17. Jahrgang | Sonderausgabe | 28. Juli 2014

Die Tunisreise 1914 von Klee, Macke und Moilliet

von Klaus Hammer

Das Ereignis der legendären Tunisreise der drei Künstlerfreunde Paul Klee, August Macke und Louis Moilliet jährt sich zum hundertsten Mal. Deshalb sind im „Zentrum Paul Klee“ Bern die auf dieser Reise entstandenen oder von ihr inspirierten Werke wieder vereint gezeigt worden. Klee schuf im Laufe des zweiwöchigen Aufenthalts im April 1914 in Tunesien 30 Aquarelle und 18 Zeichnungen, Macke 33 Aquarelle und 79 Zeichnungen in drei Skizzenbüchern. Von Moilliet waren in Tunesien 3 Aquarelle und 11 Zeichnungen bekannt, weitere Werke entstanden während seiner späteren Aufenthalte in Tunesien, Marokko und Südspanien. Macke fiel im September 1914 an der Westfront in der Champagne, so dass sein künstlerischer Ertrag der Tunesienreise im Nachhinein verschiedentlich als Vollendung seines Werkes bezeichnet wurde. Für Klee blieb Tunesien bis in die frühen 1930er Jahre eine wichtige Inspirationsquelle; er hat danach noch mehr als 20 Werke geschaffen, die sich auf das Ereignis beziehen.
Wenn auch die Berner Ausstellung inzwischen zu Ende gegangen ist, so kann man den faszinierend bildnerischen „Wettstreit“, der vor allem Klee und Macke während ihrer Reise zu künstlerischen Höchstleistungen inspirierte, auch in dem Katalog in Text und Bild nachvollziehen. Ernst-Gerhard Güse leitet ihn mit einem grundlegenden Beitrag „Das Erlebnis des Orients“ ein. Er zeigt, wie die drei Tunis-Reisenden zwar in der Tradition der Orientmalerei standen, ihr aber zugleich eine eigene Wendung gaben. Bei Macke gab es schon vor der Tunisreise Orientmotive. Für Macke und Klee bedeutete dann die Tunesienreise vor allem eine Auseinandersetzung mit dem Licht, der Farbe und auch der Form. Kandinsky dagegen transportierte sein Tunis-Erlebnis von 1905 lediglich in seine bisherige Sichtweise und Farbensprache. Dagegen bot Ägypten 1914 der impressionistischen Sensibilität Max Slevogts neue Reize, er sah aber auch die Härten des Lebens am Nil. Oskar Kokoschka reiste noch 1928 nach Tunesien und Algerien, und in der Nachkriegszeit waren es vor allem Jean Dubuffet und Emil Schumacher, die sich wiederholt in Nordafrika aufhielten.
Mit dem Erlebnis der Farbe bei Macke beschäftigt sich Ursula Heiderich. Seine Bildmittel – die Transparenz der Farbe als Licht, die Struktur der Blattfläche als Fenster zu einer anderen, neuen Wirklichkeit – hatte Macke schon vor der Tunisreise ausgebildet. Im Aquarell gelangte er zu seinen reifsten und freiesten Formulierungen. Von Anfang an hatte er sich um eine Verbindung von Abstraktion und Gegenständlichkeit bemüht. Diese Tunis-Aquarelle Mackes beschreibt Erich Franz und hebt deren momenthafte Balance zwischen Spontaneität und szenisch entwickelter Einheit hervor, während Ursula Heiderich in einem weiteren Beitrag die Tunis-Zeichnungen in Mackes Skizzenbüchern untersucht.
Mit dem „kunsthistorischen Mythos“ von Paul Klees Reise nach Tunesien setzt sich Michael Baumgartner auseinander. An Klees in den Monaten vor der Tunisreise entstandenen Aquarellen wird deutlich, dass das Spektrum der bildnerischen und farblichen Möglichkeiten, das dann in Tunesien zur Entfaltung kam, bereits vor der Reise erarbeitet wurde. Er hat seine künstlerische Arbeit in Tunesien im Rückblick als folgerichtigen Entwicklungsprozess bewertet, der von der Wiedergabe des visuellen und atmosphärischen Eindrucks zur bildnerischen Reduktion und Abstraktion führte. Anna M. Schafroth behandelt Louis Moilliets Tunesienreise. Moilliet hat auf der Tunisreise 1914 zwar „nur“ drei Aquarelle gemalt, aber um 1920 schuf er Aquarelle, die zu seinen reifsten Arbeiten in dieser Technik gehören. Sie geben mit sinfonischen Farbkompositionen nicht Teile der marokkanischen Stadt wieder, sondern den Farb- und Formklang des wahrgenommenen Stadtbildes, der zu einem Echo der Realität wird. Als geglücktes Modell einer Gruppenreise beschreibt Christine Hopfengart die Tunisreise. Im Rückgriff wurde aber aus der Tunisreise noch mehr. Sie mutierte zum Stilbegriff – das „Tunis-Aquarell“. Es entstand ein ungewöhnlicher Dialog aus Anregung, Abgrenzung und individueller Selbstbehauptung. Und es kam zu einer unterschiedlichen Rollenverteilung. Schließlich geht Roger Benjamin auf die volkstümlichen maghrebinischen Blätter, Aquarelle mit Fantasiearchitekturen, ein, die Klee im April 1914 in Kairouan erworben hatte. In ihnen fand der Künstler ein wirkungsmächtiges Vorbild für viele seiner – vor allem architektonischen – Erfindungen späterer Jahre.
Aufzeichnungen Klees zur Tunisreise im Tagebuch III, Postkarten und Briefe der drei Künstler über die Tunisreise, Fotos Mackes von der Tunisreise beschließen nebst einer Chronologie der Tunisreise und einer Werkliste der ausgestellten Arbeiten den reich mit Abbildungen und Fotografien ausgestatteten Band.
Warum diese vierzehntägige Tunisreise der drei Künstlerfreunde Kunstgeschichte geschrieben hat, soll noch am Beispiel von Paul Klee wenigstens angedeutet werden. Denn dieser spürte nicht nur der Aneignung von Fremdem und dessen Verarbeitung zu Eigenem 1914 in Tunesien nach, sondern vollzog auch in deren Umkreis die Wende zur ungegenständlichen, abstrakten Malerei. Auf seiner Tunesienreise, in der Welt des Orients, hatte Klee die Farbe für sich entdeckt, und die Farbe wiederum löste ihn weitgehend vom Gegenständlichen. Er entwickelte eine ureigene künstlerische Sprache, in der die Zeichen und Symbole seiner märchenhaft spielerischen Bildwelt ihren Einzug fanden. Aus der Meditation über die Natur und die Welt entstand die Vorstellung von rhythmischen Grundstrukturen des Raumes, des Wachsens, der Statik und Schwerkraft, der Dynamik des Schwebens und Fliegens, und aus diesen Grundstrukturen wurde durch die Gestaltung unversehens wieder Natur, nicht deren Abbild, sondern deren Wesen. Die Magie einer geometrischen Ordnung wurde zum Spiegelbild kosmischer Ordnung schlechthin.
Klees prophetisches Wort von 1915, „je schrecklicher die Welt wird, desto abstrakter wird die Kunst“, ist auch deshalb so bemerkenswert, weil es Klee dann in den 1930er Jahren darum ging, die Katastrophe des ihn bedrohenden Todes und des Zusammenbruchs der Welt zu verarbeiten. Sie sollten dem Künstler wie Betrachter helfen, Leben zu lernen und damit den makabren Totentanz zu überdauern.

Die Tunisreise 1914. Paul Klee – August Macke – Louis Moilliet, Zentrum Paul Klee / Hatje Cantz Verlag, Ostfildern und Bern 2014. 335 Seiten, 29,80 Euro.