17. Jahrgang | Nummer 22 | 27. Oktober 2014

Pastor und Garagentor

von Frank-Rainer Schurich

„Ich will dir einen Liebeszauber zeigen ohne Gift, ohne Zauberkraut, ohne irgendeiner Hexe Zauberspruch: wenn du geliebt werden willst, liebe!“ Das war vom römischen Philosophen und Tragödiendichter Seneca gut gesagt, aber wir wissen heute, dass in dieser Frage Theorie und Praxis oft erheblich auseinandergingen. Denn schon zu ganz alten Zeiten suchte und fand man vermeintliche oder wirkliche Mittel, um die Potenz steigern, Frauen zu verführen oder auch gefügig zu machen. Einen Beweis finden wir in der Edda, diesem bedeutenden Denkmal der germanischen Literatur. Darin spricht die Sonne (Schirner) zur Erde (Gerda):

Ich wandert ins Holz, zum wilden Walde
Springwurzel suchen. – Springwurzel fand ich.
Mit dem Zähme-Zweig treff ich Dich, zwing ich Dich, Weib, mir zu Willen.

Aphrodisiaka sind bekanntlich sexuelle Reizmittel, die auf chemisch-physiologischem Wege eine Triebsteigerung herbeizuführen sollen. Da sie früher noch nicht künstlich hergestellt werden konnten, nahm man das, was die Natur bot. Der römische Schriftsteller Plinius erwähnt das Fleisch einer Krokodilart, das man eingesalzen aus Indien und Arabien importierte. Schnauze und Füße wurden – mit Satyrium (Knabenkraut), Erucasamen (weißer Gartensenf) und Pfeffer gemischt – zu Kügelchen geformt in weißen Wein gegeben. Eine noch kräftigere Wirkung erzielte man aber angeblich dadurch, dass das Fleisch von der Seite des Krokodils mit Myrrhe und Pfeffer angerichtet wurde.
Einige Liebesmittel enthielten Gifte, so dass zahlreiche Nebenwirkungen bis zur Vergiftung auftraten, wenn man die Empfehlungen zur Dosierung nicht ganz ernst nahm. So hatten auch die Frauen eine gute Gelegenheit, Rache an den untreuen Männern üben.
Schon beim griechischen Dichter Theokrit, von dem 31 Idyllen und 24 Epigramme erhalten sind, lesen wir von einem kaltblütig geplanten Mord einer von ihrem Geliebten verlassenen Frau:

Hat nicht andere Lust er gesucht und unser vergessen?
Jetzt nun mit Liebestränken umfang‘ ich ihn, aber wofern er
Mehr mich betrübt, bei den Moiren! An des Hades Tor soll er klopfen!

Der Liebestrank hieß bei den alten Griechen Philtron. Diesem Gebräu aus Substanzen des Tier- und Pflanzenreiches wurde zudem die Kraft nachgesagt, die Liebe auf eine bestimmte Person zu lenken. Da es im Altertum wohl nicht selten vorgekommen ist, dass die Ingredienzien bis zur letalen Dosis gemischt wurden, verhängten die Römer dafür ganz empfindliche Strafen. Gab es einen Toten infolge der Verabreichung eines Liebestrankes, mussten die oder der Schuldige sterben.
In der frühen Neuzeit glaubte man, dass nach dem Genuss vom Knabenkraut „eine Weibsperson im Bade den auf die Erde gefallen Mannssaamen an sich zühen und hierdurch ohne Beywohnung eines Mannes geschwängert werden könnte, womit sich manche geile Dirne behelfen und entschuldigen könnte“. Und zu eben dieser Zeit schrieb man über den weißen Gartensenf, dass die Apotheken dessen Samen, auch mit Zucker überzogen, benötigen, „weil er die Mannheit stärcket“.
Graf Alexander Cagliostro, eigentlich Giuseppe Balsam (1743 – 1795), entwich mit dreizehn Jahren dem Priesterseminar seiner Heimatstadt Palermo und wurde daraufhin von seinen Vormündern in das Kloster der Barmherzigen Brüder zu Caltagirone geschickt, wo er als Gehilfe des Apothekers allerlei Geheimmittel kennenlernte. Mit Elixier- und Goldmacherei, Mystik und Geisterbeschwörung machte er später an vielen Höfen Europas Furore und viel Geld. Zu seinen besonderen Produkten zählten potenzsteigernde „Pastilles galantes“ und andere Liebesmittel.
Im Allgemeinen Preußischen Landrecht (Publikationspatent vom 5. Februar 1794) wurde in Paragraph 867 bestimmt, dass derjenige, der durch Liebestränke tötet, eine zehn- bis fünfzehnjährige Zuchthausstrafe antreten muss.
In moderner Zeit werden insbesondere die Männer mit allerlei Tinkturen und Mittelchen an die „Liebestränke“ getrieben. Hoch im Kurs stand bis in die jüngere Vergangenheit die „Spanische Fliege“ (Lyatta vesicatoria – mittlerweile von Viagra abgelöst), ein weit verbreiteter Blasenkäfer, dessen Gift Cantharidin auf der Haut Blasen erzeugt, aber in Maßen genossen stimulierend sein soll. Die Gebrauchsanweisung wurde aber offenbar nicht immer gründlich genug gelesen. Im Sommer 1954 wurde in London der 44-jährige Personalchef einer Firma zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, weil er die Liebe eines Mädchens durch eine Liebesdroge, die zu viel Cantharidin enthielt, zu erringen versuchte. Aus Versehen verabreichte er noch einer weiteren Dame diese Rezeptur. Beide Frauen klopfen an die Tür des Hades und starben einen qualvollen Tod.
In einem anderen Fall hatte ein 19-jähriger deutscher Student Schwierigkeiten, seine Geliebte zu verführen. Er vertraute sich einem Freund an, der ihm ein Päckchen mit weißen Kristallen zusteckte mit dem Hinweis, dass sie ein Liebesmittel enthalten, „Spanische Fliege“. Am Abend desselben Tages gab der Student seiner Freundin das ganze Päckchen in den Kaffee und wartete hoffnungsvoll auf Liebesbekundungen. Nach einer Stunde war sie aber schweren inneren Blutungen erlegen. So wurde der leichtfertige Studiosus zum Totschläger und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.
In anderen Fällen geben Täter ihren Opfern Narkotika, Unmengen Alkohol oder sogenannte „Knock-Out-Tropfen“ in die Getränke und Speisen, um an den infolgedessen Bewusstlosen ihre gewünschten sexuellen Handlungen vornehmen zu können. Das hat mit einem Liebesmittel nun aber wahrlich nichts mehr zu tun! Und wenn diese Kriminellen ihren Geschlechtstrieb befriedigt haben, nehmen sie sich rasch noch die Geldbörse, die Uhr und den Schmuck.
Eine schöne Anekdote brachte Die Woche am 4. August 1995 unter der Überschrift „Erektion der Woche“. Alan Nesbet, 57 Jahre alt und evangelischer Pfarrer in San Francisko, suchte verzweifelt ein Mittel gegen seine Impotenz, wobei er sich nicht auf himmlische Hilfe verließ: Chirurgen pflanzten ihm zur Verstärkung ein elektronisches Implantat ins Glied, das sich im Bedarfsfall durch Druck auf einen außenliegenden Knopf in Bewegung setzen ließ. Der Pastor war mit dieser Segnung der modernen Technik so lange glücklich, bis sich seine Nachbarin Ava Herlitz, 74, ein elektronisch zu bedienendes Garagentor zulegte. Jedes Mal wenn die Dame es nun per Fernbedienung öffnete oder schloss, reagierte Nesbets Sexualorgan mit einer Erektion – Pastors Penis und Garagentor hatten dieselbe Wellenlänge.