von Birgit Svensson
Das Internet wird die Welt verändern, sagten Analytiker voraus, als das elektronische Medium Mitte der neunziger Jahre für die breite Öffentlichkeit an den Start ging. Es begann eine Revolution, der Eintritt in ein neues Zeitalter. Die Vorhersage hat sich längst bewahrheitet. Die Vernetzung ist nahezu grenzenlos und geht bis in die hintersten Winkel unserer Erde. Selbst in der Wüste Ägyptens, wo Mönche ein mittelalterlich gottergebenes Dasein frönen, klingelt ab und an ein Blackberry in der Tasche der Mönchskutte und übermittelt eine Nachricht von Schweizer Brüdern, die den ersten Schnee des Jahres verkünden.
Kommunizieren über Kontinente hinweg ohne Fax und Telefon ist zum Alltag geworden. Dramatisch hat das Internet die bisherige Medienlandschaft auf den Kopf gestellt. Vom Zeitungssterben ist allenthalben die Rede. Zeitungen sind nicht mehr dazu da, Nachrichten zu verbreiten, sondern Geschichten zu erzählen, Analysen und Hintergründe aufzuzeigen. Der klassische angelsächsische Journalismus, der die bloßen Fakten in den Vordergrund stellt, ist tot. Nachrichten erhält man heutzutage via App aufs Handy, im Internet oder durch Autoradio und Fernsehen. Um zu wissen, was in der Welt geschieht, braucht man keine Zeitung mehr. Selbst Mitarbeiter von Nachrichtenagenturen erhalten morgens bei Dienstantritt alle nur erdenklichen zusammengestellten News aus dem Netz. Akribisch nach Ländern geordnet werden sämtliche sozialen Medien wie Facebook, Twitter, Blogs und YouTube ausgewertet und das Allerneueste der letzten Stunden zusammengetragen. Die Übermittler von Nachrichten sind keine Journalisten, sondern Herr und Frau Jedermann. Was Fritz in Castrop-Rauxel bei einem Autounfall kurz vor Mitternacht beobachtet hat, findet ebenso Eingang in die Nachrichtenübersicht wie die Verabredung der Revolutionäre Mohammed und Ahmed zur Großdemo in Kairo oder die Geburt von zwei weißen Zwillingskamelen in Neuseeland, die Judy ins Netz gestellt hat. Schon gibt es eine erste deutsche Tageszeitung, die ohne Journalisten produziert wird. Synergieeffekte, Zentralisierung, Konzentration auf die Kernbereiche nennt sich dieses betriebswirtschaftliche Projekt ohne Inhalte. Geldsparen ist wichtiger als kritischer und unabhängiger Journalismus.
Die Zeitungen schaffen sich selbst ab. Dabei sind gerade im Zeitalter der grenzenlosen Beliebigkeit und Fülle von Informationen Journalisten notwendiger denn je. Nichts kann die Recherche vor Ort ersetzen und die Einordnung, die diese mit sich bringt. Es ist die Erfahrung und Professionalität von Journalisten, die verschiedene Quellen zusammenführen und daraus Schlüsse ziehen. Es ist die Fülle von Kontakten, die ein Gesamtbild erlaubt. Auch wenn der Reporter vor Ort in dem Moment nur ein Spotlight dessen sieht, was wirklich geschieht, so hat er doch die Hintergründe im Blick. Der Mikrokosmos eines Dorfes oder eines Stadtviertels lässt Rückschlüsse auf das große Ganze zu. Keine Internetrecherche kann dies leisten. Die Stille vor der Explosion einer Bombe in Bagdad, das Anwachsen der Spannung bei den Demonstrationen in Kairo, die Angst in den Gesichtern der Bewohner von Damaskus kann nur der nachvollziehen, der sich mittendrin befindet, der mitleidet, mitfühlt und trotzdem eine gewisse Distanz zu dem Geschehen bewahrt. Das ist der Spagat, den professionelle Journalisten vor Ort täglich leisten: den Austritt aus der Beliebigkeit.
In Syrien wird dies derzeit besonders deutlich. Aufgrund der Sicherheitslage in dem Bürgerkriegsland sind direkte Recherchen oft zu gefährlich oder schlicht unmöglich. Kommt der Reporter auf Seiten der Rebellen ins Land, ist ihm der Weg zu den Regierungstruppen versperrt und umgekehrt. Nur wenige Medien wollen es sich leisten, beide Seiten abzudecken. Ein Zerrbild der Wirklichkeit ist die Folge. Zwar wird die Öffentlichkeit auch hier überschwemmt mit Handy-Videos, Posts und Tweets, aber verifizieren lassen sich diese Botschaften der so genannten „Bürgerjournalisten“ kaum. Wer ihnen Authentizität bescheinigt, begibt sich auf unseriöses Terrain. Bilder aus Homs, die die Brutalität der Regierungstruppen gegenüber Zivilisten beweisen sollen, stellen sich im Nachhinein zuweilen als im Irak gedreht heraus. Straßenszenen in Damaskus werden nachgestellt, im Film gezeigte Tote verüben Tage später quicklebendig blutige Anschläge. Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst und das Internet hilft dabei kräftig mit.
Wer die Technik beherrscht, kann alles manipulieren: Fotos retuschieren, Montagen herstellen, Filmsequenzen fälschen. Doch die Fehler im Netz zu korrigieren, ist äußerst schwierig. Das Internet hat keine Randspalte wie die Zeitung, auf der unten rechts die „Anmerkungen der Redaktion“ Korrektur verheißen. So hatte kürzlich Michail Gorbatschow erhebliche Mühe, seinen im Netz verbreiteten Tod zu dementieren. In Windeseile hatten unzählige Medien die Falschmeldung aufgegriffen und verbreiteten die Kunde vom Ableben des ehemaligen russischen Präsidenten in alle Welt. Der kritiklosen Gläubigkeit der IT- Nachrichten sitzen jedoch nicht nur Yellow Press und Krawallblätter auf, weil sie keine Leute vor Ort haben, die die Angaben auf ihre Richtigkeit überprüfen. Auch seriöse Medien mit bis dato hohem journalistischem Anspruch meinen, immer mehr auf Rechercheure vor Ort verzichten zu können und übernehmen, was ihnen das Internet vorkaut. Um einen Hauch von Seriosität zu bewahren, wird erwähnt, dass „die Richtigkeit der Angaben nicht zuverlässig überprüft“ werden könne. Tatsächlich ist dies aber eine Bankrotterklärung an den Qualitätsjournalismus und eine willkommene Ausrede sich aus der Verantwortung zu stehlen. Natürlich ist es bequemer, am Schreibtisch zu sitzen und die Welt per Internet in die Redaktionsstube zu holen, als sich draußen abzuducken, wenn Steine fliegen oder eine Bombe explodiert. Kostengünstiger ist es allemal. Wer jahrelang vor Ort recherchiert und um eine authentische Berichterstattung bemüht war, fühlt sich derzeit mehr als Fossil als auf der Höhe der Zeit. Doch die Hoffnung bleibt, dass sich auf kurz oder lang Qualität durchsetzen wird – auch und vor allem im Internet.
Die Autorin lebt und arbeitet seit vielen Jahren als freie Journalistin im Nahen und Mittleren Osten.
Schlagwörter: Birgit Svensson, Internet, Qualitätsjournalismus