von Peter Clausing
Man nennt sie heute im angelsächsischen Fachjargon CAFOs – Concentrated Animal Feeding Operations. Eher banal und etwas direkter: Es geht um Mastfabriken. CAFOS nutzen, ähnlich wie andere Industriezweige, billige Arbeitskräfte und niedrige beziehungsweise nicht durchgesetzte Umweltstandards, um mit Niedrigpreisen im herrschenden Konkurrenzkampf bis zum Erreichen einer Monopolstellung profitabel zu bleiben. Das führt dazu, dass Mastfabriken bevorzugt in Regionen errichtet werden, wo zuvor die lokale Ökonomie zerstört wurde: Dort sind die Arbeitskräfte eher bereit, zu niedrigen Löhnen zu arbeiten; die zuständigen Behörden drücken im Bemühen, Investoren anzulocken, bei den Umweltauflagen gern mal ein Auge zu. Oder das betreffende Land verfügt erst gar nicht über halbwegs angemessene Regularien. Innerhalb der Europäischen Union existieren zwar diverse Umweltschutzgesetze, aber sie werden häufig verletzt – im besonderen Maß in Peripherie-Regionen. Früher war dies vor allem in den mediterranen europäischen Ländern der Fall. So fanden laut einer von Tania Borzel im Jahr 2003 veröffentlichten Studie 42 Prozent der registrierten EU-Umweltvergehen in Griechenland, Italien, Portugal und Spanien statt. Mit der EU-Osterweiterung verlagerte sich der geographische Schwerpunkt in diese Himmelsrichtung. CAFOs leisten dazu ihren Beitrag. Beispielhaft ist die „Migration“ holländischer und dänischer Schweineproduzenten, die so den strengeren Umweltgesetzen in ihren Herkunftsländern entfliehen. Zu diesen „Wirtschaftsflüchtlingen der anderen Art“ gehören der dänische Unternehmer Claus Baltersen, der sein Glück in Litauen versuchte, das dänische Konsortium Poldanor in Polen und mehrere holländische Agrarindustrielle, die vor allem in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt aktiv sind.
Bei den CAFOs gibt es allerdings eine Besonderheit, die sie von anderen Investitionen unterscheidet: In kaum einer anderen Branche dürfte der lokale Widerstand gegen Direktinvestitionen so häufig anzutreffen sein wie bei Mastfabriken. Die mit dem Angebot der „Schaffung von Arbeitsplätzen“ Beglückten erkennen sehr bald und oftmals rechtzeitig bevor es überhaupt zur Investition kommt, dass mit den wenigen entstehenden Arbeitsplätzen erhebliche Probleme für Umwelt und Gesundheit verbunden sind. Es überrascht dann kaum, dass sich die „Schaffung von Arbeitsplätzen“ zudem als Mogelpackung entpuppt. Laut Statistischem Bundesamt nahm die Zahl der in Deutschland gehaltenen Schweine von 25,6 Millionen im Jahr 2004 auf 28 Millionen im Jahr 2013 zu. Im vergleichbaren Zeitraum hat sich die Zahl der Schweine haltenden Betriebe nahezu halbiert. Auch wenn die spezifische statistische Basis eher mager ist, so dürfte dieser Konzentrationsprozess mit einem erheblichen Verlust von Arbeitsplätzen verbunden sein. Dafür spricht der kontinuierliche Rückgang der Zahl der in der Landwirtschaft insgesamt Beschäftigten und der hohe Mechanisierungsgrad der Großbetriebe. Der Widerstand gegen Schweinemastfabriken hat oft höchst praktische Ursachen. Studien belegen, dass der von ihnen ausgehende Gestank nicht nur unangenehm ist, sondern auch langfristige psychosomatische Auswirkungen hat, die sich in Angstzuständen, Depressionen und in stressbedingter Immunsuppression manifestieren. Unter Extrembedingungen, wie sie im Perote-Tal im mexikanischen Bundesstaat Veracruz herrschen, wachen die Kinder der Anrainer nachts gelegentlich mit Brechreiz auf, so dass manche Eltern mit ihnen in eine entferntere Gegend mit sauberer Luft fahren, um den Rest der Nacht auf der Ladefläche ihres Pickup-Trucks zu verbringen. Epidemiologische Untersuchungen zeigen ein häufigeres Auftreten von Atemwegserkrankungen und Asthma bei Beschäftigten in den Mastanlagen und bei Menschen, die in Nachbarschaft zu Mastfabriken leben. Diese Erkrankungen werden durch die erhöhten Konzentrationen von „Bioaerosolen“ – durch die Mastanlage emittierte Kot- und Hautpartikel – ausgelöst. Die Verunreinigung von Grundwasser, Oberflächengewässern und des Bodens sind ein seit langem bekanntes Problem. Amerikanischen Angaben zufolge verursacht ein Schwein in einer Mastfabrik bis zu fünfmal mehr Abwasser als ein Mensch in seiner Wohnung. Damit die Umwelt nicht kontaminiert wird, wäre eine gigantische Abwasserbehandlungsanlage notwendig, die umso seltener anzutreffen ist, je weiter die Anlage in der „sozialökonomischen Peripherie“ angesiedelt ist. Die Haßlebener Bürgerinitiative „Kontra Industrieschwein“ berechnete für die dort ursprünglich geplante Kapazität von 85.000 Schweinen mit 3,25 Mastdurchgängen, also über 275.000 Schlachtschweinen pro Jahr, eine jährliche Güllemenge von 190.000 Kubikmetern. Das entspricht der Menge menschlicher Exkremente in einer Stadt mit knapp 200.000 Einwohnern. Statistiken wie diese verdeutlichen, warum sich Widerstand gegen Mastfabriken relativ leicht mobilisieren lässt – zumal hier Tierschutzinitiativen als Verbündete eine wichtige Rolle spielen.
Zu den Regionen mit zuvor zerstörten lokalen Ökonomien zählen einerseits die Länder des ehemaligen sozialistischen Lagers (einschließlich der neuen Bundesländer), aber auch das vom Freihandelsabkommen NAFTA gebeutelte Mexiko und etliche strukturschwache Regionen kapitalistischer Kernländer. Im sogenannten „Black Belt”, einem hauptsächlich von Schwarzen bewohnten Gürtel des US-amerikanischen Bundesstaates North Carolina, wo früher die Produktion von Tabak und Baumwolle dominierte, stieg nach dem Preisverfall für diese Cashcrops die Zahl der dort gehaltenen Mastschweine rasant an. Im Jahr 1991 wurden dort 3,7 Millionen Schweine gemästet, gegenüber 10 Millionen im Jahr 1998 – ein Niveau, das im Großen und Ganzen auch zehn Jahre später noch vorherrschte. Ostdeutschland und die osteuropäischen Länder haben bezüglich Mastfabriken eine Vorgeschichte aus der Zeit des „real existierenden“ Sozialismus. Ausgehend von Partei-Beschlüssen der KPdSU, die sich bis in die Zeit Nikita Chruschtschows zurückverfolgen lassen, wurde im gesamten Ostblock schrittweise die „industriemäßige“ Landwirtschaft eingeführt. Schweinemastfabriken waren Teil dieser Entwicklung. Mit dem Zusammenbruch des Systems zerfiel auch die Mastindustrie. Das Ergebnis war ein sozioökonomischer Wandel von beträchtlichem Ausmaß. So wurden in Litauen 1998 nur noch 40 Prozent so viel Schweine geschlachtet wie 1991. Auf der Mikroebene stellt sich diese Veränderung noch dramatischer dar, denn weit über die Hälfte der dann noch gemästeten Schweine wurde in privaten Haushalten aufgezogen. Mit durchschnittlich 2,8 Schweinen pro Familie wurden in diesem Land in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre rund 630.000 Schweine hauptsächlich für den Eigenbedarf gehalten – ein Beispiel für die „stille Ernährungssouveränität auf dem postsowjetischen Territorium“, von der am 24. Januar 2014 auf einem Symposium in Den Haag die Rede war. Mit diesem Wandel ging eine „bedeutende Verbesserung der Umweltbedingungen“ einher, wie von einschlägigen Publikationen bescheinigt wurde. Trotzdem lagen auch 15 Jahre nach Stilllegung der Mastfabriken die Nitratkonzentrationen im Grundwasser ihrer Umgebung noch fünf- bis zehnfach über dem zulässigen Grenzwert. Die relative Aussöhnung mit der Umwelt in den ehemaligen Mast-Standort-Regionen wird seit Mitte der 1990er Jahre von den Begehrlichkeiten westlicher Schweinefleischproduzenten gestört.
Polen genoss zu Zeiten des Staatssozialismus den Ruf, dass dort die kleinbäuerlichen Strukturen weitgehend unangetastet blieben. Das trifft im Prinzip zu, aber der Westen und der Nordwesten des Landes bildeten eine Ausnahme. Hier wurden in den 1970er Jahren große staatseigene Schweinebetriebe errichtet, die sich nach dem Zusammenbruch des Systems als Übernahmeobjekte anboten. Seit 1994 traten hier vor allem zwei Akteure in Erscheinung – das dänische Konsortium Poldanor sowie der globale Marktführer, der US-amerikanische Fleischkonzern Smithfield, dessen polnische Niederlassung unter dem Namen Agri Plus firmiert. Smithfield selbst wurde Ende 2013 von dem noch größeren chinesischen Schweinefleischproduzenten Shuanghui International Holding Ltd übernommen.
Während das aus 50 dänischen Agrarunternehmern bestehende Konsortium Poldanor ab 1994 begann, still gelegte ehemalige Staatsbetriebe und Schlachthöfe zu pachten oder aufzukaufen, kaufte Agri Plus ausschließlich Schlachthöfe und versuchte, Schweine mästende polnische Bauern unter Vertrag zu nehmen. Inzwischen verkauft das auf Vermehrungszucht spezialisierte Unternehmen Poldanor pro Jahr etwa 350.000 Läufer (Jungschweine zwischen 25 und 50 Kilogramm Gewicht) an Schweinemästereien. Die in dänischem Besitz befindlichen Schlachthöfe haben mittlerweile eine Kapazität zur Verarbeitung von jährlich 1,5 Millionen Schweinen. Smithfield schuf mit dem Aufkauf und der Erweiterung vorhandener Schlachthöfe in diesem Land eine Jahreskapazität zur Verarbeitung von 3 Millionen Schweinen. Auch wenn damit noch kein landesweites Monopol erreicht ist – laut dem polnischen Amt für Statistik betrug im Jahr 2010 die landesweite Population knapp 15 Millionen Schweine – belegen die genannten Zahlen einen deutlichen Konzentrationsprozess, insbesondere angesichts der seit einiger Zeit rückläufigen Schweinebestände in den osteuropäischen Ländern.
(wird fortgesetzt)
Zuerst erschienen in Lunapark21 Heft 25 (März 2014). Leicht gekürzter Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages.
Schlagwörter: CAFOs, Fleischkonzerne, Mastfabriken, Peter Clausing