17. Jahrgang | Nummer 11 | 26. Mai 2014

Ein Minderheitenvotum

von Heinz Jakubowski

Die Leserbriefspalten des neuen deutschland (nd) hinterlassen nicht selten eine gewisse Beklemmung. Anders als in der Zeitung generell dominieren hier – jedenfalls weitgehend – die Ankläger des Unrechts, das allen aufrechten Sozialisten mit dem Untergang der DDR angetan worden ist. Nun kann sich eine Zeitung ihre Leserbriefschreiber nicht aussuchen, und dass sich gerade das nd davor zu hüten versucht, hier per Eingriff oder Ignorierung zu zensieren, ist allemal nachvollziehbar. Umso erfreulicher, ja wichtiger ist deshalb ein Leserbrief zu vermelden, der sich dieser Tage auf einen Artikel von Hans-Dieter Schütt über Walter Janka bezog. Und der nicht, wie es bei der oben (zugegeben grob) skizzierten Klientel der „eigentlich Guten“ gang und gäbe ist (im nd weniger, im Rotfuchs und der jungen welt umso mehr) üblicherweise tun, Schütt nämlich ein wendehalsigen Verräter brandmarkt. Jener Hans-Dieter Schütt, der als einstiger Chefredakteur der „Jungen Welt“ in der Tat einst zu den Hardlinern des DDR-„Journalismus“ gehörte, der aber eben zu jenen wenigen zählt, die sich mit sich und ihrer einst gespielten Rolle, mit deren Motiven und Einflussfaktoren in einer solcherart schonungslosen Weise auseinandergesetzt haben, wie dies nach der Wende in diesen Kreisen nahezu solitär geblieben ist. Und im Unterschied zu seinen „der Sache treu gebliebenen“ Bespeiern hat Schütt sich zum eigenen Versagen bekannt, dies in angreifbarer Öffentlichkeit und ohne jeden Impetus, sich damit jemandem anderen andienen zu wollen als dem eigenen Gewissen, dem er und andere so lange Zeit zuwidergehandelt hatten – und zwar weil sie für den Sozialismus waren, nur eben mit dem realen in immer größere Konflikte gerieten. Das trifft für Schütt zu wie auch – wenngleich berufsbiografisch nicht deckungsgleich – für den Autor dieser Zeilen, die, wenn sie etwas nachwendig „verraten“ haben, dann den Verrat verraten haben, der vorher im Namen der „Sache“ an eben dieser Sache verübt worden ist, und an deren Verrat sie teilhatten. Eben, weil bis heute so selten, sei hier nun jener wohltuende Leserbrief zu Schütts Janka-Text wiedergegeben, trifft er doch, worauf es auch 25 Jahre nach dem Ende der DDR bei deren bis heute Getreuen eigentlich zuallererst ankäme, und ist er doch leider nach wie vor ein Minderheitenvotum: „Ich habe mir den Artikel dreimal durchgelesen, richtig ‚durchgeackert’. Zu Recht hat HDS (Hans-Dieter Schütt, d. Red.) wieder einmal am Lack dogmatischen Sozialismusglaubens mehr als gekratzt. So weh das auch den Engagierten von einst (die auch heute ihre linke Gesinnung nicht abgeworfen haben) tut – es ist nötig wie die Luft zum Atmen. Gerade am Beispiel Walter Jankas werden die Schwächen unserer, an ‚miesen Verwaltern’ gescheiterten Idee deutlich. Um die Menschen für eine dringend nötige Alternative zum gegenwärtigen Kapitalismus zu gewinnen, müssen alle alten Fehler und auch die unfassbaren Verbrechen im Namen unserer Idee benannt werden. Erst von dieser Ausgangsposition kann man überhaupt glaubwürdig die Finger auf die Wunden der uns umgebenden ach so tollen Marktwirtschaft legen. Wir müssen – so wie Schütt das scharf seziert – ans ‚Eingemachte’ gehen (‚wo das Individuum aufs Maß der Gesellschaft gebracht werden soll…’), uns mit dem Irrglauben auseinandersetzen, ‚dass soziale Güte das Freiheitsdefizit kompensiere. Es tat wieder mal gut, einen echten Schütt zu lesen.“
Dem ist nichts hinzuzufügen, außer vielleicht Tucholskys letztlich gleichlautendes Vermächtnis aus den Tagen kurz vor seinem Tod 1935 im schwedischen Exil: „Man hat eine Niederlage erlitten. Man ist verprügelt worden, wie seit langer Zeit keine Partei, die alle Trümpfe in der Hand hatte. Was ist nun zu tun -? Nun ist mit eiserner Energie Selbsteinkehr am Platze. Nun muß, auf die lächerliche Gefahr hin, daß es ausgebeutet wird, eine Selbstkritik vorgenommen werden, gegen die Schwefellauge Seifenwasser ist. Nun muß – ich auch! Ich auch! – gesagt werden: Das haben wir falsch gemacht, und das und das – und hier haben wir versagt. Und nicht nur: die anderen haben … sondern wir alle haben.“ Aber sage das einer den Rotfüchsen – wie freigelassene Zirkusbären laufen sie trotz ihrer neuen Bewegungsmöglichkeiten zumeist weiterhin am richtungsweisenden Gatter hin und her – so, wie sie es aus ihrem Käfig gewohnt waren.