von Wolfgang Brauer
Der Herzogin von Schlesien, Jadwiga Śląska (1174-1243) ist in Berlin eine Kirche geweiht. Allerdings nicht unter dem polnischen Namen der Dame aus dem bayerischen Hause Andechs, sondern unter ihrem deutschen: Hedwig. Dafür steht St. Hedwig am – zumindest virtuell –prominentesten Ort der Stadt, dem Forum Fridericianum, genau zwischen der Staatsoper und dem noblen Hotel de Rome am Bebelplatz. Und unser großer König, eben jeder Fridericus, soll höchstderoselbst die ersten Skizzen zu diesem katholischen Gotteshaus gekritzelt haben – fertig gestellt haben es zwischen1747 und 1778 dann Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff und hautsächlich Jan Boumann der Ältere. Sowohl für die Heilige Hedwig als auch für diesen sehr römisch wirkenden Bau (das Pantheon lässt grüßen!) gab es einen Grund: Der Raub Schlesiens bescherte Majestät quasi über Nacht eine beträchtliche Zahl neuer und vor allem katholischer Untertanen. Und das mit dem Pantheon meinte der König ernst. In diesem prächtigen Kuppelbau sollte jede in Preußen vertretene Religion eine Nische bekommen. Das konnte ein gewisser Monsieur Jordan, Berater des Königs, Majestät aber ausreden. Jordan war neben bei Diakon der Französischen Kirche. Schon in vergangenen Jahrhunderten ignorierte man in Berlin gerne Interessenkollisionen. Also katholisch und prächtig und 1927 wurde man „Basilica minor“. Aufmerksamen Betrachtern wird das vatikanische Wappen am Portal auffallen. Seit 1930 ist Berlin Bischofssitz. 1994 beförderte Johannes Paul II. das Bistum zum Erzbistum mit Kardinalsberechtigung. Seit 2011 ist der ehemalige Kölner Weihbischof Rainer Maria Woelki Erzbischof. Natürlich ist er 2012 auch Kardinal geworden. Übrigens legte er auf der Grundlage des Reichskonkordates vom 20. Juli 1933 am 16. August 2011 den Treueid vor dem Berliner Senat ab. Das war damals eine rot-rote Landesregierung mit einem schwulen Regierenden Bürgermeister an der Spitze. Aber immerhin ist Klaus Wowereit Katholik.
Der war Ehrengast der Eröffnung einer Ausstellung von Ergebnissen eines Architektenwettbewerbes für den Umbau der Kathedrale aus „liturgischen Erfordernissen“ heraus. Zur Erinnerung: In der Nacht zum 2. März 1943 öffneten sich in Gestalt der Bombenschächte alliierter Bomberkommandos alle Schleusen der Apokalypse über der Kathedrale und dem sie umgebenden Stadtquartier. Wie beim Opernhaus blieben de facto nur die Außenmauern übrig. Der Wiederaufbau erfolgte von 1952 bis 1963 nach Entwürfen von Hans Schwippert. Schwippert nutzte die Chance, sozusagen ein bauliches „de profundis“ (Psalm130: „aus der Tiefe, Herr, rufe ich zu dir“ – das ist ein Aufschrei aus tiefster Not…) zu inszenieren: Er öffnete den Boden zwischen Haupt- und Unterkirche und stellte die Krypta mit ihren Ehrengräbern in unmittelbare Beziehung zur Kuppelöffnung mit dem sich über ihr wölbendem Himmel. Ein Geniestreich und ein baulicher Gedanke, der wohl jeden, der die Kathedrale das erste Mal betritt, atemlos macht.
Pompöse Festaufzüge wie im Kölner Dom sind da natürlich nicht möglich. Was Wunder, dass der Kardinal das Loch im Fußboden wieder schließen möchte. „Sichau und Walter“, Architekten aus Fulda, erfüllten am konsequentesten die Wünsche des Klerus und wurden prämiert. Die Juryvorsitzende Kaspar Kraemer verhedderte sich in seiner Begründung des Juryentscheides, der eine Referenz gegenüber Hans Schwippert sein soll: Da alle Wettbewerbsbeiträge, die die Öffnung zur Krypta offen halten wollten, „Schwipperts Raumkunst nicht gerecht“ werden würden, habe man sich für die Schließung der Decke ausgesprochen. Anders ausgedrückt – weil man einen Architekten bewundert, muss man sein Werk zerstören. Stattdessen soll ein großer, langweiliger Raum entstehen, pompös im Eindruck, in der Mitte der Altar. Im Kreis darum sitzt dann die Gemeinde. Das sieht demokratisch aus, ist aber das direkte Gegenteil. Der Erzbischof zelebriert genau unter der Himmelswölbung die Heilige Messe. Die Gemeinde umkreist ihn. Er verkörpert das Licht, vertritt den HERRN. Er ist jetzt auch physisch in das Zentrum der (katholischen) Welt gerückt. Zumindest unter der Rotunde von St. Hedwig wird auf symbolische Weise das geozentrische Weltbild wieder manifest. Die Geschichte bleibt im (fast) verschlossenen Keller. Ein bisschen Limburg in Berlin ist das alles übrigens auch. 2003 stand das Erzbistum am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Gerettet hat es nur die Solidarität aller deutschen Diözesen. Die werden sich über den Bau freuen…
Schlagwörter: Hans Schwippert, Hedwigskathedrale, Reiner Maria Woelki, Wolfgang Brauer