17. Jahrgang | Nummer 11 | 26. Mai 2014

Frankie B. und Van Gogh – Begegnungen in Zürich

von Margit van Ham

Auf dem Weg in den Süden machte ich Mitte der 90er Jahre eine erste, zugegeben sehr kurze Bekanntschaft mit der Schweiz. Die meiner Meinung nach gezirkelten und mit der Nagelschere gestutzten Rasenstreifen am Wegesrand, die kein Unkräutlein blicken ließen, führten zu der Ansicht, dass trotz schöner Berge die Schweiz nicht mein Ding sei. Ich mag es etwas „unordentlich“. Nun hat es das Kunsthaus Zürich mit seiner Ausstellung über Expressionismus in Deutschland und Frankreich doch geschafft, mich nach Zürich zu locken.
Der Kauf einer Touristenkarte noch im Flughafen, die kostenlosen Nahverkehr in der Stadt, Schiffstouren und Museumsbesuche versprach, führte zu einem längeren Austausch mit der Angestellten, die so herzlich für ihre Stadt schwärmte, dass ich gewärmt und voll Neugier die Straßenbahn gen Stadt bestieg. Und siehe, die Randstreifen der Straßen hatten Löwenzahn und Gänseblümchen zu bieten… Im alten Stadtzentrum brummte das Leben und durch eine schmale Querstraße schweifte der Blick plötzlich über ein rotes Stoppschild auf schneebedeckte Alpenberge. Und den Zürichsee. Ja, Zürich – das erste Willkommen war sehr beeindruckend.
Durch die Altstadt schlendernd (und eine Bank suchend – nicht vermutend, dass man in dieser Bankenstadt „suchen“ würde) stieß ich auf die Auslage eines kleinen Lädchens. Es hatte Frankie B. gehört, der wie zu lesen war, vor ein paar Monaten ziemlich jung gestorben war. Freunde erhielten die kleine Auslage des Friseurladens, so wie er sie geschaffen hatte. Er muss ein Unikum gewesen sein, der Bizarres sammelte und ausstellte. Der Sinn für Humor war unverkennbar. Frankie B. – schade, Dich nicht mehr kennenlernen zu können. Eine Karikatur hatte er ausgelegt: Obama sitzt neben einem kleinen Mädchen. Das sagt: „Mein Vater sagt, du spionierst uns aus.“ Obama: „Er ist nicht dein Vater, Kleine.“…
Im Fraumünster sind Fenster von Marc Chagall gestaltet. Andächtig sitzen Gläubige und Nichtgläubige vor dieser Pracht. Wieder in der Altstadt bummelnd grüßt auch Reformator Ulrich Zwingli. Ich finde dann ganz passend für Zürich auch den Kommerz – in Form eines kleinen Lederladens von der Art, die nicht nur Frauen schwach werden lässt. Dabei liegen die wunderbaren Taschen unsortiert wie in einem Ramschladen auf großen Haufen. Der Besitzer ist eigentlich schon Rentner, öffnet zweimal die Woche. Er erzählt in diesem kratzenden Schwyzerdütsch von seiner Arbeit im Lädchen seit über einem halben Jahrhundert. Die Miete sei durch den alten Vertrag für Schweizer Verhältnisse sehr günstig, man wolle ihn immer wieder auskaufen, aber noch wolle er nicht. 2.000 Franken koste inzwischen eine kleine Zwei- bis Drei-Raumwohnung. Schwierig für junge Leute. Er selbst verdiene gut, an diesem Tag allein habe er über 2.000 Franken Umsatz gemacht, vermerkt er stolz. Er zählt all die VIP‘s auch aus Deutschland auf, die regelmäßig bei ihm Station machen. Seine Information zum Preisniveau fand ich schon zuvor in einer Gaststätte bestätigt. Es ist eben Zürich.
Ein Ausflug auf dem See lässt die Touristenbeine ausruhen und verwöhnt mit dem Blick auf die Alpen. So ein Häuschen am See hat was, denkt man – und blickt lieber wieder auf die Alpen. Am See entlang führt ein Park, der viel Platz zum „Chillen“ für junge Leute bietet. Menschen aus 170 Ländern sollen in Zürich leben – man meint Jugendliche und Kinder aus jedem dieser Länder schlenderten im Park umher. Kinder, die ich sehe, gehören aber in der Regel zu den „Zugezogenen“.
Abends Theater. Goldonis „Diener zweier Herren“. Die Züricher haben die Komödie eine Komödie sein lassen, nicht bedeutungsschwer aufgeladen. Viel Stoff für die Schauspieler, ihrem Affen vor fröhlichem Publikum Zucker zu geben.
Das Kunsthaus wird aber die wunderbarste Begegnung mit Zürich. Es versetzt mich in einen regelrechten Rausch der Farben und Eindrücke. Die Sonderausstellung „Von Matisse zum Blauen Reiter“ – sie lief bis 11. Mai – vereint Werke deutscher und französischer Expressionisten und Fauvisten und ihrer direkten Vorgänger (Neo- und Postimpressionisten). Mit wahren Farbexplosionen hätten Künstler der „Brücke“ wie Schmidt-Rottluff, Kirchner und Pechstein und die des „Blauen Reiter“ (Kandinsky, Jawlensky, Marc, Macke…) auf die ersten Begegnungen mit Werken Van Goghs – und kurz danach mit Georges Seurat, Paul Signac, Paul Gauguin, Paul Cezanne und Henri Matisse im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts reagiert, heißt es im Informationsblatt zur Ausstellung. „Van Goghs Werke trafen die modernen Künstler wie ein Blitzschlag“, so ein Zeitzeuge. Die Ausstellung zeigt die Werke all dieser Künstler, die wohl nicht wenige Besucher euphorisch werden lässt. Unterschiedlichste Stile und Farben, aber alle geeint in der Absicht, Mut zum eigenen Ausdruck zu haben, Farben vom Gefühl bestimmen zu lassen. Die Zeit intensiver Begegnungen zwischen deutschen und französischen Künstlern, fand ihr abruptes Ende mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges. Welch ein Verlust auch in der Kunstentwicklung.
Das Kunsthaus ist berühmt für seine eigenen Sammlungen und das nicht zu Unrecht, wie ich feststelle. Es befördert mich mit den Werken des Impressionismus und Postimpressionismus geradewegs in den nächsten Schwebezustand. All die großen Namen des französischen Impressionismus sind hier versammelt – ihre Farben und Stimmungen überwältigend. Ich muss zugeben, dass ich mich bei jedem Besuch der nächsten zwei Tage immer wieder vor Van Goghs Werken finde. Wer kann wie er solche berührende Leidenschaft in eine einfache Landschaft legen. Aber es gibt mehr zu sehen und zu bewundern: Edvard Munch erwartet den Besucher, Marc Chagall, Pablo Picasso, Oskar Kokoschka, Max Beckmann und Lovis Corinth… Mein Fazit: das Kunsthaus ist einfach großartig – Stadt, Alpenblick, See und Schwyzerdütsch sind die schönen Beigaben.