von Claus-Dieter König, Dakar
Nun ist Mali aus den Schlagzeilen verschwunden. Ein neuer Alltag hat sich eingestellt. Ist es Frieden, den die französischen Truppen durch ihre Intervention gebracht haben und der nun durch sie und die MINUSMA (Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali) gesichert wird? Ist die Bevölkerung, die zu hunderttausenden geflüchtet war, nun sicher? Militäroperationen werden oft unhistorisch betrachtet. Ein dringender Handlungszwang scheint vorhanden und wird medial inszeniert. Wie es soweit kam, und wie es danach weitergeht, diese Fragen verschwinden hinter der wahrgenommenen akuten Alternativlosigkeit des militärischen Eingriffs. Heute sehen wir im Norden Malis: es gibt keinen Frieden und keine Sicherheit.
Der Blick auf die Region Kidal, die kleine Region im Nordosten des Landes in der als einziger die Tuareg (Kel Tamashek) die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen, offenbart, wie gering die Fähigkeiten von Militärs sind – wie auch immer zusammengesetzt – Frieden oder auch nur Sicherheit zu gewähren. Frankreich intervenierte vor gut einem Jahr in Mali, um den Vormarsch jihadistischer Truppen in den Süden des Landes aufzuhalten. Nach Kidal kamen die französischen Truppen nicht allein. Mit ihnen kam die MNLA (Nationale Bewegung zur Befreiung des Azawad) zurück nach Mali und vor allem in die Region Kidal. Die MNLA ist diejenige Miliz, die mit ihrer Offensive im Januar 2012 die Machtübernahme separatistischer und jihadistischer Milizen im Norden des Landes eingeleitet hatte. Während die verschiedenen Milizen den Norden kontrollierten, wurde die MNLA zum großen Verlierer. Von den anderen vornehmlich jihadistischen Milizen besiegt und verdrängt, befanden sich ihre letzten Elemente im Ausland. Erst durch die Unterstützung Frankreichs im Rahmen ihrer Intervention konnte sich die MNLA reorganisieren und ist heute ein unumgehbarer Faktor bei den Verhandlungen um eine langfristige Lösung für den Norden.
Warum die Zusammenarbeit Frankreichs mit der MNLA? Unklar ist, wie eng diese schon vor 2012 war. Es scheint aber sicher, dass Frankreich zumindest wohlwollend den Aufstieg der MNLA als Gegenmacht gegen jihadistische Kräfte und vor allem AQMI (al-Qaida des Islamischen Maghreb) beobachtet und möglicherweise unterstützt hat. Im Vorfeld der französischen Intervention wurde die Zusammenarbeit wegen der Ortskenntnis der MNLA gesucht.
In Kidal sind neben der französischen Interventionsarmee, der malischen Armee, der Miliz der MNLA zudem Truppen der MINUSMA als bewaffnete Einheiten vor Ort. Ihre Aufgabe ist es, „Übergriffe der Armee auf die Tuareg und Menschenrechtsverletzungen zu verhindern“, was sie vor allem durch die Begleitung der malischen Polizei, Gendarmerie und Armee bei ihren Streifen und Patrouillen sowie der Dokumentation ihrer Handlungen mittels Fotos und Berichten erreichen will. Zusammen mit den französischen Truppen kontrolliert die MINUSMA die malische Armee, die insbesondere in der Region Kidal kein Recht hat, sich ohne Beobachtung durch die ausländischen Truppen zu bewegen. MINUSMA, wie jede militärische Einheit, die sich irgendwo in der Welt stationiert, baut mit immensen Mitteln eine militärische Infrastruktur und die Versorgung ihrer Einheiten auf. Der Norden Malis leidet ohnehin schon stark unter Versorgungsengpässen durch Vertreibungen und die Kriegsfolgen wie die Verringerung der landwirtschaftlichen Produktion und der Niedergang des Fernhandels. Diese werden durch die hohe und zahlungskräftige Nachfrage, die MINUSMA ins Land bringt, noch verschärft und führen zu Knappheit und einer Steigerung der Lebenshaltungskosten.
Die MNLA führt in den Städten provozierende Überfälle durch, zieht sich dann aber wieder in ihre Basen, in der Stadt Kidal sind das vor allem die ehemalige Gendarmerie und das Gymnasium, zurück. Doch hier übt sie keine Macht aus. Anders sieht das hingegen auf dem Land aus. Weder die französischen Truppen noch die MINUSMA können sich ohne größeres Risiko weit aus den Städten heraus bewegen. Sie beschränken sich in der Region auf die Städte Kidal, Tessalit und Aguel Hoc. Die MNLA und andere bewaffnete Gruppen können deswegen außerhalb der Städte relativ frei walten und insbesondere die nomadische Bevölkerung lebt so unter der ständigen Bedrohung von Angriffen und Raubüberfällen.
Wir sehen heute auch in Mali: die Intervention Frankreichs, insbesondere ihre Zusammenarbeit mit der MNLA im Rahmen der Intervention, sind eine schwere Hypothek für die Suche nach einer Konfliktlösung auf dem Verhandlungsweg.
Die Strategie der Regierung für eine Stabilisierung des Nordens besteht neben den Verhandlungen mit den bewaffneten Gruppen aus drei Elementen. Erstens soll in ganz Mali die Verwaltung weiter dezentralisiert werden. Das heißt auch, dass den Kommunen mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden. Wenngleich sich dadurch die Möglichkeit einer größeren Partizipation der Bevölkerung an den öffentlichen Angelegenheiten verwirklichen lässt, ist dieses Herangehen doch voller Risiken. Die Auseinandersetzung um die zunehmenden Mittel in der kommunalen Verwaltung kann latente Konflikte hervortreten lassen und erneut Anlass zu Gewalt bieten. Bislang wurde im Norden selten frei und geheim gewählt. Häufig handelte man unter den verschiedenen Mächtigen, die nicht selten bewaffnete Milizen hinter sich haben, das Wahlergebnis aus und verteilte die staatlichen Mittel. Dies ist ein Grund dafür, dass öffentliche Güter und die Infrastruktur so schlecht ausgebaut sind, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen nicht ausreichen.
Wenn der Staat nicht durch die Versorgung mit öffentlichen Gütern präsent ist. Strom, Wasser, Bildung und Gesundheitsversorgung fehlen, und sogar die öffentliche Ordnung entweder nicht hergestellt ist oder in den Händen lokaler Milizen liegt – das war die Situation vor der Krise –, dann ist hat der Staat keine Legitimität in den Augen der Bevölkerung. Dann ist es unbedeutend für den Alltag, ob man sich nun als Teil Malis oder als Teil des ‚Azawad‘ versteht. Insofern hat die Krise im Norden Malis auch damit zu tun, dass der Staat seit der Kolonialzeit kaum Faktor für die gesellschaftliche Entwicklung im Norden war.
Als zweites Element veranstaltete die Regierung Ende 2013 zwei große Konferenzen. Eine zur Dezentralisierung und die andere als Nationale Versöhnungskonferenz. Sie versucht, Legitimität zu gewinnen und vor allem die Macht der bewaffneten Gruppen am Verhandlungstisch zu verringern. Eine durchaus nachvollziehbare Strategie, denn die Milizen, mit denen die Regierung sich zwangsläufig am Verhandlungstisch befindet, sind kaum in der Bevölkerung verankert und keineswegs deren legitime Vertreter. Ihre Eintrittskarte zu den Verhandlungen ist die Gewalt, die sie ausgeübt haben und die sie weiterhin bereit sind, auszuüben.
Das dritte Element der Regierungsstrategie ist altbekannt. Aus den Milizen wichtige Führungspersonen durch Klientelismus und attraktive Posten an sich zu binden. Einige von ihnen wurden auf dem Ticket der Regierungspartei RpM (Bewegung für Mali) nun in die Nationalversammlung gewählt. Dies ist die gescheiterte Strategie des 2012 nach dem Putsch zurückgetretenen Präsidenten Amadou Toumani Touré. Sie kann nur vorübergehende Waffenruhen gewährleisten, trägt in sich aber den Kern neuer Verteilungskonflikte.
An Verhandlungen mit den bewaffneten Gruppen und vor allem der MNLA kommt die Regierung nicht vorbei. Sie sind im Juni 2013 in Ouagadougou vereinbart worden. Weil Frankreich die MNLA als bewaffnete separatistische Organisation wieder in eine Position der Macht im Norden und insbesondere der Region Kidal befördert hat, ist die Verhandlungsmacht zivilgesellschaftlicher und friedlicher Vertreter der Tuareg gesunken. Die MNLA hat bereits bewiesen, dass sie auf einen für sie nicht befriedigenden Verhandlungsverlauf bereit ist, mit Wiederaufnahme und Intensivierung der Gewalt zu reagieren. Im September 2013 verließ sie die Verhandlungen und übte in dieser Zeit mehrere Gewaltakte aus. Die durch Frankreich erzwungene zentrale Rolle für die MNLA erweist sich so als schwere Hypothek. Sollte die MNLA eine Form der Autonomie aushandeln können, werden Bevölkerungsgruppen, die nicht Tuareg sind, wie die der Bellah und Peulh unter Diskriminierung zu leiden haben.
Sicherheit gewährleisten die militärischen Einheiten unterschiedlichster Herkunft nicht. Die französische Intervention verhindert eine wirkliche Zukunftsperspektive. Die Regierung in Bamako ist geschwächt, denn zu Verhandlungen unter Beteiligung des Auslösers der Krise, der MNLA, gibt es keine Alternative, solange Frankreich die MNLA unterstützt. Die von der MNLA geforderte Autonomie wird aber wahrscheinlich nur solche Lösungen ermöglichen, die wie frühere Verträge und Vereinbarungen mit den diversen Milizen des Nordens neue Instabilitäten und Konflikte verursachen werden.
Weitere Beiträge zum Thema Militärinterventionen erschienen in den Ausgaben 3/2014, 4/2014 und 5/2014.
Schlagwörter: Autonomie, Claus-Dieter König, Frankreich, Mali, MNLA