von Thomas Behlert
Nun sind die Feierlichkeiten mit allen albernen Reden und Druckerzeugnissen zu 25 Jahren Mauerfall endlich vorbei und man kann sich an Bücher zum Thema wagen, die bisher nicht in Buchhandlungen ausgelegt waren, wie zum Beispiel an Comics. So beschäftigt sich „Treibsand“ auf interessante, bunte und spannende Weise mit dem Verhältnis zwischen Ost und West.
Diese Graphic Novel erklärt und beschreibt das Leben der Familie Bärwolf, DDR. Tochter Ingrid wollte schon früh den Staat verlassen, der von alten Männern beherrscht wurde und ihr nichts zu bieten hatte. Damit sie dies alles stundenweise vergessen konnte, ging sie schon früh zum Leistungsschwimmen. Sie trainierte Tag und Nacht mit der modernsten Technik und entwickelte sich zu einer Vorzeigeschwimmerin, die manch Wettkampf gewann und auch international eingesetzt werden sollte. Ihr einziges Streben war allerdings die Überwindung der Grenzen, die Flucht über die Ostsee in den „freien Westen“. Zehn Jahre hat das ehrgeizige Mädchen trainiert, und das auch noch auf Staatskosten, wie sie sich es selbst immer wieder beim Training einredete. So findet Ingrid die ganze Situation ziemlich unerhört und irgendwie lustig: „Derselbe Staat, der Millionen ausgab für die Sicherheit der Grenzen, finanzierte mein Schwimmtraining, mit dem ich diese Grenzen überwinden wollte. Das war die Ironie.“ Doch zur Flucht sollte es gar nicht kommen, denn schnell wurde sie von der Wasserschutzpolizei aufgegriffen und ins berüchtigte Gefängnis Hoheneck gesteckt. Wer hatte sie verraten? Erst nach der Wende erfuhr Ingrid Bärwald aus den Stasi-Akten, dass es nicht ihre Freundin war, die sie verdächtigte, sondern ihr eigener Bruder Jens, der bei den Grenztruppen diente und dort Karriere machen wollte. Auf Drängen von Vorgesetzten und der Staatssicherheit sagte er sich nach dem gescheiterten Fluchtversuch außerdem von ihr los.
Diese Geschichte erzählte Ingrid dem amerikanischen Journalisten Tom Sandman, der von New York über China nach Deutschland kam, um über die Unruhen in der DDR zu berichten. Sein Chef Raymond Burnes, ein notorischer Antikommunist, wollte unbedingt die Story um die Schwimmerin Ingrid haben und reißerisch und anklagend in seiner Zeitung unterbringen.
Die Zeichnerin Kitty Kahane sowie Max Mönch und Alexander Lahl als Texter, die bereits am Comic „17. Juni“ zusammenarbeiteten, wollten das „Fantastische“ dieser Tage bildhaft in Erinnerung rufen. So wurde Sandman als Erzähler gewählt, der sich nicht nur mit Ingrid beschäftigt, sondern mit skurrilen Träumen kämpft, Zahnschmerzen hat, seine Freundin verliert und im geliebten Aquarium plötzlich einen Kriegsschauplatz vorfindet.
Drei „Comic-Arbeiter“ schufen einen anspruchsvollen Comic für Erwachsene, in dem die Weltgeschichte in wenigen Panels zusammengefasst wurde, ohne die Essenz der Geschichte aus den Augen zu verlieren. Zeichnerin Kitty Kahane hat dabei einen eher naiven Stil, nebst einer massiven Colorierung, zu Papier gebracht. An einigen Stellen geriet das Werk sehr grob und bräunlich-grün, was aber beabsichtigt war, denn damit werden der Gefängnisaufenthalt von Ingrid und der Armeedienst von Jens näher beschrieben. Das Artwork enthält nur wenige Details, die dann aber sehr platziert und direkt eingesetzt wurden, und das Seitenlayout ist nicht starr, sondern erfinderisch und zerbröselt die Handlung in viele Details und Erzählstränge. Der Blick öffnet sich und stößt auf einfache und geradlinige Bilder. Alles ist klar und voller Stimmung, wobei Licht- und Schattenspiele nicht stattfinden.
„Treibsand“ ist ein überzeugender und oft spannender Graphic Novel, der die deutsche Nachkriegsgeschichte thematisiert und immer wieder lesenswert ist. Sollte man sogar im Geschichtsunterricht anwenden können.
Kitty Kahane / Alexander Lahl / Max Mönch: Treibsand, Metrolit Verlag, Berlin 2014, 176 Seiten, 20,00 Euro.
Schlagwörter: Alexander Lahl, Kitty Kahane, Max Mönch, Thomas Behlert, Treibsand