von Dieter B. Herrmann
Schwarze Löcher – nach allem, was wir wissen – sind wahrhafte Monster. Sie gleichen dem Ungeheuer von Loch Ness. Beide hat man noch nie wirklich gesehen. Beim Loch-Ness-Phänomen dürfte das daran liegen, dass es nur ein reines Phantom ist. Die Schwarzen Löcher hingegen verbergen sich wesensbedingt. Unsichtbarkeit ist ihr Markenzeichen. Es handelt sich um extrem komprimierte Materie, die von einem derart starken Gravitationsfeld umgeben ist, dass keinerlei Information das Gebiet zu verlassen vermag.
Schwärzeres kann es sozusagen nicht geben! So kennen wir Schwarze Löcher einerseits aus der Theorie, die ja bekanntlich zunächst einmal „grau“ ist, und andererseits aus indirekten Hinweisen, die uns verraten, dass es sie offenbar doch gibt. Vor allem „Röntgen-Doppelsterne“ weisen auf ihre Existenz hin. Man beobachtet ein Objekt, das starke Röntgenstrahlen aussendet, die aber in ihrer Intensität periodisch schwanken. Daraus wird der Schluss gezogen, dass ein Schwarzes Loch und ein gewöhnlicher Stern einander umkreisen. Durch die gewaltige Gravitation des Schwarzen Loches wird jedoch ständig Materie aus dem normalen Stern in das Loch hinein gesogen, wo sie sich zunächst in einer Scheibe etabliert und dabei Röntgenstrahlung aussendet. Wenn der unfreiwillig ausgesaugte Stern vor dem ominösen Objekt vorüber rauscht, verdeckt er dieses teilweise und wir messen eine geringere Intensität der Röntgenstrahlung – in gleichen Zeitintervallen immer wieder.
Schwarze Löcher entstehen nach der etablierten Sternentwicklungstheorie, wenn Sterne nach dem Aufbrauchen ihrer nuklearen Energiereserven explodieren und danach noch mehr als 2,5 Sonnenmassen schwer sind. Dann brechen sie völlig zusammen und bilden ein extrem dichtes Objekt. Es handelt sich also bei Schwarzen Löchern um Endstadien in der Entwicklung massereicher Sterne.
Besonders interessant war aber die Entdeckung, dass es offensichtlich im Zentrum unseres Milchstraßensystems ein Schwarzes Loch gibt, das weitaus mehr als nur 2,5 Sonnenmassen auf sich vereinigt: es sind nämlich rund 4,5 Millionen!
Die Erforschung der zentralen Gebiete unseres Milchstraßensystems ist äußerst schwierig. Da wir uns mit unserer Sonne und ihren Planeten auf einem seitlichen Spiralarm am Rande des Systems befinden, etwa 25.000 Lichtjahre vom Zentrum entfernt, versperren dichte Staubwolken den Blick ins Herz der Galaxis. Von einer Milliarde Lichtteilchen (Photonen), die diesem Gebiet entströmen, erreicht uns nur ein einziges. Doch dank neuer Techniken gelingt es zunehmend, dieser Sperre ein Schnippchen zu schlagen. Besonders Beobachtungen im Bereich der Radiowellen, der Infrarot-Strahlung und der extrem kurzwelligen Röntgen- und Gamma-Strahlung gestatten uns heute, Informationen auch über die zentralen Gebiete der Galaxis zu gewinnen.
Schon in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als die ersten Radiobeobachtungen des Zentrums der Milchstraße vorlagen, vermutete der sowjetische Astronom Iosif Schklowski, dass es hier Sonderbares zu entdecken gäbe. Man hatte nämlich drei starke Radioquellen gefunden, die nach dem Sternbild Schütze, in dem sie liegen, als Sagittarius A, B und C bezeichnet wurden. Schklowski lag damals mit seiner noch wenig konkreten Prognose durchaus richtig, denn in den siebziger Jahren hat man eine weitere intensiv strahlende Radioquelle „Sagittarius A*“ (SgA*) entdeckt, die im galaktischen Zentrum inmitten eines Gebietes liegt, in dem die Sterndichte zehn Millionen mal so hoch ist, wie in der Umgebung unserer Sonne. Die dortigen Sterne bewegen sich 80 mal schneller als die zentrale Quelle selbst – ein starkes Argument dafür, dass SgA* sich tatsächlich im Zentrum befindet. Nahe liegend war jetzt der Schluss, dass die zentrale Region unserer Galaxis sich grundlegend von allen anderen im Sternsystem unterscheidet. Als dann ein neuartiges Kamerasystem für das infrarote Gebiet des Spektrums an einem der 8,2-Meter-Teleskope auf dem Cerro Paranal in Chile in Betrieb ging, bestand bald Klarheit. Einer der Sterne – nur 17 Lichtstunden von SgA* entfernt – konnte in seiner Bewegung um das Zentrum verfolgt werden.
Dabei zeigte sich: die Radioquelle befindet sich in einem der beiden Brennpunkte der Bahnellipse. Das ist ein klassischer Beweis der Himmelsmechanik, dass Sagittarius A* tatsächlich jenes massive Objekt darstellt, um das sich der Stern bewegt – in 15 Jahren einmal herum. Inzwischen sind die Bahnen vieler Sterne in der Umgebung von SgA* vermessen worden und es besteht kaum ein Zweifel, dass hier ein Objekt mit 4,5 Millionen Sonnenmassen vorliegt, ein gigantisches Schwarzes Loch im Zentrum unseres Sternsystems. Soweit, so gut.
Massive Schwarze Löcher in den Zentren von Galaxien sind inzwischen allgemeine Lehrmeinung, wobei jetzt die Frage im Zentrum der Forschung steht, wie diese Objekte entstanden sind und welche Rolle sie für die Entwicklung der Galaxien spielen. Doch bei vielen Galaxien haben die supermassiven Schwarzen Löcher im Kern außergewöhnliche Strahlungsaktivitäten zur Folge. Man spricht direkt von „aktiven Galaxienkernen“ und meint damit extrem starke Energieumsätze sowie das Vorkommen von Jets, Gasmassen, die mit hohen Geschwindigkeiten gerichtet nach außen schießen. Die Erklärung lautet: Materie der Umgebung eines zentralen Schwarzen Loches sammelt sich in Scheibenform um das Loch (Akkretionsscheibe), aber nicht die gesamte Masse gelangt bis zum Objekt, sondern entweicht mit hoher Geschwindigkeit senkrecht zur Scheibenebene in zwei entgegengesetzte Richtungen in die kosmische Umgebung.
Galaxien mit aktiven Kernen zählen zu den hellsten Objekten des Universums und können daher bis in sehr große Entfernungen hinein beobachtet werden. Von alledem ist aber im Zentrum unseres heimatlichen Sternsystems nichts festzustellen. Vielmehr geht es dort ungewöhnlich ruhig zu. Die Helligkeit in der Region um „unser“ massives Schwarzes Loch beträgt nur rund 200 Sonnenhelligkeiten. Das könnte sich aber bald ändern, meinten Forscher am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching bei München. Sie hatten nämlich nahe dem galaktischen Zentrum im Jahre 2011 eine Gaswolke mit etwa dreifacher Erdmasse gefunden, die sich direkt in Richtung auf das Schwarze Loch bewegte. Starke Gezeitenkräfte sowie die Wechselwirkung mit den Gasmassen der Umgebung sollten dafür sorgen, dass die G2 genannte Wolke zerrissen wird und dann direkt in das Schwarze Loch stürzt. Die Forscher erwarteten ein kosmisches Feuerwerk.
Neueste Meldungen lassen uns nun aber wieder den Kopf schütteln: die Sache scheint anders auszugehen. An der Europäischen Südsternwarte wird das Geschehen gleichsam in „Echtzeit“ beobachtet, ein Begriff, der nicht ganz glücklich gewählt ist, weil die Nachrichten ja stets rund 25.000 Jahre alt sind, wenn sie uns vom Zentrum der Galaxis erreichen. Doch bei diesen Beobachtungen hat sich nun gezeigt, dass die Wolke während ihrer Annäherung an das Schwarze Loch dramatisch in die Länge gezogen wurde und sich jetzt wie eine gigantische Gasspaghetti verhält. Der vordere Teil der Wolke ist bereits rund 160 Milliarden Kilometer um den Punkt der größten Annäherung verteilt, wie die Europäische Südsternwarte schon 2013 mitteilte. Die minimale Distanz beträgt 25 Milliarden Kilometer. Das entspricht etwa dem 150-fachen Abstand der Erde von der Sonne. Die Wolke dürfte daher wohl nicht in den gewaltigen kosmischen Saugnapf fallen und ihre Passage könnte sich über ein längeres Zeitintervall von vielleicht zwölf Monaten hinziehen. Der vordere Teil der Wolke hatte bereits 2013 den nächsten Punkt seiner Bahn um das Schwarze Loch hinter sich gelassen und bewegte sich schon wieder mit einer Geschwindigkeit von 10 Millionen Kilometern/Stunde auf uns zu. Doch warum ist das „kosmische Feuerwerk“ ausgeblieben? Liegt das an der Wolke selbst oder an uns noch nicht bekannten Eigenschaften des Schwarzen Loches? Einige Forscher vermuten bereits, dass starke Magnetfelder hierbei eine Rolle spielen könnten, die jene Anziehungskräfte nicht zur Wirkung kommen lassen, die eigentlich das Schicksal von Objekten wie G2 besiegeln sollten. Am Keck-Observatorium auf Hawaii wurde das Geschehen ebenfalls verfolgt. Dort kam man zu dem Ergebnis, dass es sich bei G2 vielleicht gar nicht um eine reine Gaswolke handelt, sondern diese noch einen Stern in sich birgt. Endgültiges weiß man derzeit noch nicht. Leider ist die „Post“ sehr lange unterwegs.
Schlagwörter: Dieter B. Herrmann, Galaxien, Schwarzes Loch