von Miguel Abellán Ossenbach
In Spanien gibt es eine Fernsehsendung, die in den letzten Jahren sehr bekannt geworden ist: „Españoles por el mundo“ – Spanier durch die Welt. Ein Fernsehteam reist weltweit durch Städte, um dort ansässige Spanier über ihre Erfahrungen im Ausland zu befragen. Es ist eine neuartige Form, den Zuschauern einen Ort vorzustellen. Bei Spaziergängen durch die jeweilige Stadt werden die dortigen Sehenswürdigkeiten erkundet. Dabei sind meistens Aussagen zu hören wie „im Ausland lebt man sehr gut“, „man vermisst Spanien kaum“, „ich fühl mich hier sehr wohl, ich habe mich schnell eingelebt“. Anscheinend geht es allen sehr gut, alle sind glücklich, und Spanien wird wenig vermisst.
Jetzt, wo ich seit fast einem Jahr in Berlin lebe – ich bin über das Erasmus-Austauschprogramm zur Humboldt-Universität gekommen –, kann ich feststellen, dass diese Botschaften nicht ganz der Realität entsprechen. Die Wirklichkeit sieht ein bisschen anders aus.
Ich kam am 29. September 2013 nach Berlin. Ich flog von New York aus, dort hatte ich meinen Bruder eine sonnige, warme Woche lang besucht. Obwohl die Sonne bei meiner Ankunft hier ebenfalls schien, war mir eiskalt. Als ich aus dem Bus am Zoologischen Garten ausstieg, fragte ich mich: Wo verstecken sich die Deutschen an einem Sonntag? In meiner Anfangszeit fielen mir die Sonnenstudios auf – so ein Geschäft würde in Spanien wegen ungenügender Nachfrage sofort Pleite gehen –, die Winterreifen für die Autos und wie viel Zeit die Leute den Apps für die Wettervoraussage widmeten. Nach meinem ersten Winter in Berlin habe ich den Grund dafür verstanden.
Der Anfang in einer neuen Stadt ist nie einfach. Zum Glück hatte ich bereits eine Wohnung übers Internet gefunden. Die nächsten Herausforderungen war jedoch die Eröffnung eines Bankkontos, die Beantragung einer Handynummer und einer Internetverbindung. Ich weiß immer noch nicht, wie ich das geschafft habe: Zuerst wollte ich eine Handynummer bestellen; dafür musste ich eine deutsche Kontonummer angeben, die auf meinen Namen läuft. Über ein deutsches Konto verfügte ich nicht, also versuchte ich erst mal, eins zu eröffnen. Da ich vom Internet-Banking profitieren wollte, entschied ich mich für eine Bank, bei der auch die Beantragung übers Internet lief. Nun brauchte ich allerdings eine Interverbindung. Für die hätte ich wiederum eine deutsche Handynummer und Kontonummer angeben müssen. Da biss sich die Katze in den Schwanz …
Glücklicherweise hatte ich mich in der Zwischenzeit mit den Leuten eines „Spätis“, der einen günstigen Internetanschluss anbot, befreundet: „Das Gleiche wie gestern?“ Nach einigen Wochen klappte alles endlich. Da gingen erst mein Laptop und dann mein gerade erworbener Internet-Stick kaputt. Man muss jedoch immer die positive Seite der Ereignisse finden, und diese Störungen haben dabei geholfen, meine Freundschaft mit den Leuten des „Spätis“ zu verstärken: „Hier bin ich wieder!“
Der Start in der Uni hätte auch besser sein können. Am Anfang ist man verloren: Alles ist neu, man findet die Hörsäle nicht. Die Frage „Entschuldige, weißt du wo der Raum 203 liegt? Ich bin hier neu“, war auch nicht so erfolgreich wie erhofft. Vielleicht habe ich einfach nur die beschäftigsten oder die unfreundlichsten Studenten getroffen, aber mein erster Eindruck war: Hier würde ich keine Freunde finden.
Zum Glück triffst du in solchen Fällen Menschen, die in der gleichen oder sogar in einer schlimmeren Situation als du sind. Manchmal wird daraus eine einfache Bekanntschaft; in anderen Fällen entwickelt sich eine enge und ehrliche Freundschaft. Heute, wenn ich zurück in die Vergangenheit blicke, danke ich den Hürden auf meinem Weg: Ohne sie hätte ich im Endeffekt keine so nette Menschen getroffen.
In einer neuen Stadt verhältst du dich erstmal wie ein Tourist. Die Free Tour durch die Stadt, der Besuch von Museen – ich muss zuzugeben, dass ich während meiner bisherigen 10 Monate in Berlin in mehr Museen als in über 20 Jahren in Madrid gewesen bin – und ein Stadtplan mit „What to see in Berlin“ sind zu Beginn unerlässlich. Ich ging überall zu Fuß hin und habe jetzt sogar das Gefühl, dass ich Berlin besser als Madrid kenne, sogar besser als viele Berliner.
Dönerläden gibt es überall in der Stadt und ich bin daher nicht sicher, dass ich alle kenne. Auf jeden Fall aber habe ich Döner in jedem Kiez, fast an jedem Platz und an jeder Ecke gegessen. Da die Dönerkultur in Berlin so ausgeprägt ist, würde ich vorschlagen, den einführenden Sprachkurs in Berlin nicht A.1.1, sondern eher A.1.Döner zu nennen: „Bitte schön?“ – „Zwei Döner bitte!“ – „Welche Soße? Salat alles? Zum gleich Essen? Zahlen Sie zusammen oder getrennt?“
Ich hatte Deutsch bereits in Spanien gelernt, aber in den letzten fünf Jahren kein Wort gesprochen. Da merkt man, wie schnell die Sprache vergessen wird, aber auch wie schnell sie zurückkommt. Für mich war das Problem eher, dass ich in der Schule Standard- beziehungsweise Hochdeutsch gelernt hatte. Es ist witzig, aber ich habe heute immer noch weniger Probleme bei einer Diskussion über ein Buch als in einer Metzgerei, um ein wenig Hackfleisch zu kaufen. Mittlerweile verstehe ich allerdings, was mit „Was steht bei dir so an?“, „Wie ist die Lage heute so?“ oder mit „Hau rein!“ gemeint wird. Ein Mädchen entgegnete mir einmal, ich spräche zu formal, als ich ihr gesagt hatte, dass das Gefühl, das ich für sie empfände, mit dem Bild von einem Schmetterling im Bauch vergleichbar sei. Ich wollte eigentlich nur sagen, dass ich sie mag, dass ich auf sie stand.
Selbst wenn ich mich in der Sprache sehr verbessert habe, habe ich das Gefühl, das ich die Sprache nie ganz beherrschen werde: Ein Leben reicht nicht aus, um Deutsch zu lernen. Heute noch verstehe ich den Unterschied zwischen „verladen“, „aufladen“ oder „beladen“ nicht ganz, aber Tatsache ist, dass, wenn ich spreche, die Leute behaupten mich zu verstehen.
Jetzt, nach fast einem Jahr in Berlin, kann ich feststellen, dass ich mich eingelebt habe. Ich habe einen ganz netten Freundeskreis aufgebaut, obwohl ich immer noch nicht weiß, wo sich die Deutschen am Sonntag verstecken. Früher fühlte ich mich unter Touristen wohl, jetzt suche ich Plätze und Ecken ohne Touris, die immer eine Überraschung für dich haben. Ich vermisse Spanien, und zwar sehr: die Familie, das Essen, das gute Wetter, das Licht. Doch das Vermissen hat eine positive Seite: Es hilft die Sachen, die fehlen, besser zu bewerten. Jetzt verstehe ich, wie wenig man eigentlich braucht, um glücklich zu sein. Im Ausland wird man nachdenklicher, emotionaler, bescheidener, menschlicher und man sucht das Glück in sich selber. Das materielle Wohl wird in den Hintergrund gedrängt.
Wenn ich zurück in die vergangenen Monate gucke, denke ich: Es ist nicht leicht gewesen, aber die Reise hat sich gelohnt. Ich kam mit einem Erasmus-Stipendium und habe die Zeit erfolgreich genutzt. Nach dem Motto „Die Flügel müssen zum Fliegen benutzt werden“ habe ich einen Grad an Selbstständigkeit, Tapferkeit und Stärke entwickelt, den ich nie erwartet hätte.
Die Komfortzone im Gehirn hindert an Bewegung, nur im Unbekannten kann man wachsen. Und dieses innere Wachsen habe ich in einer sehr schönen Stadt erlebt. Berlin, du bist so wunderbar!
Miguel Abellán Ossenbach studiert zurzeit Volkswirtschaftslehre in Berlin.
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