von Edgar Benkwitz
Nancy Powell, seit zwei Jahren US-Botschafterin in Indien, verkündete Ende März völlig unerwartet ihren Rücktritt. Eine Begründung für diesen Schritt gab es nicht. Doch Hinweise sprechen dafür, dass die Botschafterin in Neu Delhi gewissermaßen auf verlorenem Posten stand – die indischen Partner zeigten ihr zunehmend die kalte Schulter. Etwas Schlimmeres kann einem Diplomaten kaum passieren, zumal die USA und Indien auf vielfältige Weise verbunden sind und auf ihre „strategische Partnerschaft“ großen Wert legen. Doch diese funktioniert seit Dezember des letzten Jahres nicht mehr so recht, indischerseits wird von einer ernsten Vertrauenskrise gesprochen.
Auslöser dafür war die ominöse Verhaftung und entwürdigende Behandlung der indischen Diplomatin Devyani Khobragade in New York Anfang Dezember 2013. Schon damals war klar, dass die US-Botschaft in Neu Delhi dabei eine wichtige Rolle spielte, denn kurz vor der Verhaftung der Diplomatin wurde die Familie ihrer indischen Hausangestellten – die bei den Anschuldigungen gegen Khobragade die zentrale Rolle spielt – in einer Nacht-und Nebel-Aktion aus Delhi ausgeflogen. Botschafterin Powell soll damals eingeschätzt haben, dass mit einer ernsthaften indischen Reaktion nicht zu rechnen sei, da das Land sich im Wahlkampf befinde.
Doch genau das Gegenteil trat ein, und in den folgenden Wochen fielen die Handlungen der US-Dienststellen wie ein Bumerang auf die USA zurück. Die indische Regierung warf den USA eine Verletzung des Völkerrechts vor und verlangte neben einer Entschuldigung eine Rücknahme der Anschuldigungen gegen ihre Diplomatin. Da das nicht geschah, wurden wichtige bilaterale Maßnahmen ausgesetzt, ein hochrangiger US-Diplomat aus Delhi ausgewiesen sowie eine Vielzahl von einseitig gewährten Privilegien für US-Diplomaten gestrichen.
Die Auswirkungen sind über den diplomatischen Bereich weit hinaus zu spüren. So ergaben beispielsweise jüngst durchgeführte Steuerprüfungen für amerikanische nichtdiplomatische Einrichtungen beträchtliche Steuer- und Visavergehen. Nach Angaben der New York Times arbeitet etwa ein Viertel der Lehrkräfte an der renommierten amerikanischen Botschaftsschule in Neu Delhi quasi illegal. Das sind meist Ehefrauen von Botschaftsangehörigen, die zwecks Steuervermeidung in ihren Visaanträgen keine Beschäftigung angegeben hatten. Mittlerweile sollen bereits 20 derartige Lehrkräfte Indien verlassen haben.
Die indische Presse berichtet, dass die US-Botschaft bei der Aufklärung der Verstöße ihrer Mitarbeiter gegen indisches Recht wenig Entgegenkommen zeigt. Ob das nun der bisherigen Botschafterin anzurechnen ist, sei dahingestellt. Auf alle Fälle ist die erfahrene Diplomatin nun in die Rolle eines Sündenbocks geraten. Nicht nur von indischer, auch von amerikanischer Seite gibt es Kritik und Vorwürfe. So wird ihr vorgehalten, dass sie sehr spät den Kontakt zu Narendra Modi, Ministerpräsident des Unionsstaates Gujarat und aussichtsreichster Kandidat für das Amt des Premierministers bei den zurzeit stattfindenden Parlamentswahlen suchte. Sie traf ihn erstmalig vor wenigen Wochen, als er schon längst für das wichtigste Amt in Indien gehandelt wurde. Doch für die Botschafterin war das ein Spagat, weil Modi in den USA offiziell noch als persona non grata gilt und eine 2005 gegen ihn verhängte Einreisesperre noch nicht aufgehoben ist. Indische Gerichte haben Modi zwar von einer Mitschuld bei den antimuslimischen Massakern in Gujarat vor zwölf Jahren entlastet, die einflussreiche Menschenrechtslobby in den USA akzeptiert das aber nicht. Nun hängt der Vorwurf in der Luft, dass Nancy Powell diese Lobby bedient und gesamtnationale Interessen zurückgestellt habe. Das bestätigt indirekt das Wall Street Journal mit der Bemerkung, dass die Botschafterin während ihrer gesamten Amtszeit ein „frostiges Verhältnis“ zu Modi und seiner Partei gehabt habe.
Der vorzeitige Abzug eines Botschafters bietet immer die Möglichkeit, von einem Neuanfang in den bilateralen Beziehungen zu sprechen. Offensichtlich wollen die USA nun mit der Ernennung eines neuen Botschafters mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Sollten sich Gerüchte bestätigen, ist Rajiv Shah als neuer Mann für Neu Delhi vorgesehen. Er ist ethnisch ein Inder, seine Eltern sind in den 1960er Jahren aus Gujarat in die USA eingewandert – also aus dem Teil Indiens, woher der wohl künftige Premierminister stammt. Und Rajiv Shah, obwohl erst 41 Jahre, bringt zudem große Erfahrungen auf den Gebieten Landwirtschaft und Gesundheitswesen mit. Er ist ausgebildeter Mediziner und hatte leitende Positionen in der Bill & Melinda Gates Foundation und im US-Landwirtschaftsministerium inne. Seit 2010 ist er Chef der einflussreichen, aber auch anrüchigen USAID, der US-Agentur für internationale Entwicklung.
Aber ob diese Personalie die stotternden Beziehungen zwischen den beiden großen Staaten tatsächlich wieder richtig flott machen kann, ist anzuzweifeln. Zu viele Probleme haben sich angesammelt, die sich zu einem großen Teil aus der unterschiedlichen Interessenlage des aufstrebenden Schwellenlandes und der imperialen Großmacht ergeben. Indien ist längst zu eigenständig geworden und verfolgt prinzipiell nationale Interessen. Das zeigt nicht zuletzt seine wohlwollende Haltung gegenüber Russland in der Krim-Krise.
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