17. Jahrgang | Nummer 17 | 18. August 2014

Ein feiner, älterer Herr mit Hunden

von F.-B. Habel

In meiner Kindheit, als man auf der Promenade der Bornholmer Straße noch promenieren konnte, traf man dort des Öfteren einen feinen, älteren Herrn. Nicht die gute Kleidung, stets mit einer Fliege um den Hals, faszinierte uns Kinder, sondern vielmehr, dass er gleich zwei Hunde spazieren führte: einen Pudel und einen Langhaardackel. Wenn man nett fragte, durfte man sogar einen von ihnen für ein paar Minuten an der Leine führen. Eines Tages fand ich ein Porträt des älteren Herrn in der Zeitung, und erfuhr, dass er Karl Schnog hieß, für Rundfunk und Kabaretts arbeitete und auch im KZ gewesen war. Ich erzählte ihm bei der nächsten Begegnung, dass ich das Zeitungsfoto gesehen hatte, und er machte nicht viel davon her, schien sich aber zu freuen, dass er in der Nachbarschaft erkannt wurde.
Später fiel mir ein Band mit Kabaretttexten der frühen Jahrzehnte in die Hände. Karl Schnog war mit einigen Gedichten vertreten, und ein Foto zeigte ihn in jungen Jahren, elegant, mit langer Zigarettenspitze und – einem Dackel auf dem Schoß! Im Laufe der Jahrzehnte las ich immer mehr über ihn, und es entstand allmählich ein Bild.
Schnog wurde 1897 in einer jüdischen Handwerkerfamilie in Köln geboren, musste in den Ersten Weltkrieg ziehen, und wurde 1918 Mitglied eines Arbeiter- und Soldatenrats. Er nahm Schauspielunterricht und wurde schnell auf Berlins Kabarettbühnen als Rezitator und Conférencier bekannt, trat in der „Wilden Bühne“ und dem „Größenwahn“ auf, gründete mit Erich Weinert und Leon Hirsch die links engagierte Truppe „Die Wespen“ und gehörte mit Walter Mehring und Kurt Tucholsky zur „Gruppe revolutionärer Pazifisten“. Durch diese beiden kam er 1925 auch zur Weltbühne, für die er mit Unterbrechungen bis 1963 schrieb. Er veröffentlichte darüber hinaus im Leipziger Drachen und in der Arbeiter Illustrierte(n) Zeitung. Gegen Ende der Weimarer Republik hatte er sich zu einem großen Teil dem künstlerischen Hörspiel verschrieben. Daneben lieferte er einigen der besten Kabarettisten jener Jahre – darunter Annemarie Hase, Lotte Werkmeister und Paul Graetz – pointenreiche Texte im Berliner Dialekt. Seine „Chorlieder für Knaben“ wurden 1930 von Paul Hindemith vertont.
Kurz nach der „Machtübernahme“ wurde Karl Schnog 1933 überfallen und zusammengeschlagen. Er flüchtete schleunigst in die Schweiz, wo er für das Kabarett „Cornichon“ schreiben konnte. Doch diese Arbeit genügte den strengen schweizer Behörden nicht. Er wurde ausgewiesen. In Luxemburg fand er Zuflucht, conferierte (zur Not auch ganz unpolitisch über Tünnes und Schäl) und schrieb für deutsche Exilzeitschriften.
Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Luxemburg wurde Karl Schnog verhaftet. Im Konzentrationslager Dachau wurde bald klar, dass man es hier mit einem Verfasser von „Hetzgedichten aus der Systemzeit“ zu tun hatte und schikanierte ihn besonders. Er habe in Dachau „das Härteste mitgemacht, was man in diesem ‚Traditionslager‘ überhaupt erleiden konnte“, schrieb er in der Weltbühne Nr. 15 von 1947. „Mißhandlungen, Schmutz und schwere Krankheiten (Plegmone und Krätze). Am Pfahl wurde ich aufgehängt und schließlich doch auch in die Plantage geschickt, wo man mich innerhalb drei Tagen zum Krüppel schlug.“ In Dachau erlebte er nicht zuletzt das langsame Sterben seines großen Kollegen Fritz Grünbaum mit und hat später einen erschütternden Bericht darüber geliefert. Er musste noch Sachsenhausen und Buchenwald erdulden (wo er unter anderem gemeinsam mit Bruno Apitz ein Lagerkabarett organisierte), und nur durch wohlmeinende Kameraden wurde sein Leben gerettet.
Nach einer kurzen Rückkehr nach Luxemburg kam Karl Schnog 1946 wieder nach Berlin, leitete eine Zeitlang Herbert Sandbergs Zeitschrift Ulenspiegel und war im Rundfunk für Satire zuständig. Ähnlich wie Tucholsky, der nach dem Ersten Weltkrieg die Redaktion des Ulk leitete und dort auch bitterernste Texte, wie „Krieg dem Kriege“ veröffentlichte, brachte Schnog ebenfalls ernste Themen zur Sprache.

Glaubt ihr, es fiele mir schwer
zu amüsieren?
Ich kam vom Wortwitz her
Und kann jonglieren,
kann, was am Tage geschah,
leicht parodieren:
kann, ach, der Spott liegt nah,
närrisch maskieren …
[…]
Wenn ich nicht eifrig dabei,
ist‘s kein Versagen.
Ging nicht am Tode vorbei,
Wortwitz zu wagen.
Ward durch ein Wunder nur frei,
um – auszusagen!

(aus: „Kleines Bekenntnis ohne Ironie“, 1946)

In der Weltbühne erinnerte er in diesen Jahren immer wieder an die Zeit in den Konzentrationslagern, an Kameraden und Genossen, die er hier kennenlernte. Das fand nicht bei allen Lesern Anklang. In der Weltbühne 22/1947 zitierte er aus seiner Post: „Und haben wir nicht genug zu tun, wenn wir uns mit unserem gegenwärtigen Leid befassen? Leiden wir nicht heute in gewisser Weise genau so oder vielleicht noch mehr als die bedauernswerten Menschen von damals?“
Die Selbstgerechtigkeit, das schnelle Vergessen, machten ihm zu schaffen, waren aber auch Antrieb. Ab 1951 schrieb er als freier Autor neben ernsten und fröhlichen Texten für die Weltbühne auch für Kabaretts wie die „Distel“ in Berlin oder die „Pfeffermühle“ in Leipzig. Bei der DEFA spielte er kleinste Filmrollen – als ich ihn 1960 in „Hatifa“ als Eseltreiber sah, habe ich ihn nicht erkannt. Ebenfalls 1960 erschien sein letztes Buch. Er, der rückhaltlos große Komiker wie Karl Valentin bewunderte, brachte ein Buch über Charlie Chaplin heraus – den er übrigens auch gekonnt parodierte.
Zum letzten Mal traf ich ihn, als er Mitte 1964 seine Tochter zum Grenzübergang Bornholmer Straße begleitete. Ein scheuer Gruß, ein flüchtiger Dank – wir sahen uns nicht wieder. Vor fünfzig Jahren, am 23. August, ist er an den Folgen der in deutschen KZs erlittenen Torturen gestorben.
In dem Gedicht „1848“ (Weltbühne 11/12 von 1948) hatte er geschrieben: „Führt einmal Euren eignen Kampf zu Ende. Es lohnt!“ Das gilt bis heute.