von Clemens Fischer
Es gibt Schauspieler, die sind wie alter Whisky – je älter, je besser. Bisweilen gilt das auch für ihre Regiearbeiten. Clint Eastwood ist ein solcher. Und diesem Doppelolymp zuzurechnen ist nunmehr auch Tommy Lee Jones, dessen zweite Regiearbeit, „The Homesman“, zugleich mit ihm in der männlichen Hauptrolle, derzeit in den Kinos läuft. Ein Achtungszeichen hatte Jones bereits mit seinem Regiedebüt „Three Burials – Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada“ (2005) gesetzt; einem Neo-Western, wie die Genrebezeichnung offiziell lautet; einem Western, wie konservative Fans des Genres sagen, die der Gattung zubilligen, sich mit ihrem regionalen und zeitgeschichtlichen Hintergrund zu entwickeln, ohne deswegen attributiv verunstaltet zu werden.
Apropos Western (1): Dass man mit diesem Genre auch große Themen „rüberbringen“ kann und große Geschichten erzählen sowieso, das bestreiten längst nur noch ignorante Verächter des „Wildwestfilms“. Ob Gewissen als Leitschnur des eigenen Handels in einer feindseligen Umwelt (Fred Zinnemanns „12 Uhr mittags“ von 1952), ethische Überlegenheit, Würde und Mut einer verachteten Rasse (Martin Ritts „Man nannte ihn Hombre“ von 1972), ob Abrechnung mit historischen Klischees (John Fords „Cheyenne“ von 1964, Arthur Penns „Little Big Man“ von 1970 und Michael Ciminos „Heaven’s Gate – Das Tor zum Himmel“ von 1980) oder die nach wie vor gesellschaftlich erzwungene Mimikry Homosexueller in den USA (Ang Lees „Brokeback Mountain“ von 2005) – das und anderes mehr ist möglich im Western.
Apropos Western (2): Das Schicksal von Einwandererfrauen bei der Eroberung und Besiedlung des Westens der heutigen USA war noch weit unfreudvoller als das der mitgereisten Männer. Und zwar in erster Linie wegen dieser Männer, und erst danach wegen anderer Faktoren wie etwa der ob der Vertreibung aus ihren angestammten Siedlungsgebieten höchst unzimperlichen Indianer. Das hat der Western schon wiederholt thematisiert – in Jan Troells „Zandys Braut“ von 1974 ebenso wie in Clint Eastwoods „Erbarmungslos“ von 1992. Auch in Gestalt der tapfer gegen Alkoholmissbrauch ansingenden Damen im Vorspann von Sam Peckinpahs grandiosem Streifen „The Wild Bunch – Sie kannten kein Gesetz“ von 1969.
Nun hat Tommy Lee Jones mit „The Homesman“ gleich beiden Apropos ein Ausnahme-Opus hinzugefügt: mit ruhiger Kameraführung, ohne Effekthascherei, mit grandiosen Landschaftsaufnahmen von den Plains im Mittelwesten der USA und von den Klüften seines eigenen Antlitzes, mit lauter und stiller Verzweiflung von Frauen, die an Kälte, Dürre, Missernten, an grassierendem Kindertod durch Diphterie und ähnliche Seuchen sowie an ebenso triebgesteuerten wie unsensiblen Gatten irre wurden.
Eine über die Maßen der Zeit weit hinaus emanzipierte Frau übernimmt es, drei dieser bedauernswerten Wesen in eine halbwegs zivilisierte Gegend zurück zu transportieren. Einen Mann als Partner auf ihrer erfolgreich geführten Farm und als Lebens- wie vielleicht auch Liebesbereicherung gibt das maskuline Portfolio ihrer Zeit allerdings einfach nicht her. So schneidet sie sich einen Helfer vom Strick, der mehr als seine Schuld für die Lebensrettung abzuarbeiten dann aber auch nicht will. Das endet unerwartet. Eine Paraderolle für Hilary Swank. (Wie lange keine mehr seit „Boys don’t cry“ von 1999 und „Million Dollar Baby“ von 2004.)
„The Homesman“, Regie: Tommy Lee Jones; derzeit in den Kinos.
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