18. Jahrgang | Nummer 5 | 2. März 2015

Schluss mit der kollektiven Verständnislosigkeit!

von Björn Hacker

Deutschland hadert mit Griechenland. Zunächst Erstaunen allenthalben über den so klaren Wahlausgang und den Einzug der linkpopulistischen Syriza in die Regierung. Nun zunehmend Unverständnis und Verärgerung in Politik und Medien, dass Tsipras, Varoufakis & Co. ihre Wahlversprechen ernst nehmen und umsetzen wollen.
Zur griechischen Forderung nach einer Neuverhandlung der Bedingungen für Kreditverlängerungen gibt der deutsche Finanzminister zu Protokoll, ihm täten die Griechen leid, da sie eine verantwortungslos handelnde Regierung gewählt hätten. Das heißt im Umkehrschluss: Eine verantwortungsvolle griechische Regierung tanzt nach der Pfeife des deutschen Krisenmanagements und schert sich nicht länger um die in Wahlen ausgedrückte vox populi. Entsprechend negativ wird jede Bitte um ein Aufeinanderzugehen im aktuellen Streit beschieden: Nur die Griechen sollen sich bewegen.
Eigentlich müssten einem die Deutschen leidtun, denn ihnen wird seit fünf Jahren eine monokausale Erklärung der Eurokrise verkauft, die sich von der Realität immer weiter entfernt. Demnach seien die von der Krise getroffenen Staaten selbst für ihre ökonomischen Probleme verantwortlich, die solventen Länder hätten sich durch großzügige Kreditvergabe umfassend solidarisch gezeigt und die Gegenleistung aus Strukturreformen und Kürzungsprogrammen diene der wirtschaftlichen Gesundung.
All diese Argumente werden anlässlich des jetzt inszenierten Showdowns wie ein Mantra wiederholt. So, als sei die Eurozone erfolgreich beim Navigieren aus der Krise, als stünde das Wachstum nicht immer noch weit unter dem Niveau der Zeit vor der globalen Finanzkrise, als hätten wir nicht eine Rekordhöhe bei den Arbeitslosenquoten erreicht und als sei eine auf 175 Prozent des BIP gestiegene Staatsverschuldung in Griechenland ein schöner Erfolg. Zugleich wird dadurch von der eigenen Verantwortung als Rekord-Überschussland in der Außenwirtschaft abgelenkt, das die beklagten Defizite der Krisenstaaten so selbst nährt.
Nein, die von der Bundesregierung seit 2010 vertretene und bis heute verfolgte Austeritätspolitik hat mehr Schaden als Nutzen angerichtet. Sie hat die sozioökonomische Spaltung Europas in Kern und Peripherie vertieft, indem sie einfache volkswirtschaftliche Kreislaufzusammenhänge ignoriert und so die drohende Deflation erst erzeugt hat.
Wenn die Privathaushalte mit Entschuldung beschäftigt sind und durch niedrige Löhne weniger konsumieren, die Unternehmen ängstlich in die Zukunft blicken und die Europäische Zentralbank mit Niedrigzinspolitik und Quantitative easing am Ende ihrer stimulierenden Maßnahmen angekommen ist, bleibt als Akteur nur der Staat übrig, die Nachfrage anzukurbeln. Die Fiskalpolitik soll nach deutscher Denkart in dieser Krise jedoch ganz anders agieren: Staatsausgaben, so fordern es die Programme der Troika, müssten drastisch reduziert werden. Ohne stabilisierenden Akteur gibt es jedoch kurz und mittelfristig kein Wachstum.
Die medial orchestrierte kollektive Verständnislosigkeit über den Wahlerfolg der Syriza in Griechenland und den Kurs der neuen griechischen Regierung kann man nur teilen, wenn man bereit war und ist, vor den absehbaren Wirkungsketten der Austeritätsprogramme die Augen zu verschließen.
Am Ende einer als alternativlos verkauften, kontraproduktiven Politik und ihrer sozialen Konsequenzen steht in der Demokratie eine politische Reaktion, die sich durch die Institutionen Bahn bricht. Tsipras und Varoufakis sind die Geister, die von fünf Jahren Austeritätspolitik gerufen wurden und die das Establishment des Krisenmanagements – siehe Podemos in Spanien – nun nicht mehr schnell los werden wird.
Die Bundesregierung kann das aus ideologischer Treue, aus angeblicher Pfadabhängigkeit oder auch nur, um die eigene politische Standfestigkeit unter Beweis zu stellen, weiter ignorieren. Dann wird entweder das bisherige Programm mit allen Auflagen als richtig anerkannt und verlängert oder Griechenland geht Pleite.
Wenn die gerufenen Geister aber ebenso hartleibig bei ihrem Standpunkt bleiben – und eine andere Existenzberechtigung haben sie nicht – geht als Kollateralschaden durch unkontrollierbare Kettenreaktionen die Eurozone über die Wupper. Die Bundeskanzlerin muss sich vor Ende des Monats fragen, was sie den Deutschen besser verkaufen kann: eine Korrektur des Krisenkurses oder den Eingang in die Geschichtsbücher als Kanzlerin, die dem Euro ein Ende bereitete.

Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion dem ipg-journal entnommen.