von Dieter Naumann
Samuel Gottlieb Vogel (1750–1837), Initiator des 1793 in Doberan-Heiligendamm eröffneten ersten deutschen Seebades, war nicht der einzige (Bade-)Arzt, der sich gegen das Baden „mit einem Badehemde, mit Beinkleidern oder sonst einer Bedeckung“ aussprach, da sie „den Erfolg und den Nutzen desselben (mindern)“. Anfänglich badete man tatsächlich nackt in abgeschotteten Badeschaluppen („Aalkisten“) oder stieg von Badekarren nackt in die offene See, um dort zwei-, dreimal unterzutauchen. Auf Dauer ließen sich aber die Vorstellungen von Vogel angesichts damaliger Moral, des Modebewusstseins der Damen und steigender Besucherzahlen in den offiziellen Badeorten nicht verwirklichen – Badekleidung wurde zum „Muss“.
Zunächst waren es einfache Badehemden, die jedoch im Wasser aufschwemmten und deshalb mit Bleikügelchen im Saum versehen wurden, es folgten komplette Badekostüme, oft aus Flanell, mit Oberkleid, knöchellanger Pluderhose, Strümpfen, Kopfbedeckung und Badeschuhen. Die gängigen Modemagazine Die Modewelt, Der Bazar, Journal des Dames et des Demoiselles, Illustrierte Frauenzeitung, Wiener Mode und andere boten immer neue Variationen an, die allesamt „nur“ einen Nachteil hatten – schwimmen war damit unmöglich. Einige der modebewussten Damen, die unter den Kostümen häufig noch Mieder oder gar Korsett trugen (!), mussten gerettet werden, weil sich der Stoff mit Wasser vollsog und zusammen mit dem Bleisaum lebensgefährlich schwerer geworden war als seine Trägerin selbst.
Es war nur ein Frage der Zeit, dass der Bedarf nach praktischer und freizügiger Badebekleidung immer drängender wurde und auch die Zahl der Badegäste stetig stieg, die sich gänzlich „ohne“ an der Luft und im Wasser aufhalten wollten – immer argwöhnisch beäugt von der jeweiligen Obrigkeit.
1932 (die sozialdemokratische Regierung Preußens war gerade handstreichartig beseitigt worden, Deutschland hatte über sechs Millionen Arbeitslose) hatte der konservative Reichskommissar für Preußen und kommissarische Minister des Innern Franz Bracht nichts Wichtigeres zu tun, als mit einer Badepolizeiverordnung „das öffentliche Nacktbaden oder Baden in anstößiger Badekleidung“ zu verbieten. Da die schwammige Formulierung „anstößige Badekleidung“ unterschiedlich ausgelegt wurde, musste schon einen Monat später mit der Polizeiverordnung zur Ergänzung der Badepolizeiverordnung vom 18. August 1932 nachjustiert werden. Das öffentliche Nacktbaden blieb „natürlich“ weiterhin untersagt, Frauen durften nun öffentlich nur baden, „falls sie einen Badeanzug tragen, der Brust und Leib an der Vorderseite des Oberkörpers vollständig bedeckt, unter den Armen fest anliegt sowie mit angeschnittenen Beinen und einem Zwickel versehen ist“. Für Männer waren „wenigstens“ Badehosen mit angeschnittenen Beinen und dem Zwickel vorgeschrieben. Der so genannte „Zwickelerlass“ sorgte weltweit für Erheiterung und sogar in der bürgerlichen Presse für Unverständnis. „Die preußische Badehose“, „Bade mit Zwickel!“, „Jedem Preußen seinen Zwickel!“, „Der verzwickte Zwickel“ lauteten einige der sarkastischen Titelzeilen. Erst 1942 wurde der Erlass aufgehoben.
Auch die DDR-Oberen taten sich in den 1950er Jahren mehr als schwer mit der wachsenden Begeisterung für die Freikörperkultur. Angebliche „Ausschreitungen“ in Ahrenshoop und schließlich ein Bericht des SPIEGEL im September 1954 („Kamerun an der Ostsee“) führten noch im gleichen Jahr zum Totalverbot des Nacktbadens an der gesamten Ostseeküste, nachdem Appelle an die Moral („Schont die Augen der Nation!“), Diffamierungsversuche (FKKler suchen nur die „sexuelle Befriedigung“, gewisse Leute stellen ihre „deformierten Körper provokativ zur Schau“), regionale Verbote und sogar Verhaftungen ins Leere gelaufen waren. Aber mit dem Sturm der Entrüstung, den zahlreichen Eingaben und Beschwerden selbst von bekannten Kulturschaffenden und Funktionären hatte man „oben“ wohl nicht gerechnet. Geschickt drehten die Nacktbader den ideologischen Spieß um und verwiesen unter Hinweis auf die Bademoral im Westen Deutschlands darauf, dass die Freikörperkultur endlich über spießbürgerlich-kapitalistische und religiöse Vorurteile gesiegt habe. Das FKK-Verbot hielt nur zwei Jahre, 1956 wurde mit der Anordnung zur Regelung des Freibadewesens das Baden ohne Badekleidung an solchen Orten zugelassen, die dafür ausdrücklich freigegeben und entsprechend gekennzeichnet waren.
In einem Internetforum wurde die starke Verbreitung der Freikörperkultur in der DDR mit dem Mangel an Badanzügen erklärt („Mir hatt´n doch nüscht!“). Die nicht ernst gemeinte Erklärung wäre heute freilich überholt, da Deutschland nach wie vor die weltweite Ranking-Liste der FKK-Fans anführt. „Daran haben auch Wiedervereinigung und verklemmte Wessis nichts geändert“, heißt es im Rügen und Hiddensee Reise Know How von Peter Höh, einem westdeutschen (!) Reisejournalisten.
In Erinnerung an das alte Nacktbadeverbot wird eine Anekdote genüsslich kolportiert, die, wenn sie nicht wahr sein sollte, gut erfunden ist und die Situation jener Jahre auf den Punkt bringt: Der Dichter Johannes R. Becher, damals Präsident des Kulturbundes und späterer Kulturminister, redete im Sommer 1951 einer älteren, hüllenlos schlafenden Dame am Ahrenshooper Strand mit den wenig poetischen Worten ins Gewissen: „Schämen Sie sich nicht, Sie alte Sau?!“ Als Becher wenige Monate später bei der Verleihung des Nationalpreises an die Schriftstellerin Anna Seghers seine Laudatio für die „liebe Anna“ begann, wurde er für alle Anwesenden deutlich hörbar durch die „liebe Anna“ unterbrochen: „Für dich, Hans, immer noch die alte Sau!“
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