von Janine Behrens
Nach einer Absage der Münchener Bevölkerung für die Olympischen Winterspiele 2022 im Dezember 2013 zauberten der Berliner und der Hamburger Senat die nächste Schnapsidee aus dem Hut: Beide Städte bewarben sich intern beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) für die Austragung der Olympischen und Paralympischen Sommerspiele 2024. Für den Fall einer Absage steht auch das Jahr 2028 zur Debatte. Feuer und Flamme für das neue Großevent ist natürlich der für Gigantismus wohl bekannte Berliner Senat, allen voran der (noch) Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD).
Ein Blick zurück verrät jedoch: Nur selten hinterlassen Olympische Spiele einen Mehrwert für die Austragungsstädte. Schuldenberge und Sportanlagen, die aufgrund mangelnder Popularität einzelner Sportdisziplinen nicht nachgenutzt werden können, sind die Folge. Auch Berlin musste schon einmal eine Schlappe einstecken: 1993 bewarb es sich für die Sommerspiele 2000 – und bekam eine bittere Absage vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Ein Mitglied bezeichnete damals Berlin als „erbärmliches Schlusslicht“ im sportlichen Bereich. Natürlich leben wir nicht mehr im Berlin von 1993, Vieles hat sich weiterentwickelt, wurde ausgebaut – doch reicht das aus?
„Die ganze Welt in unserer Stadt“ – unter diesem Titel steht die 48-seitige Hochglanzbroschüre des Senats zur Interessenbekundung für Sommerspiele 2024, die er am 31. August dem DOSB übergab. Doch was steckt hinter der metaphorischen Phrase? Schon beim Thema Verkehr scheint den sogenannten Planern einigermaßen der Überblick verloren gegangen zu sein. Anders lassen sich Ergüsse wie „der Straßenverkehr [wird] mit größeren Projekten schwerpunktmäßig verbessert, etwa durch den Weiterbau der Stadtautobahn A100 oder die Tangentialverbindung Ost“ und „Verkehrsinfrastruktur [steht] bereits komplett olympiatauglich zur Verfügung“ nicht erklären. Schließlich stehen weder A100 noch Tangentialverbindung Ost (TVO) olympiatauglich zur Verfügung. Und im Angesicht planerischer Großtaten wie der des Flughafen BER ist es keineswegs sicher, dass sie es zu einer möglichen Austragung von Olympia 2024 oder 2028 tun werden. Mit Verlaub sei der Kommentar gestattet, dass es zur TVO noch nicht einmal eine Beschlussfassung oder eine festgelegte Streckenführung gibt. „ÖPNV, Radverkehr und autoarme Siedlungsstruktur werden weiter gestärkt“ – das klingt ganz zauberhaft. Aber inwiefern der Bau einer Autobahn (und einer möglichen TVO) und eine autoarme Entwicklung zusammenpassen, und die BVG als landeseigenes Unternehmen mit über 800 Millionen Euro Schulden für einen weiteren – und zwar barrierefreien – Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs steht, ist ebenso schleierhaft.
Der Bereich der Partizipation sticht einem förmlich ins Auge. Berliner Spiele seien demokratische Spiele, heißt es. Eine durchaus wünschenswerte Dimension, leider aber lediglich eine Phrase. Eine dubiose Online-Umfrage des Senats, deren Ergebnis auch in die Unterlagen zur Interessenbekundung eingeflossen sei, gab bereits vor einigen Wochen Rätsel auf. So war die Umfrage versteckt im Internet. Eine Pressemitteilung zur Beteiligung gab es nicht. Die Frage, ob man für oder gegen eine Bewerbung für die Spiele sei, wurde gar nicht erst gestellt. Einzig und allein das „Wie“ spielte eine Rolle. Auch die Aussage, dass das Parlament in den Prozess der Interessenbekundung durch den Berliner Senat von Anfang an eingebunden war, ist eine bodenlose Frechheit. Informiert wurde stets nach und nicht vor getroffenen Entscheidungen. Eine direkte Beteiligung am Entscheidungsprozess gab es nicht. Ebenso wenig liegt bislang ein Beschluss des Abgeordnetenhauses von Berlin zum Themenkomplex Olympia-Bewerbung vor.
Weitere Beispiele für eine mit den Füßen getretene Bürgerbeteiligung sind das gegenwärtig auf dem östlichen Gelände des jetzigen Flughafens Tegel verortete „olympische/paralympische Dorf“ sowie die temporären Sportflächen. Der Flächennutzungsplan und Masterplan Tegel – Ergebnis eines langwierigen Workshop-Prozesses mit Bürger- und Verbändebeteiligung – weisen für ebendieses Areal größere Grünflächen und kleinere Gewerbeflächen aus, als in der Interessenbekundung dargestellt. Dass dort Flächen, die eigentlich dem Bund und nicht dem Land gehören, mal eben verplant werden, ist an Arroganz kaum zu überbieten. Konstruktive Dialoge mit den zuständigen Stellen und Bürgern auf Augenhöhe sehen anders aus.
Sportlich geht es weiter. In seiner Broschüre spricht der Senat von einer bereits heute vorhandenen hervorragenden Sportinfrastruktur. Dabei gibt es bei der Sanierung bestehender Sportanlagen laut Landessportbund ein Defizit von 300 Millionen Euro. Jährlich ist lediglich ein Investitionsvolumen von neun Millionen Euro im Schul- und Sportstättensanierungsprogramm Berlins eingestellt. Ein derartiger Sanierungsstau ist eher mit dem Adjektiv desaströs in Verbindung bringen. Dass Berlin bereits über viele Großsportanlagen verfügt, ist richtig. Zum Teil sind diese sogar olympiatauglich. Oder nicht? Die im Zuge der Olympia-Bewerbung für die Spiele im Jahr 2000 errichtete Schwimm- und Sprunghalle im Europasportpark (SSE) entsprach 2014 nicht einmal mehr den Kriterien der Schwimmeuropameisterschaften – zu wenig Zuschauerplätze. Alternativ musste für die Schwimmwettkämpfe ein mobiles Becken für viel Geld im benachbarten Velodrom (einer Radsporthalle) aufgestellt werden.
Erstaunlich wenig gibt es unter dem Punkt Finanzierung zu lesen. Gesetzt wird auf einen größeren finanziellen Zuschuss des Bundes. „Die Finanzierung des Landesanteils würde aus den laufenden Haushalten bis 2024 bzw. 2028 erfolgen“, heißt es. Bekräftigt wird dabei, dass keine neuen Schulden entstünden. Da intensiv auf Schuldenabbau hingearbeitet wird, stellt sich die Frage, wo die finanziellen Aufwendungen stattdessen weggenommen werden. Wo tut es am wenigstens weh? Die Kosten für die Wettkampfstätten (Instandsetzung, Neubau, temporäre Errichtung) werden sich auf circa zwei Milliarden Euro belaufen. Vor kurzem sprach der Senat noch von Investitionskosten von 1,5 bis 2 Milliarden Euro Gesamthöhe. Nun sollen allein die Wettkampfstätten für zwei Milliarden Euro hergerichtet werden. Es handelt sich hierbei um den Preisstand von 2014, die Kosten zu Baubeginn werden also wesentlich höher sein. Frühere Spiele an anderen Austragungsstätten zeigten, dass durchschnittliche Kostensteigerungen von real 179 Prozent und nominal 324 Prozent zu erwarten sind (2008 in Peking stiegen die anfangs veranschlagten Investitionen auf unglaubliche 44 Milliarden US-Dollar). Soviel zur Interessenbekundung – die mehr Fragen aufwirft als sie Antworten gibt.
Mit mehreren Aktionen macht derweil ein Bündnis öffentlichkeitswirksam auf sich aufmerksam. „NOlympia Berlin“ – so nennen sich die Aktivisten – will in einer Neuauflage von 1993 eine erneute Bewerbung Berlins für Olympische Spiele 2024/28 verhindern. Mitte August trat das Bündnis aus Umweltverbänden, politischen Initiativen und Einzelpersonen zum ersten Mal in Erscheinung: Nebst einer Kundgebung erschienen drei schwarz bekleidete Personen, die einen als Bären als Symbol für Berlin in olympischen Ringen abführten und in ein Auto mit der Aufschrift „IOC“ setzten.
Am 6. Dezember entscheidet der DOSB, ob er sich mit Berlin, Hamburg oder keiner der beiden Städte beim Internationalen Olympischen Komitee bewirbt. Der SPD/CDU-Senat beweist immer wieder: Großprojekte sind eine Nummer zu groß für ihn. Und in einer Stadt, wo Sportunterricht aufgrund maroder Sportstätten ausfällt, wo Bürger über den Tisch gezogen werden, wo eine Baustelle die nächste jagt und wo bereits jetzt ein Schuldenberg von über 66 Milliarden Euro wichtige Investitionen in die soziale Infrastruktur der Stadt blockiert, kann es keinen Sieger für eine Olympia-Bewerbung 2024/28 geben. Wäre Lügen hingegen eine Sportdisziplin, hätte der Senat jetzt schon verloren. Lügen haben kurze Beine und mit denen kommt man bekanntlich nicht schneller ins Ziel.
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