von Renate Hoffmann
Nach Erfurt. Verlockt durch drei in Korrespondenz stehende Ausstellungen des Druckkünstlers und Künstlerdruckers Ernst August Zimmermann. Ein Meister seines Faches, dem, neben anderen, Werner Tübke höchste Anerkennung zollte. Nicht nur, weil er die Kunst des Druckens bis in die feinsten Gründe beherrscht, sondern weil er kongenial die jeweilige Vorlage durchdringt und sie mit einem leuchtenden Schlussakkord versieht. Künstler und Drucker bilden in diesem glücklichen Falle die eingeschworene Gemeinschaft.
Zur Kurzbiographie Zimmermanns: Grafikdrucker, Diplomlehrer für Kunsterziehung und Deutsch, Galerist, Kulturbeflissener, bildender Künstler, Autor, Philanthrop. – Zwei Seelen wohnen in seiner Brust. Für diesen Umstand fand er einen trefflichen Vergleich: Der Komponist habe die klangliche Idee und setze sie in Noten, der Interpret bringe sie zu Gehör. Er, E.A.Z., fühle sich in seiner Druckermission als Interpret, wolle jedoch auch selber Kompositeur sein. Der Lithograph Horst Arloth habe ihn vorzeiten gefragt: „Wollen Sie nun Künstler werden oder Steindrucker?“ Er wurde beides. Doch Zimmermanns Perfektion im Metier beschränkt sich keineswegs nur auf den Steindruck, der Edelvariante unter den Drucktechniken, er versteht sich auf Flach-, Hoch- und Tiefdruck gleichermaßen.
Der Künstler E.A.Z. suchte nach der eigenen Sprache und fand sie auf besondere Weise im Naturdruck. Diese Hinwendung zum unerschöpflichen Formenreichtum der umgebenden Welt entspricht seiner Grundhaltung. Er formuliert sie knapp und eingängig: „Die Natur ist das Elementare überhaupt.“ Hierin trifft er sich mit Albrecht Dürers Ansicht aus dessen Proportionslehre: „Das Leben in der Natur gibt zu erkennen die Wahrheit der Dinge. Und die Kunst steckt in der Natur, wer sie heraus kann reißen, der hat sie.“ – Ernst August Z. kann sie hervorzaubern. Zum Beispiel in seinen Naturumdrucken und Naturselbstdrucken. Er komponiert sie in unterschiedlichen Tonarten und Klangfarben, fügt sie aus Blätterspielen, Gräsern und anderen Naturmaterialien zusammen, lässt Strukturen verschiedenster Art sich überlagern, ineinander fließen, so dass überraschende, neue Eindrücke entstehen.
Nun zeigt der Druckkünstler, anlässlich eines persönlichen Jubiläums, eine Retrospektive in drei Teilen, die er „Gesucht“, „Gefunden“ und „Gedruckt & Umgedruckt“ nennt.
Ich gehe von Blatt zu Blatt und lasse mich einfangen von ihrer Sensibilität, der präzisen Beobachtung und künstlerischen Umsetzung und dem hohen Grad handwerklichen Könnens. Eine der farbigen Grafiken trägt den Titel: „Vĕcer – abends“. Die Technik: „Naturumdruck, Weichgrund (vernis mou), 3 Platten“. Das Bild: Blätter – schmal, gerundet, zugespitzt, ein Gingkoblatt ist darunter. Sie scheinen vom Abendwind dahergeweht zu sein. Zarte Stiele ohne Laub. Vielleicht Gräser, denen die Grannen fehlen. Vielleicht das lustige Hirtentäschel, dem ein heißer Sommertag die Täschel genommen hat. Ein Stengel mit elegantem, zierlichem Blattwerk bestimmt die Mitte. Der blasse Mond, rund und voll, schiebt sich herauf; ein wenig Abendröte ist ausgegossen. Zurückhaltende Grüntöne verbreiten wohltuende Ruhe.
E.A.Z. ist ein Poet. Dachte er an bestimmte Verszeilen von Rilke, als er dem wahlverwandten Dichter diese Hommage schuf? („Für R.M. Rilke“) Das Kreuz und ein Blatt. Vorsichtig in den Farben und still. – Den warmgetönten, bunten Laubteppich streift schon der erste Reif („Herbstgefühle“). Und aus der kolorierten Radierung „Erdbeergeist“ lugt die Heiterkeit. Da Zimmermanns Arbeiten inneren Rhythmus tragen, der sich beim Betrachten überträgt, stiftet das rotbemützte Geistchen zum Wortspiel an:
Gerötet und süße, / im Beet, auf der Wiese. / In Wald und Gebüsch / herzig und frisch. / Lächelt und fächelt / mit würzigem Duft. / Verlocket zum Pflücken – / entschwebt in die Luft.
Colchicum autumnale ist wohl Ernst August Zimmermanns Schicksalsblume. Er umkreist sie in Wort und Bild. Sie wird zu seinem Thema mit Variationen. „Zeitloses Wehen“ heißt eine von ihnen („Naturselbstdruck in Vernis mou / Aquatinta, 3 Platten“) Fast ein wenig ängstlich – wegen der Frostnächte, die bald kommen werden – drängen die Blüten der Herbstzeitlose aus der Erde. Es sind ihrer viele, sie geben dem Grund den feinen, fliederfarbenen Schimmer. Wie eine Königin erhebt sich inmitten ihrer Schwestern der weitgeöffnete Kelch von Colchicum autumnale und wächst hoch über sie hinaus. Es ist die Verkündigung der dritten Jahreszeit.
Septembertage in den Dolomiten. Bei Colfosco (Kolfuschg) sehe ich sie, die violette Pracht. Als wäre ein kostbares Tuch über die Hänge gebreitet, und man hätte das Wiesengrün gegen festliches Violett getauscht. Ich erinnere mich an das „Zeitlose Wehen“ und lege eine der Schönen in mein Notizbuch.
Jetzt ist sie platt gedrückt, / nicht eben sehr entzückt / vom neuen Ort. / Denn dort sind Kritzelseiten / und keine Wiesen, / das lässt auf öde Zeiten schließen. / Sie ist, wie man so sagt, / geknickt. – / Doch E.A.Z. wird sie bald drucken. / Nun ist sie hoch beglückt.
Ausstellungsorte in Erfurt:
Druckereimuseum und Schaudepot im Benary-Speicher, Brühlerstraße 37; Öffnungszeiten: Di. und Do. 14.00-17.00 Uhr, Mi. 14.00-18.00 Uhr.
Sparkassen- u. Giroverband Hessen-Thüringen, Bonifaciusstraße 15 (im Sparkassen-Finanzzentrum); Öffnungszeiten: Mo.-Do. 10.00-17.00 Uhr, Fr. 10.00-16.00 Uhr; beide Ausstellungen bis 30. 10. 2014.
Verband Bildender Künstler Thüringen e.V., Haus zum Bunten Löwen, Krämerbrücke 4 (Kabinett-Ausstellung bis 04.-10. 14); Öffnungszeiten: Di.-Fr. 11.00-19.00 Uhr, Sa. 10.00-14.00 Uhr.
Schlagwörter: Druckkunst, Erfurt, Ernst August Zimmermann, Renate Hoffmann