Laura Poitras, Filme- und Mutmacherin – Wir gratulieren zum Oscar für „Citizenfour“. Manchmal geschehen doch Wunder – so viel Mut hatte man der Hollywood-Jury nicht zugetraut. Immerhin sehen viele Amerikaner Edward Snowden weiterhin nicht als Whistleblower, sondern als Verräter. Ob der Oscar-prämierte Film nun in mehr US-amerikanische Kinos gelangt als bisher? Entschuldigung, Wim Wenders – Ihr Film hätte definitiv auch einen Oscar verdient…!
Gerhard Polt, bajuwarisches Urgestein – Sie gestanden dieser Tage einem nicht unbekannten Hamburger Nachrichtenmagazin: „Ich vertraue darauf, dass Blödsinn nie vergeht.“ Wenn wir uns nur in Europa umsehen, können wir nicht widersprechen. Oder anders gesagt: Auf das Gegenteil setzen? Reiner Blödsinn!
Sie würden, sagten Sie im selben Gespräch, oft gefragt, ob Sie die Welt verändern wollten: „Dann denke ich an den Karl Valentin: ‚Der hat vielleicht nicht die Welt verändert. Aber meine schon.‘ Weil er mir gezeigt hat, dass ich dem sogenannten Sinn einen gewissen Unsinn entgegensetzen kann.“
Apropos Karl Valentin: Da hätten sich Leute „darüber erregt, dass der Schlagersänger Heino den Karl-Valentin-Orden bekommen hat. Ich finde das valentinesk. […] Der Heino hat natürlich nichts mit dem Valentin zu tun. Jetzt ist er mit dem Ratzinger in einer Liga. Der hat den Orden auch gekriegt. Wunderbar.“ Ist das noch subversive Dialektik oder schon dialektische Subversivitätigkeit? Sind Sie gar Mitglied in der Jury des Karl-Valentin-Ordens?
Berliner Zeitung, Fauxpas oder Vorsatz? – Verehrte Schlagzeilenredakteure, nehmen Sie sich neuerdings die Gossen-Gazette mit den vier großen Buchstaben zum Maßstab? In der Berlin-Brandenburg-Ausgabe vom 26. Februar 2015 lautete die Hauptüberschrift auf Seite 1: „Terrorgefahr in Deutschland wächst“. In der Unterzeile adelten Sie den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, also einer rechtsseitig taub-blinden Behörde, deren Abschaffung mit gewichtigen Argumenten nicht erst seit dem NSU-Skandal gefordert wird, zum – und nun wörtlich: „Verfassungschef“ (Hervorhebung – Blättchen). Ja, liebe Kollegen – geht’s noch?
Recep Tayyip Erdogan, demokratische Bosporus-Ikone – Bislang galt Republikgründer Atatürk unangefochten als menschliches Symbol für eine moderne Türkei. Sie nun scheinen der erste Staatspräsident des Landes zu sein, der auch diesbezüglich mutige Reformen anstrebt, indem er sich selbst mehr und mehr als ultimativen Übervater der Nation feiern lässt, despektierliche öffentliche Bemerkungen über Mustafa Kemal Pascha, jenen Atatürk also, inklusive, was per Gesetz in Ihrem Land eigentlich unter Strafe steht. Es ist schon merkwürdig, aber der äußere Eindruck, den ein Mensch auf andere macht und der in Ihrem Falle nahezu durchweg ein sehr unangenehmer ist, trügt offenbar sehr viel weniger, als man gemeinhin glaubt.
Malte Thießen, Oldenburger Junior-Historiker – Mit Bezug auf die wiederentflammte Debatte über eine Pflichtimpfung gegen Masern sind auch Ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse über die einschlägigen Verfahren in der verblichenen DDR wieder ins Gespräch geraten. „Impfprogramme“, so haben Sie mit für einen Historiker unveräußerlicher Nüchternheit festgestellt, „griffen zunehmend in die Lebensplanung der DDR-Bürger ein. So verzeichnen die Impfkalender eine wahre Terminflut von bis zu 17 Pflichtimpfungen, an die sich die Bürger bis zum 18. Lebensjahr zu halten hatten.“ Wenn man sich „bis zu“ 17 Impftermine in 18 Lebensjahren vor Augen hält, dann wird offenbar, dass für eine glückliche Kindheit kein Raum mehr war – und dabei ist das seinerzeitige Zwangstopfen nicht einmal in diese dramatische Abrechnung einbezogen.
Klaus Schröder, Berliner Politikwissenschaftler – Für das Ergebnis einer Studie, in der fast 60 Prozent der Ostdeutschen und immerhin 37 Prozent der Westdeutschen sagen, dass der Kommunismus eine gute Idee sei, die nur schlecht ausgeführt wurde, haben Sie eine unschlagbar nachvollziehbare Begründung: Der Marxismus-Kommunismus werde nämlich in den Schulen wie in den Medien (sic!) positiv gezeichnet. „Die historische Realität mit Millionen Toten wird zumeist verschwiegen. Die Erfahrungen in der DDR, im Stalinismus, in Kambodscha oder China sind entweder nicht bekannt oder sie werden ignoriert. Es ist ein Versäumnis, dass wir in der Öffentlichkeit nicht viel stärker über die Verbrechen des Sozialismus-Kommunismus diskutieren.“ Nun wissen wir also, dass Sie selbst schon sehr lange keine Schule mehr von innen gesehen haben und zudem ausschließlich den Rotfuchs, eventuell auch die Junge Welt lesen, was uns auf noch viele weitere aufklärende Ergebnisse Ihres wissenschaftlichen Tuns hoffen lässt.
David Grémillet, Naturforscher – In der Fachzeitschrift Biology Letters haben Sie anhand von Untersuchungsergebnissen nachgewiesen, dass die Vogelwelt erstaunlich wenig Angst vor Drohnen hat. Wie die Studie Ihrer Forschungsgruppe mit Stockenten, Rosaflamingos und Schnepfen dokumentiert hat, würde selbst eine Annäherung einer Drohne auf vier Meter diese Tiere kaum stören. So erfreulich die Toleranzbereitschaft unserer gefiederten Freunde auch ist, wird nun zu untersuchen sein, wie es den Drohnen mit ihrer flugfähigen Konkurrenz geht. Da jener zweifellos die Zukunft am Himmel gehört, kann man nur auf einen analogen Gleichmut hoffen.
Sigmar Gabriel, Postpädagoge – Nicht nur, weil Sie vor Ihrer Politkarriere einst als Lehrer tätig waren, haben Sie sich jüngst mit einer Forderung an das deutsche Schulwesen eingebracht, die Aufmerksamkeit verdient: Ökonomische Bildung, so mahnen Sie, müsse fest in den Lehrplänen der Schulen verankert werden. Nun würde das all jenen, die für die Lehrpläne (unsinnigerweise nach wie vor je nach Bundesland) zuständig sind gewiss Kopfschmerzen bereiten; wäre doch auch zu entscheiden, zu wessen thematischen Ungunsten die Integration eines solchen Faches ausfiele – im Kern ist Ihre Forderung aber längst überfällig. Ohne gleich Illusionen bezüglich des aufklärerischen Erfolgs einer solchen Bildung zu haben – ökonomisches Verständnis entwickeln zu können ist eine der wesentlichsten Grundlagen demokratischer Teilhabe, und es gehört zwingend ausgebildet – und nicht erst an Hochschulen.
Blaukehl-Hüttensänger, Hominide – Forscher haben jetzt ermittelt, dass Ihre Spezies umso aggressiveren Nachwuchs ausbrütet, je knapper die Nistplätze im Revier sind, je mehr es also auf individuelle Durchsetzungsfähigkeit ankommt. Dieses Verhalten birgt doch ein beachtliches Maß an Ähnlichkeit zum Menschen. Bleibt offen, wer bei wem in die Schule gegangen ist; evolutionsgeschichtlich müssten allerdings die schon vor den Menschen lebenden Vögel schuld sein. Von allein würden sich Menschen bis heute nicht so verhalten.
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