von Mathias Iven
Sommer 1919: „Grundstück 1, Monks House, Rodmell. Ein altmodisches Haus inmitten von dreiviertel Acre Land bezugsbereit zu verkaufen.“ – Als Leonard Woolf das Plakat mit diesem Text an der Mauer des Auktionshauses in Lewes entdeckte, entfuhr ihm die spontane Bemerkung: „Das wäre genau das Richtige für uns gewesen“. Denn gerade erst hatten die Woolfs, die seit fast einem Jahrzehnt neben ihren wechselnden Londoner Wohnungen immer auch einen Zweitwohnsitz im südenglischen Sussex unterhielten, eine umgebaute, auf der westlichen Ummauerung von Lewes Castle stehende Windmühle erworben. Was sollten sie tun?
Virginia Woolf ergriff die Initiative, fuhr auf ihrem Fahrrad nach Rodmell und besichtigte das angebotene Objekt. Das Haus war nicht unterkellert, die Zimmer waren winzig, die Küche in einem ausgesprochen schlechten Zustand. Es gab weder ein Badezimmer noch heißes Wasser. Berechtigte Einwände, die es abzuwägen galt. „[D]och mussten“, so hielt es Virginia Woolf in ihrem Tagebuch fest, „auch sie schließlich einem tiefen Wohlgefallen an der Größe & Form & Fruchtbarkeit & Wildheit des Gartens weichen.“ Es waren die unendlichen Mengen von Obstbäumen, die zwischen Kohlköpfen sprießenden Blumen, die Erbsen, Artischocken, Kartoffeln und Himbeerbüsche, die auch Leonard Woolf sofort in ihren Bann zogen. „Es gefiel ihm mehr, als er je erwartet hätte. Er hat“ – und diese Feststellung seiner Frau sollte sich in den kommenden Jahrzehnten bewahrheiten – „wahrlich die Veranlagung zu einem fanatischen Liebhaber dieses Gartens.“
Erstmals widmet sich jetzt ein Buch einzig und allein diesem Garten. Fast zeitgleich erschien in Großbritannien und in Deutschland der prächtig gestaltete Band von Caroline Zoob. Gemeinsam mit ihrem Mann bewohnte sie zwischen 2000 und 2011 Monk’s House und kümmerte sich um Haus und Garten. Geschrieben mit einer Leidenschaft und Sachkenntnis, die die Lebensumstände der Woolfs im Blick hat und das Auge des Interessierten auf jedes noch so kleine Detail des Gartens lenkt, ist dieses Buch ein Muss für alle Woolf-Begeisterten und die Freunde der englischen Gartenkunst.
Aufgegliedert in sechs Teile findet sich am Anfang ein Abriss zu der Zeit zwischen dem Einzug am 1. September 1919 bis hin zum Ende der Zwanziger Jahre. Der daran anschließende, fast die Hälfte des Buches umfassende dritte Teil beschreibt in aller Ausführlichkeit die einzelnen Gartenräume in ihrer Entwicklung. Zoob stützt sich dabei immer wieder auf Selbstäußerungen der Woolfs und hat wohl alles an betreffenden Zitaten dazu versammelt – warum bei deren Wiedergabe nicht auf die vorhandenen Übersetzungen zurückgegriffen wurde, sei dahingestellt. Farbenprächtig illustriert wird das Ganze durch zahlreiche Pflanzpläne und die Photos der Interior- und Lifestyle-Fotografin Caroline Arber.
Das vierte Kapitel setzt 1938, kurz vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges ein. Als im Herbst 1940 die Londoner Wohnung der Woolfs durch Bomben zerstört wurde, blieb ihnen nur noch Monk’s House. – Nach dem Freitod von Virginia, im März 1941, wohnte Leonard Woolf noch 28 Jahre zurückgezogen in Monk’s House. Er kümmerte sich um die Angelegenheiten von Hogarth Press, dem 1917 gegründeten Verlag der Woolfs, arbeitete im Garten und wirkte als Schatzmeister und Präsident der von ihm 1941 gegründeten Rodmell and District Horticultural Society. Zu Beginn der fünfziger Jahre begann er, seine Autobiographie zu schreiben, deren fünfter und abschließender Band 1969, in seinem Todesjahr, erschien.
Seit 1980 wird Monk’s House durch den National Trust verwaltet. Die englische Denkmalpflegeorganisation sorgte für die Wiederherstellung des früheren Zustandes von Haus und Garten und machte das Gesamtensemble 1982 der Öffentlichkeit zugänglich.
Bei dem abseits der Hauptstraße, am äußersten Rand von Rodmell gelegenen Grundstück kam für die Woolfs alles zusammen: Es war ruhig und eröffnete bei seiner Größe unendliche Gestaltungsmöglichkeiten. Zugleich suggerierte es mit seiner Weitläufigkeit einen nahtlosen Übergang in die freie Natur. Bereits unmittelbar nach dem Einzug wurde die Gestaltung des Gartens in Angriff genommen. Die Woolfs pflanzten „auf gut Glück, beflügelt von der Sprache der Samenhändler“. Für Virginia Woolf war die Gartenarbeit eine körperlich notwendige Abwechslung. Wenn sie den ganzen Tag Unkraut gejätet oder die Beete bestellt hatte, befand sie sich am Abend „in einer eigentümlichen Art von Begeisterung, die [sie] dazu brachte zu sagen, das ist das Glück“. Ein Glück, das gleichermaßen Inspiration für ihr schriftstellerisches Werk war.
Virginia Woolfs Freundin Vita Sackville-West, die in den dreißiger Jahren mit der Anlage ihres gleichfalls berühmt gewordenen Gartens im nahe gelegenen Sissinghurst beginnen sollte, versuchte immer wieder – wenn auch ohne großen Erfolg –, Einfluss auf die Gestaltung des Gartens von Monk’s House zu nehmen. In erster Linie stand sie Leonards gärtnerischer Umtriebigkeit skeptisch gegenüber. Sein Anspruch, „Versailles auf tausend Quadratmetern Sussex zu verwirklichen“, war zum Scheitern verurteilt. Doch darum ging es auch nicht. Anders als in Sissinghurst entwickelte sich der Garten von Monk’s House über die Jahrzehnte hinweg zu einem „natürlich“ gewachsenen Kunstwerk – und gerade das macht bis heute seinen Reiz aus.
Caroline Zoob (Text) / Caroline Arber (Photos): Der Garten der Virginia Woolf. Inspirationsquelle einer engagierten Schriftstellerin, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2013, 192 Seiten, 29,99 Euro.
Schlagwörter: Mathias Iven, Virginia Woolf