von Roger Willemsen
Den Deutschen ist ein blonder Engel erschienen.
Warum Helene Fischer grenzenlos bewundert wird – und das größte gemeinsame Einfache ist.
Und es begab sich zu der Zeit, da wir nicht mehr Papst waren. Da wurden wir Helene, seilten uns aus der Decke ab und kamen von oben, aus dem Schnürboden der Arenen, Fernsehstudios, Stadthallen, vom Himmel hoch, mit Raketen statt mit Kometen, mit Pyro statt mit Aureole. Dich schickt der Himmel, seufzte das Publikum selig, der Schlagerhimmel, und staunte hinein in den Lichterglanz dieser Erscheinung, die sagen will: Ich bin Ihr! Ihr in Blond. Ihr in Blutarm. Ihr in Beinfrei!
Dich schickt der Himmel, frohlocken auch der Musikmarkt, der Fernsehmarkt, der Warenmarkt, der Marktmarkt. Vermutlich frohlockte sogar der Markt für Ölsardinen und Garagentore, dient die sibirisch geborene Jelena, jetzt Helene, doch als Geschmacksverstärker für alles, macht neben jedem Produkt eine gute Figur, küsst mit Luftküssen in die Anonymität der Masse und dehnt ihre Volkstümlichkeit aus über Mensch und Ware, weil sie doch immer noch tiefer, inniger und massenhafter gefallen muss, gefallen bis zum Irrsinn und zur Tollerei.
Es ist einfach. Das Herz sitzt ihr locker. Sie muss sehr viel davon haben, weil sie es dauernd verschenkt, es in die Luft malt, es über die Köpfe dahinbläst und schweben lässt. Sie macht das strahlend, entwaffnend, glücklich, sie selbst zu sein und nicht, zum Beispiel, die Scorpions. Obwohl. Nach denen wurde auch schon mal ein Volkswagen benannt, und zwischen „Wind of Change“ und „Atemlos durch die Nacht“ spürest du kaum einen Hauch.
In diesen Jahren kann niemand sein, ohne gleich Produktlinie zu werden. So gibt es jetzt den „VW Sportsvan“ aus der „Helene-Fischer-Edition“: „Auf der Autobahn, mit dreihundert fahr’n / so was kann ich nur mit dir“, hat sie trotzdem nicht für diesen gedichtet, sondern für den anonymen tollkühnen Ihn, der sich durch alle ihre Liebeslieder lümmelt.
Es gibt außerdem Helenes Schmuck- und Modekollektion, es gibt sie für Tschibo und Fußball-WM, für Kräuterbutter und Kosmetik – und demnächst ist sie im Hamburger „Tatort“ zu bewundern. Sie ist das Wirtstier für viele, aber als sie die Verlässlichkeit ihres VWs mit der ihrer Fans verglich, reagierten die mit Vergaserbrand und Liebesentzug, und bald war das Fischer-Frotzeln die beliebteste Fingerübung wesentlich weniger talentierter Comedians. Denn was soll an so viel hoch kalkulierter Professionalität anstößig sein? Welche Flausen haben sie denn noch im Kopf, die Liebhaber des Authentischen?
Helene aber liebt alles nieder, was ihr in den Weg kommt. Sie ist die Päpstin der fleischlosen Liebe, die nie bei einem bösen Wort, nie bei einer Ausfälligkeit, nie im Zwielicht ihres Triebschicksals erwischt wurde, und wenn die „Versteckte Kamera“ sie einfängt, dann ist sie, anders als ihr Freund Florian Silbereisen, reizend, bescheiden, geduldig.
Sie muss einfach von oben kommen, direkt aus dem mit all diesen Low-Fat-Geständnissen und Genuss-ohne-Reue-Liedern, die das große Gefühl besingen, ohne erkennen zu lassen, dass es je gefühlt wurde. Es war schon da. Ein Freund, der einmal eine Talkshow mit ihr teilte, sagte später, Charisma habe er nicht gespürt. Gut so. Charisma ist Überschuss, Verschwendung. Charisma macht unähnlich. Es wäre das Ende der Produktlinie Fischer, wollte sie sich der Gleichheit entwinden.
Grönemeyer war der Star der Kohl-Jahre. Er war dagegen. Helene Fischer ist der Star der Merkel-Jahre. Sie ist irgendwie dabei, mitten im Konsens, in der konservativen Unscheinbarkeit. Da aber auch Sigmar Gabriel Schlager-Fan ist und vielleicht unter einem Helene-Fischer-Poster schläft, wäre sie auch der Star der Gabriel-Jahre, doch die wird’s nicht geben.
Nein, sie ist der Star dieser Zeit, nicht nur des Pragmatismus wegen, den ihre vollkommenen Leibesübungen auf der Bühne verströmen, auch nicht wegen der Unangefochtenheit ihres Gesichts selbst beim Absingen einfältiger Texte, sondern in ihr manifestiert sich die Ablösung des einen Leitbegriffs dieser Zeit durch den nächsten: Das neue „Cool“ ist „Clean“.
Clean ist singendes Sagrotan, wisch und weg. Clean ist jene Professionalität, die niemanden überrascht oder überfordert, niemanden mit einem Standpunkt belästigt, niemanden kennt, der sich von ihrer Umarmung nicht umarmt empfinden müsste. Helene Fischer ist geradezu amoralisch in der keimfreien Vollkommenheit ihrer Darbietung.
In ihrem erfolgreichsten Lied steht die Nacht im Titel, sie singt ihn im kürzesten Rock, doch die Atemlosigkeit dieser Nacht klingt nach der Bronx von Dinslaken. Das muss nicht anders sein. Sie hatten ihre Zeit, die Bestien auf den Bühnen, Keith Richards, Janis Joplin, Charles Mingus, Ozzy Osborne, Lemmy Kilmister. Spätestens seit die blinde Sängerin Corinna May mit Ralf Siegel bei „Wetten dass ..?“ den AC/DC-Hit „Highway to Hell“ mit Akkordeon intonierte, ist es aus mit der Hell. Ihr Feuer ist eine rote Glühbirne hinter Pappmaché, ihr Schmutz ist von Shiseido, und selbst Sido ist ein bisschen Helene.
Einmal hat man einen Skandal daraus machen wollen, dass sie angeblich einer Frau im Rollstuhl kein Autogramm gegeben hatte. Am Ende haben aber auch Menschen im Rollstuhl Anspruch auf ein querulantisches Gemüt, und Helene war schuldlos. Ein andermal wollte man eine Roy-Black-Story aus ihr machen: Die Frau, die weinte, als sie Schlager singen sollte, weil sie was singen wollte: AC/DC?
Ach was, als der Schlager ins Zeitalter des Komposts überging, der „Stadl“ geschlossen wurde, die Lustigen Musikanten sich in die vorindustrielle Alpenidylle zurückzogen und Heino „Rammstein“ entdeckte, da schlummerte längst eine Helene im Klangabfall. Sie schlug Brücke für Brücke von der volkstümlichen Musik in den Schlager, vom Schlager in die Ballade und zurück. Sie professionalisierte und sexualisierte diese Musik. Ihr, der Königin der Bauchfreien und Kurzberockten, wollte man ein Geheimleben mit schmutzigen Anwandlungen hinter der sauberen Oberfläche zutrauen?
Einmal sang sie tatsächlich: „Mein Herz läuft Marathon/Und die mich kennen, wissen schon/Wenn ich schlecht funktionier’/Dann hab’ ich Lust nur – nach dir/Heut’ wirst du von mir morgens eiskalt vernascht /Und heiß genieß’ ich dich gern spät in der Nacht.“ Daran ist alles Helene, das „Funktionieren“ und der biedere Anspielungssex. Gemeint war am Ende aber gar kein Mann, sondern Schokolade, und was lüstern klang, war bloß kokett. Nein, das Schmutzigste an Helene Fischer, das bleibt ihr tätowiertes Porträt auf dem Körper von Florian Silbereisen.
In einer Zeit, die Stars ohne Rätsel produziert, ist die geheimnislose Welt der Helene Fischer jene graue Maus, die übrig bleibt, nachdem man alle anderen durchgemendelt hat. Sie ist Wir – das größte gemeinsame Einfache.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Schlagwörter: Helene Fischer, Markt, Roger Willemsen, Schlager