von Thomas Zimmermann
Ein schwerwiegender Fehler von so genannten Regionalkrimis ist, dass die darin geschilderten Verbrechen meist mehr als nur eine Nummer zu groß sind für die kleinen, realen Orte des fiktiven Geschehens. Ein Massenmörder, der in Brücken-Hackpfüffel umgeht? Ein Selbstmordattentäter an der Tanke vor Neuragoczy? Also bitte! Vieles und noch mehr nehmen wir der Provinz, die auf diese billige Weise attraktiv gemacht werden soll, und dem entsprechend billig arbeitenden Autor einfach nicht ab. Der schwerwiegendere Fehler von diesen Krimis aber ist, dass die meisten Autoren das gar nicht bemerken – ja, nicht einmal auf dem Schirm haben: Dass sie ihrer geliebten Provinz eben höchstens einen Bärendienst erweisen, weil die durch solche großspurigen Romane noch piefiger erscheint, als sie eh schon ist.
Andererseits: Wer will wirklich gern lesen, dass Tante Emma die Vorfahrt genommen wurde? Oder dass die Gießkannen auf dem alten Stadtfriedhof geklaut werden? Also nein, danke!
Wie eine Alternative zu der zu oft tristen Realität und der zu pompösen Fiktion aussehen kann, zeigt Bernhard Spring mit seinen beiden Krimis um Kommissar Till Thamm. Die Region und zugleich tiefste Provinz heißt hier Merseburg. Doch obwohl Dom und Herzogschloss und die an beidem vorbeifließende Saale natürlich unumgänglich sind, könnte der Kommissar auch in jeder anderen Kleinstadt im südlichen Sachsen-Anhalt ermitteln. Weil sein Weg nicht von schwerer und nicht mal nur von halbgewichtiger Geschichtskost gesäumt ist, sondern von Milieu. Wie dort gesprochen und was damit eigentlich gemeint wird, wie schnell oder langsam dort das Blut fließt und die Zeit vergeht – kurz: Wie die Leute dort eben so ticken, das macht der Krimi geradezu fühlbar. Und das hat nur bedingt mit Merseburg zu tun, das ist eine Aura, die den gesamten sächsisch geprägten Süden des Landes durchdringt.
Entsprechend befremdet mag der Leser hier und da vielleicht sein, wenn Gemütlichkeit und Ruppigkeit mitunter erstaunlich abrupt wechseln – wenn diese Hilfssachsen westlich vom eigentlichen Sachsen ihre spitzen Ecken und weichen Kanten zugleich zeigen. Geschmäcker oder Erwartungshaltungen werden hier nicht bedient, Sympathien lassen sich auch nur schwer verteilen. Stattdessen wird, gerade weil eben das Wesen der Figuren letztendlich eigentümlich bleibt, ein nicht leicht zu durchschauendes Milieu dargestellt, unter dessen Oberfläche das Verbrechen nicht erst angesiedelt werden muss, sondern immer schon da war. Stichwort Zwangsprostitution in gutsituierter Kleinbürgersiedlung mit Gartenstraßen. Authentisch, lobten nicht nur die regionalen Zeitungen, sondern auch die Anrainer in Sachsen und Thüringen. Ein ausgeprägtes „Gespür für die Vielschichtigkeit heutiger Stimmungslagen“ erkannte auch die Berliner Journalistin Irmtraud Gutschke. Also Allgemeingültigkeit durch die Arbeit am tragenden Beispiel? Ausdrucksstärke durch minimalistische Sprache? So jedenfalls kam „Fliederbordell“, Thamms Debüt, daher. Das ist nun ein Jahr her und um dieses eine Jahr gealtert und familiär leicht expandiert, ermittelt der Merseburger Kommissar jetzt in „Männerblues“ – und breitet dabei seinen Aktionsradius enorm aus: Alles, was nicht Preußen oder Anhalt, sondern sächsisch in Sachsen-Anhalt ist, spielt hier irgendwie mit rein: Halle, Naumburg, Bitterfeld, Halberstadt. Orte mit Namen. Und mit einer Mentalität, die wieder den Zugang zu dem Verbrechen zugleich erschließt und versperrt. Denn um den mörderischen Brandleger, den der ortsfremde BKA-Ermittler aus Mannheim im Visier hat, geht es eigentlich nur am Rande. Das wahre Verbrechen aber liegt viele Schichten tiefer.
Und das zu inszenieren, ist eine herrliche Kunst!
Bernhard Spring: Männerblues. Ein Till-Thamm-Krimi, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2014, 256 Seiten, 9,95 Euro; ders.: Fliederbordell. Ein Till-Thamm-Krimi, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2013, 200 Seiten, 9,95 Euro.
Schlagwörter: Bernhard Spring, Regionalkrimis, Thomas Zimmermann, Till Thamm