17. Jahrgang | Nummer 25 | 8. Dezember 2014

Mauser C96: Eine deutsche Erfolgsgeschichte

von Lutz Unterseher

Morgen

Der Rose Knospe war erblüht
und reckte sich, das Veilchen zu berühren.

Die Lilie erwachte
und neigte den Kopf in der Brise.

Hoch in den Wolken die Lerche sang
ein zwitschernd’ Loblied,
während die frohe Nachtigall
mit sanfter Stimme sagte:

„Sei voll Blüten, o liebliches Land,
frohlocke, Staat der Iberier!
Und du, o Georgier, durchs Lernen
mach deiner Heimat Freude!“

Dieses zarte und nationalstolze Poem floss aus der Feder eines jungen Priesterseminaristen in Tiflis, der sich „Sosselo“ nannte und dessen Freunde ihn „Sosso“ riefen. 1895 wurde es in der Literaturzeitschrift Iwerija auf Empfehlung von Ilja Tschawchawadse abgedruckt – eines Mannes, der nicht nur Georgiens Dichterfürst, sondern auch von Hause aus Fürst war.
Sosso schwoll das Ego. Er wurde aufmüpfig, flog aus dem Priesterseminar, schloss sich den Sozialdemokraten an, und zwar deren radikaler Richtung. Bei der Spaltung der Partei votierte er für die Bolschewiki.
Die operierten meist im Untergrund und brauchten viel Geld. Doch die Kasse war oft leer. Zwecks Abhilfe mauserte sich der junge Revolutionär zum Gangster. Er plante und leitete Raubüberfälle und jobbte auch als Schwarzmeerpirat. Einer der Überfälle ist legendär und geriet auf die Titelseite der London Times: Am 13. Juni 1907, Sosso war 29 Jahre alt, überfiel über ein Dutzend Bolschewiken, darunter mehrere Frauen, in Tiflis einen Konvoi, der die Filiale der russischen Staatsbank mit Bargeld versorgen sollte. Es flogen hausgemachte Bomben grässlichster Wirkung, und gegen die schnellfeuernden Mauserpistolen der Bande hatte die Kosakeneskorte des Transportes mit ihren Repetiergewehren keine Chance.
Der geraubte Betrag lag bei 340.000 Rubel, was heute über 2,5 Millionen Euro entspräche. Alle Täter entkamen. Keiner war ernsthaft verletzt worden. Doch die Zahl der Toten unter Transportleuten und Passanten ging gegen 40.
Sosso wurde vom Ortskomitee der Bolschewiken aus der Partei ausgeschlossen (später aber wieder aufgenommen). Sowohl die lokale Parteigliederung als auch die Zentrale hatten für Gangstertum kein Verständnis. Doch war zumindest ein führender Genosse in die Planung des Coups eingeweiht gewesen: Lenin.
Sosso, der sich manchmal auch Koba nannte, hieß eigentlich Jossif Wissarionowitsch Dschugaschwili. 1912 legte er all diese Namen ab, wollte fortan nur noch als „Stalin“ angeredet werden. Vielleicht eine zu pathetische Namenswahl, wenn man bedenkt, dass der junge Mann – zum Leidwesen seriöser Genossen wie etwa Lew Dawidowitsch Bronstein – die Wirtinnen der von ihm genutzten Untergrundquartiere routinemäßig mit seinem kleinen Stalin bekannt machte und in einem Fall auch die minderjährige Tochter nicht ausließ.
Es soll hier aber weniger um die Um-Triebe des jungen Mannes gehen als um die Waffe, deren Weltruhm – auch – auf ihn zurückgeht: die Pistole Construction 96. Es handelt sich dabei um einen Selbstlader, einen der ersten seiner Art. Er wurde von der noch heute bestehenden Firma Mauser in Oberndorf am Neckar entwickelt und war 1896 serienreif.
Anders als bei einem Revolver wird bei dieser Pistole das Nachführen der Patronen in den Lauf nicht durch die manuelle Drehung einer Trommel, sondern durch Rückstoß bewerkstelligt. Es handelt sich um einen Halbautomaten, bei dem die Schüsse einzeln ausgelöst werden müssen. (Erst 1932 machte man die Waffe zur Maschinenpistole.)
Die Mauser C96 gab es in etlichen Varianten mit unterschiedlichen Lauflängen. In ihrer Grundversion ist sie deutlich schwerer als neuere Pistolen. Auch hat sie einen erheblich längeren Lauf. Der Griff ist aus Holz, und das Kastenmagazin befindet sich vor dem Abzug. Es fasst zehn Patronen, die mittels Ladestreifen von oben eingebracht werden. (Als der Halbautomat zur Maschinenpistole mutierte, erhielt er ein 20-schüssiges, von unten einzuführendes Steckmagazin.)
Schon bald machte die Waffe von sich Reden, galt sie doch als schnell, präzise, relativ weitreichend, durchschlagskräftig und zuverlässig. Nicht nur im Hinblick auf das klobige Äußere, sondern vor allem auch wegen der ballistischen Leistung wurde von einem „Gewehrersatz“ gesprochen.
Kein Wunder also, dass die C96 bereits vor Sosso viele Liebhaber fand. Zum Beispiel Winston Churchill, der 1898 als Freiwilliger an einem Feldzug der British Army im Sudan teilnahm. Da der damalige Armeerevolver antiquiert war, hatte er sich privat ausgerüstet. Mit einer C96, seiner Wahl, erschoss er in kürzester Folge drei Derwische, die ihn mit Geheul anfielen.
Um jene Zeit entdeckte auch Wilhelm II. sein Faible für die C96. Er hatte einen verkrüppelten linken Arm und lange geübt, einarmig mit einem zwar verkürzten, aber immer noch umständlich zu bedienenden Repetiergewehr schießen zu lernen. Doch das war eine Qual. So kam ihm die Mauser als Gewehrersatz gut zupass: selbstladend und noch etwas kompakter als der für ihn angefertigte Repetierer. Er war so begeistert, dass er dem Generalstab empfahl, die C96 als Standardpistole in das Deutsche Heer einzuführen. Der Generalstab sprach sich aber für die Pistole 08 aus: Steckmagazin im Griff, leichter und kleiner, den Träger weniger strapazierend. Es bedurfte aller Diplomatie, um Majestät von ihrem Herzenswunsch abzubringen.
Im Ersten Weltkrieg wurde die Mauser dann doch noch in größeren Stückzahlen an das Deutsche Heer geliefert, und zwar in Ergänzung der Pistole 08 – überstieg doch bei Letzterer der Bedarf die Produktionskapazität. Die Mauser, aber auch die 08 (mit längerem Lauf und größerem Magazin) bewährten sich im Grabenkampf, waren doch die damaligen Infanteriegewehre dafür zu sperrig und in der Schussfolge zu langsam.
Nach Kriegsende durfte die C96 weiter produziert werden. Allerdings mit erheblich verkürztem Lauf (und dadurch bedingter geringerer Reichweite und Treffsicherheit). So stand es im Versailler Vertrag. Doch an wen verkaufen, war doch kriegsbedingt ein guter Teil der Kundschaft weggebrochen? Die Firma Mauser erschloss sich neue Märkte, vergab Lizenzen und musste bald aber auch Raubkopien hinnehmen, mit oder ohne Beschneidung des Laufes.
Ab 1920 wurden größere Chargen einer Version der C96, die „Bolomauser“ genannt wurde (Bolschemauser klang nicht gut), an Sowjetrussland geliefert. Rote Armee und Flotte statteten damit ihre Kader aus, mit Vorrang die Politkommissare.
Die Mauser wurde deren Statussymbol. Sie hatte im Übrigen schon während und nach der Oktoberrevolution dazu gedient, dort wo es an Zusammenhalt und Disziplin mangelte, Ordnung zu schaffen. Dies wird in einem an rote Matrosen gerichteten Gedicht von Majakowski aus dem Jahre 1918 deutlich:

Linker Marsch

Entrollt Euren Marsch,
Burschen von Bord!
Schluss mit dem Zank
und Gezauder!
Still da, Ihr Redner!
Du hast das Wort,
rede, Genosse Mauser!

Da redete auch Stalin mit. Er hatte sich durch Exekutionen von vormals zaristischen Offizieren, die loyal den Roten dienten, einen Namen gemacht und war – 1920, im sowjetisch-polnischen Krieg – Kommissar der Südwestfront. Klar, dass er wieder eine Mauser trug!
Doch nicht nur im Vaterland der Werktätigen machte die C96 Eindruck. Auch in Mexiko, Spanien, der Türkei und China wurde sie in großen Stückzahlen verwendet: von Regierungstruppen, aber auch von Aufständischen oder Banditen.
In China gab es eine Lizenzproduktion für die Kuo min tang. Und die Volksbefreiungsarmee machte nach einiger Zeit von Beutestücken Gebrauch. So protzte etwa Mao tse tungs Leibgarde mit Krummschwertern und Mauserpistolen.
Auch im spanischen Baskenland wurde die C96 in Lizenz produziert. Im Bürgerkrieg kam diese Produktion wohl eher den Republikanern als den Faschisten zugute.
In Deutschland, wo die Waffe nie zur Standardausrüstung gehörte, wurde sie im Zweiten Weltkrieg Verbänden des Heeres und der Waffen-SS gegeben, die im Kampf gegen Partisanen standen (auch Heinrich Himmler soll die C96 gemocht haben).
Die letzte Organisation, die Mauserpistolen unseres Typs geführt hat, war die chinesische Volkspolizei. 1988 stellte man die Waffe offiziell außer Dienst. Doch auch heute noch, fast 120 Jahre nach ihrer Premiere, erfreut sie sich in entlegenen Gegenden der Wertschätzung: Kaum ein Paschtunenscheich ohne silberbeschlagene Mauser!

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