieux – Saint-Barthélémy le Plain manövriert sich die Lok ans hintere Ende des Zuges, und die Rückfahrt beginnt. Wieder mit abenteuerlichen Landschaftseindrücken.
Von Tournon gelangen wir über die Passerelle Marc Seguin nach Tain-l’Hermitage am Drôme-Ufer. Diese Hängebrücke für Fußgänger befindet sich an jener Stelle, an der bereits 1825 von dem Ingenieur Marc Seguin, einem Neffen der Gebrüder Montgolfier, der in seinem Leben insgesamt 186 Brücken bauen sollte, eine erste Hängebrücke errichtet worden war.
Tain-l’Hermitage beherbergt ein kulinarisches Kleinod: Dort produziert die Marke Valrhona edle Schokoladen und Konfiserien, Kakaopulver und dergleichen süße Verführer mehr. In einem höchst modernen und ansprechend gestalteten Museum, der Cité du Chocolat Valrhona (mit deutschem Videoguide!) kosten wir nicht nur diverse Sorten, sondern informieren uns vor allem auch über den Anbau von Kakao in den Tropen, die Ernte und Verarbeitung der Früchte und Bohnen bis hin zur geschmacklichen Veredelung durch Gewürze, Früchte und andere natürliche Zusätze. Im zur Cité gehörenden Shop schließlich haben wir die Qual der Wahl. Wir entdecken Mandeln im Kakaomantel, die wir außerordentlich schätzen, obwohl diese Leckerei von anderen Herstellern bisweilen überzuckert daherkommt. Nicht so bei Valrhona – die Süße ist dezent und beschränkt sich auf ihre Rolle als Sesam-öffne-Dich für das exzellente Aroma des Kakaos und den eleganten Geschmack der Mandeln.
Mit dem Besuch in der Cité du Chocolat endete leider unsere schöne Zeit in Frankreich auch schon.
Nachsatz: Wie eingangs erwähnt, sind die Ardèche und die Drôme mittelgebirgig. Sämtliche Straßen aus dem Tal der Rhône ins Hinterland, zumindest – gefühlt – sämtliche, die wir befahren haben, bestanden aus – nochmals: gefühlt – ausschließlich Serpentinen. Daher werden wir, wo immer wir in diesem Jahr noch auf den Hinweis „kurvenreiche Strecke“ stoßen, stehenden Fußes – gemeint ist hier der auf dem Gaspedal – wieder umkehren!
* – Teil 1 – „Lyonnaiser Impressionen“ – ist im Blättchen 14/2015 erschienen.
Schlagwörter: Ardèche, Drôme, Frankreich, Hans-Peter Goetz