von Arndt Peltner, Oakland – N’Djamena
Drei Fragen wurden mir mehrmals vor der Abreise gestellt. Wo liegt der Tschad? Gibt es da Ebola? Köpfen sie da auch Journalisten? Ich wollte mich vorbereiten, doch viel lässt sich nicht über den Tschad finden. Ich griff sogar zum Buch eines Missionarsehepaars mit dem Titel „Tschad, Land ohne Hoffnung?“. Die Reise konnte beginnen.
N’Djamena ist die Hauptstadt des Tschad, eine Dritte-Welt-Metropole ohne Charme. Es ist heiß, schwül und staubig. In Gesprächen mit dem deutschen Botschafter Helmut Kulitz, dem Landesbüro der Hilfsorganisation Care, dem Leiter der UN Mission Thomas Gurtner dreht sich alles um die Sicherheitslage im Land. Der Tschad sei stabil, heißt es, doch die Gefahr einer Destabilisierung von außen bestehe.
Drei volle Tage sind wir in der Hauptstadt; wir das ist Sabine Wilke von Care Deutschland und ich. Sie schult die lokalen Mitarbeiter der Hilfsorganisation in der Medienarbeit, ich schaue mir noch andere Projekte an, bevor wir „ins Feld“ fahren, in den Süden des Landes.
Eines dieser Projekte ist das Zentrum für Unterernährung der Hilfsorganisation Alima, das 2012 eröffnet wurde. Hierhin werden Kinder gebracht, die kurz vor dem Verhungern sind. Im Tschad herrscht Hunger, auch in der Hauptstadt. 2013 wurden hier rund 5.000 Kleinkinder aufgepäppelt, doch für viele kam jede Hilfe zu spät. In einem kleinen Aufnahmeraum werden neue Patienten registriert. Ein Baby schreit, als es vermessen und gewogen wird. Gegenüber liegt das Haupthaus, zwei größere Zimmer, daneben eine Intensivstation, ein kahler Raum. Dahinter noch zwei Zelte, es herrscht Platzmangel. Die Kinder sind mit ihren Müttern untergebracht.
Hier arbeitet auch Juliane Wünsche, Ärztin aus Leipzig. Sie beschreibt den Tschad als „das krasseste Land“, in dem sie bislang arbeitete. Zuvor war sie im Kongo, in Ruanda, Burundi und Asien eingesetzt. „Der Tschad ist bislang das härteste, was ich gesehen habe. Die Leute sind viel ärmer, das Leben hier ist viel teurer, selbst für die Einheimischen. Für Lebensmittel bezahle ich in Deutschland weniger als hier. Und die Fälle an Unterernährung, die ich hier gesehen habe, so schlimm habe ich sie vorher noch nicht gesehen.“ Die Hilfsorganisation Alima tut, was sie kann, doch ist selbst sie von der Nachfrage überwältigt.
Einen Tag später fliegen Sabine Wilke und ich mit einer Maschine der UN nach Moundou. Von dort geht es mit Geländewagen weiter in den Süden, in die Kleinstadt Gore. Hier ist einer der Außenposten von Care. Von hier werden verschiedene Lager betreut, Flüchtlinge und tschadische Rückkehrer aus der Zentralafrikanischen Republik. Die Grenze ist nur 20 Kilometer von Gore entfernt. 30 Kilometer nördlich von Gore liegt das Camp Dosseye. Es existiert schon seit Jahren, einige der Flüchtlinge leben schon seit 2008 hier. Sie haben die Hoffnung auf Rückkehr nicht aufgegeben. Irgendwann, wenn Frieden ist, sagen einige, wollen sie wieder zurück. Bis dahin leben sie hier, in Zelten aus Planen der UN-Flüchtlingskommission, in Lehmhütten, in einfachsten Verhältnissen.
Die Hilfsorganisation Care ist hier vor Ort aktiv. Das Lager wurde im Nichts errichtet. Brunnen und Toiletten mussten gebaut, Flüchtlinge angelernt werden, wie man diese instand und sauber hält. Das macht Care. Daneben sind die lokalen Mitarbeiter der Organisation erster Ansprechpartner bei vielen Problemen, die auftreten. Care versucht, den Auf- und Ausbau einer funktionierenden Infrastruktur zu unterstützen. Das reicht von Frauengruppen, einer Kinderbetreuung mit anschließender Speisung bis hin zu psychologischen Beratungen vieler Traumapatienten.
Wir sind im Lager unterwegs und werden überall freundlich aufgenommen. Um uns herum immer eine Gruppe Kinder. Viele der Geflüchteten haben Unvorstellbares erlebt und durchlebt. Der 25-jährige Abdoulaye Moussa ist seit Februar in Dosseye. Er musste vor der Gewalt aus Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, flüchten. Er ist Moslem. Seine Frau ist Christin, sie und der gemeinsame Sohn sind noch in Bangui. Moussa erzählt, dass nachts viele Menschen im Lager durch die Dunkelheit wandern, sie können vor Alpträumen nicht schlafen. Im Laufe des Gesprächs wird deutlich, dass er einer von ihnen ist.
Berthe Ilo ist 48 Jahre alt. Ihre drei Kinder sind irgendwo im Grenzgebiet zum Nachbarland, sie hat jeglichen Kontakt zu ihnen verloren. Ilo ist seit zwei Jahren in Dosseye. Sie wohnt in einem kleinen Lehmhaus, ein dunkles Zimmer ohne Fenster, eine Decke hängt am Eingang. Sie schläft auf dem Boden, ein paar Decken, ein paar Töpfe, ein paar Habseligkeiten. Berthe Ilo spricht mit ruhiger Stimme, berichtet von ihrer Flucht und schließlich davon, was ihr hier vor wenigen Tagen im Lager angetan wurde. Sie ist Händlerin, verkauft vor dem Haus Kleidung. Mitten in der Nacht kamen drei maskierte Männer in ihre Hütte. „Sie kamen näher, fragten nach Geld. Nahmen ein Tuch und stopften es in meinen Mund, damit ich nicht schreie. Sie schnitten meine Kleidung auf, einer von ihnen vergewaltigte mich, während ein anderer draußen aufpasste. Sie verlangten Geld, legten ein Messer an meinen Hals. Ich gab ihnen schließlich das, was ich in einer kleinen Kiste neben meinem Bett versteckt hatte.“ Berthe Ilo spricht leise. Es fällt ihr schwer zu berichten, doch sie will es erzählen. Das hatte sie vorher einer Care Mitarbeiterin erklärt, die sie am Morgen nach der Tat ins Gesundheitszentrum und zur Polizei begleitete.
Gewalt gegen Frauen ist ein Problem in den Lagern. Viele der Frauen sind alleine hier, schutzlos. Da ist Fattimé Malicky, die in einem Zelt mit zehn weiteren Familien untergebracht ist. Nur eine Plane trennt ihren Bereich von dem der anderen. Sie erzählt von ihrem Leben in Bangui, ein gutes Leben, wie sie betont. Sie hatte ein kleines Geschäft, abends fuhr sie Taxi. Bis die Gewalt ausbrach, auf den Straßen wurden Muslime gejagt und abgeschlachtet. Ihre Tochter floh nach Kamerun und ist dort in einem Lager. Besser sei es dort auch nicht, meinte Fattimé Malicky. Sie zeigt uns Fotos von damals, eine lachende Frau, inmitten ihrer Freunde und ihrer Familie. Jetzt ist sie hier, verdient sich mit Näharbeiten ein paar Francs. Sie sei gut aufgenommen worden, meint sie. Wir sitzen auf dem Boden. In der Ecke ein paar Schuhe, ein Koffer, ein paar Töpfe. Viel ist ihr nicht geblieben, doch sie ist dankbar, dass sie mit dem Leben davon gekommen ist. Was sie brauche, frage ich. Ach, es wäre schön, wenn ihre Frauennähgruppe noch ein paar Nähmaschinen und Stoff bekommen würde. Damit könnte man etwas aufbauen.
Solche und ähnliche Geschichten hören wir immer und immer wieder, hier in Dosseye und am Rande von Gore, in einem Lager für tschadische Rückkehrer. Rückkehrer heißt, die Familie stammt ursprünglich aus dem Tschad. Doch das kann zwei, drei Generationen zurückliegen. Den Flüchtlingen wird durch die UN geholfen, die Rückkehrer sind größtenteils auf sich selbst gestellt. Doch Care versucht mit dem, was möglich ist, vor allem unbürokratisch, zu helfen.
Der Tschad ist ein Land im Herzen Afrikas, in einer Region, die brennt. Fast 500.000 Flüchtlinge sind hierhergekommen. Viele aus dem Sudan und nun aus der Zentralafrikanischen Republik. Dazu kommen Probleme mit den Terrorgruppen Boko Haram in Nigeria und al-Qaida im Maghreb. Der Tschad alleine kann für die Flüchtlinge nicht aufkommen. Das Land braucht die Hilfe und Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Doch alles sieht danach aus, dass der Tschad eine vergessene Krise war, ist und bleibt.
Afrika ist gerade nur mit Ebola in den Nachrichten. Die Hilfsorganisation Care wird demnächst eigene Projekte im Land verkleinern oder ganz einstellen müssen. Es geht nicht anders, wird mir gesagt, es fehle schlichtweg das Geld. Für die vielen traumatisierten Menschen, die es gerade noch hierher schafften, ist das keine gute Aussicht. Sie werden vergessen. Mal wieder.
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Schlagwörter: Arndt Pelter, Flüchtlinge, Gewalt, Tschad