17. Jahrgang | Nummer 24 | 24. November 2014

Zum Tode von Günter Feist

von Hartmut Pätzke

Das letzte Mal sprach ich Günter Feist, kurz nach seinem 85. Geburtstag (er wurde am 10. Februar 1929 in Frankfurt/Oder geboren), anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung für Hans Ticha in einer Galerie im Berliner Prenzlauer Berg. Er schien unverändert, sein Haar im nahezu unveränderten Schwarz, seine buschigen Augenbrauen kennzeichneten ihn. Es fehlte höchstens etwas neben ihm, seine Frau Ursula, Lebens- und Arbeitsgefährtin über 60 Jahre. Vom Wedding war sie Anfang der fünfziger Jahre zu ihm gezogen, der 1945 in die KPD eingetreten war und, auch gemeinsam mit ihr, nach einem Wechsel vom Studium der Geschichte zur Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin dem „Neuen“ zustrebte. Ihre Lehrer, denen sie sich verpflichtet sahen, waren Richard Hamann und Willy Kurth. Als innerhalb des Verbandes Bildender Künstler Deutschlands Ende der fünfziger Jahre eine eigene Sektion Kunstwissenschaft gegründet wurde, erhielt Günter Feist die Position des Stellvertreters von Eberhart Bartke, der später aus seiner Position als Abteilungsleiter im Ministerium für Kultur zum Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin und Direktor der Nationalgalerie aufsteigen sollte.
In dieser Zeit, vor 55 Jahren, begegnete ich Günter Feist das erste Mal. Gemeinsam mit seiner Frau übernahm er die Vorbereitungen und die Redaktion des „Lexikons der Kunst“, das zunächst von vier auf fünf Bände im VEB E.A. Seemann Verlag anwachsen sollte – im Oktober 1994, auch bei dtv, auf sieben Bände stieg. Im Juli 1961, nach drei Jahren Studium der Kunstgeschichte, fuhr unser Studienjahr für vier Wochen in die Sowjetunion, nach Moskau, Leningrad und weiteren Orten, begleitet von Assistenten aus Instituten für Kunsterziehung der DDR, den beiden Feists und Gerhard Hallmann, der in Leningrad studiert hatte. Wir kamen einander menschlich näher. Sowohl vor Rembrandt (in Dresden) als auch vor Repin und Gauguin in Moskau schulten wir gemeinsam mit Günter Feist unsere Augen. 1964 hat er mit dem Aufsatz „Wir müssen es uns schwerer machen“ im Heft 4 der Bildenden Kunst, das makuliert wurde, den, auch für später, ersten spürbaren Schlag offizieller Kulturpolitik erlitten. Das Ende des Feist-Ehepaares als Redakteure am „Lexikon der Kunst“ 1966 ging einher mit ihrem Austritt aus der SED.
Unsere über die Jahrzehnte späteren, oft zufälligen Begegnungen führten stets auch zu einem Gespräch. Er stritt für das Werk von Käthe Kollwitz. Seine öffentlichen Auftritte waren getragen von einem großen Enthusiasmus für „Kunst und Künstler“. Zu der gleichnamigen Zeitschrift, die Karl Scheffler im Verlag von Bruno Cassirer über drei Jahrzehnte redigiert hatte, boten Günter und Ursula Feist 1971 im Henschel Verlag einen Querschnitt.
Für seinen Band „Hans Grundig“ (1979) im VEB Verlag der Kunst wurde Günter Feist vorgeschlagen, ihn als Dissertation anerkennen zu lassen. Das lehnte er ab. Charakteristisch bleibt die Zusammenarbeit mit Ursula Feist. Zehn Jahre Arbeit (1971-1981) in der Graphiksammlung Dr. Lothar Bolz führten sowohl zu Publikationen als auch zu Reisen, sowie später zur Herausgabe des Briefwechsels zwischen Karl Hofer und seinem Mäzen Reinhart. Die „Weggefährten. Zeitgenossen“-Ausstellung 1979 im Alten Museum zum 30. Jahrestag der DDR jedoch brachte ihm eine tiefe Enttäuschung. Die Hängung der Bilder wurde rigoros verändert. Ein Ausreiseantrag für die Familie, 1983 gestellt, führte erst 1987 in den Westen. Von Kuno Mittelstädt, dem langjährigen Leiter des Henschel Verlages, wurde das Erscheinen des Bandes „Karl Hofer. Theodor Reinhart. Maler und Mäzen. Ein Briefwechsel in Auswahl“, den Ursula und Günter Feist gemeinsam in den Jahren 1981-1984 erarbeitet hatten, bereichert um viele Anmerkungen, bis 1989 blockiert.
Innerhalb des Berliner Museumspädagogischen Dienstes bahnte sich für Günter Feist eine enge Zusammenarbeit mit Eckhart Gillen an. Feist war weiter intensiv um eine Darstellung der Kunst in der DDR bemüht. Mit der Chronik „Stationen eines Weges“ und dem darauf folgenden „Kunstkombinat DDR“ schuf er ein Gerüst für eine künftige, auch kritische Beschäftigung, mit der Entwicklung der Kunst in der SBZ/DDR der Jahre 1945-1990. Diese Arbeit sollte in der „Kunstdokumentation SBZ/DDR“ in Aufsätzen, Berichten und Materialien 1996 gekrönt werden.
Er blieb Kurt Junghanns verbunden, der ein Freund von Hans Grundig gewesen war. Zu den Künstlern, die Feist ins Gespräch brachte, gehörte auch Conrad Felixmüller, als dieser noch in Köpenick wohnte.
Besonders wandte Günter Feist sich den Künstlern zu, die in der DDR verfolgt und inhaftiert worden waren, für deren Anerkennung er in Ausstellungen und Publikationen focht. Zu ihnen gehören Sieghard Pohl und Roger Loewig. Herbert Behrens-Hangeler, ein Abstrakter in der DDR, war an der Hochschule in Weißensee zwar ein beliebter Lehrer, aber als Künstler so gut wie gar nicht beachtet worden. Ein Film über ihn, „Fluchtburg Fredersdorf“, brachte es sogar ins Fernsehen. In einer Ausstellung für Behrens-Hangeler in der Berliner Galerie Parterre wurde dieser Film noch einmal gezeigt. Unter den Kunsthistorikern stand er Henry Schumann besonders nahe als einem Kenner der Leipziger Kunst und dessen kritischem Blick. Die letzten Lebensjahre Günter Feists waren überschattet von der Krebserkrankung und vom Tod der jüngsten Tochter, der Malerin und Graphikerin („ANDANTE“-Handpresse“), Schriftstellerin, Galeristin („Charlier“ in Schöneberg), Inga Rensch (1966-2010). Ihr galt eine Gedächtnisausstellung in der Galerie Forum Amalienpark in Berlin-Pankow im April 2012 mit Arbeiten aus den Jahren 1989-2009. Dort waren, sehr bewegt, auch Günter und Ursula Feist zu hören. Günter Feist starb am 11. November in Berlin.