von Reinhard Wengierek
„Ich freue mich diebisch, in einer Diebskomödie mit meiner Familie zu sein.“ Tatsächlich, Katharina Thalbach hat es mal wieder geschafft, ein tolles Ding zu drehen. Und sich damit ihr wohl denkbar größtes Geschenk zum 60. Geburtstag gleich selbst (wie auch an uns) geliefert – nämlich in dem Gerhart-Hauptmann-Doppel „Roter Hahn im Biberpelz“ zusammen mit ihrer Tochter Anna und der Enkelin Nellie sowie ihrem Halbbruder Pierre Besson in ihrer Heimatstadt Berlin auf der Bühne zu stehen. – „Muss ich nicht über eine Feier nachdenken.“
Ihr zweiter Halbbruder, Philippe Besson, der steht nicht „vor den Leuten“, sondern führt Regie. Und hat gemeinsam mit Jörg Liedtke die beiden Hauptmann-Stücke „Der Biberpelz. Eine Diebskomödie“ (erstmals 1893 am Deutschen Theater) sowie „Der rote Hahn. Eine Tragikomödie“ (erstmals 1901 auch am DT) eingekürzt auf 120 Minuten und zusammengebunden zur „Uraufführung“. Eine Idee übrigens, der seinerzeit schon der von der Thalbach – und wohl allen Thalbachs und Bessons – verehrte Bertolt Brecht am Berliner Ensemble nachhing, ohne sie allerdings je verwirklichen zu können; die Hauptmann-Erben waren dagegen.
So hatte also die Komödie am Kurfürstendamm Ende Januar just an Katharina der Großen 60. Geburtstag sensationellen Premieren-Auftrieb (ARD, ZDF, Lokal-TV, Feuerwerk auf dem Kudamm). Mit der Jubilarin im Mittelpunkt in einer Paraderolle für Komödianten im klassisch deutschen Repertoire: Als Mutter Wolff, der gewieften, nach etwas Aufstieg aus ihrem ärmlich randberlinerischen Milieu gierenden kleinen Waschfrau mit der großen kriminellen Energie.
Klar, unsere begnadete Komödiantin ist hinreißend. „Aber auf der Bühne spielt es keine Rolle, dass ich die Mutter, Großmutter, Schwester bin, da bin ich die Kathi, fertig.“ Also mimt sie nicht etwa die krachende Rampensau, sondern lässt dem klasse Ensemble feinfühlig reichlich Luft zu bemerkenswert starkem Mitspiel.
Wer es womöglich immer noch nicht weiß: Katharina Thalbach ist die Tochter der BE-Schauspielerin Sabine Thalbach und des damals am BE sein Regiehandwerk lernenden Regisseurs Benno Besson, der aus der Schweiz wegen Brecht nach Ostberlin kam und dort schwer berühmt wurde, dann aber die verdammte DDR-Bevormundung links liegen ließ und zurück ging, woher er kam. Die Mutter von Pierre Besson übrigens ist die bedeutende Berliner Schauspielerin Ursula Karusseit.
Als Kathis Mutter frühzeitig verstarb, hörte die zwölfjährige Kathi nach diesem schweren Schlag einfach auf zu wachsen; es blieb bei 155 Zentimetern. Fortan nahm sich die BE-Prinzipalin Helene Weigel dem früh schon Hochbegabung zeigenden Kind mütterlich an und gab ihm alsbald an ihrem Haus einen Ausbildungsvertrag als Elevin. Später ging Kathi an die damals, lange vor Frank Castorf, schon einmal höchst innovative Berliner Volksbühne zu Manfred Karge und Matthias Langhoff; hinzu kamen zahlreiche Filmrollen (etwa als Goethes Schwiegertochter Ottilie neben Lilli Palmer und Jutta Hoffmann in Egon Günthers Defa-Klassiker „Lotte in Weimar“).
Nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns ging sie 1976 aus Protest in den Westen, zusammen mit ihrem Lebenspartner, dem großen, in der DDR verfemten Dichter Thomas Brasch. Durch ihre psychologisch präzise, dabei hintergründig dialektische Spielweise, mithin ihre enorm wirkungsmächtige Bühnenpräsenz und nicht zuletzt durch ihre so unverwechselbare, schwarz-samtige Stimme begeisterte sie an vielen großen Häusern sowie in zahlreichen Filmproduktionen. Alsbald war sie auch „drüben“ ein mit Preisen überhäufter Star. Und mit ihrer unprätentiösen Art sowie ihrer hoch-, fein- oder auch deftig-komödiantischen, gern auch clownesken Spielwut ist sie ein ausgemachter Publikumsliebling (man denke an ihren „Alten Fritz“ 2011 in der TV-Doku über Friedrich den Großen oder an ihre Kanzlerin Merkel in der Politsatire „Der Minister“ von 2013 oder an die „Hanni und Nanni“-Filme).
Ja, die Kathi, viele sagen: unsere Kathi, die ist eine echte Volksschauspielerin, eine klassisch Berlinische, also in großer Tradition stehend. Obendrein ist sie amtierende Bouletten-Königin, ihre Fleischklößchen-Bratkünste sind legendär. Das alles rührt sie sehr, macht sie ungeniert stolz, besonders das mit den Bouletten…
Bereits in den 1980er Jahren begann die Thalbach Regie zu führen (von den wunderbaren Hörbüchern und Film-Synchronisationen nicht zu reden). Ihr Regie-Debüt in der Schiller-Theater-Werkstatt mit Shakespeares „Macbeth“ in der genialen Übersetzung von Thomas Brasch schlug ein wie Donnerhall. Ihre weithin unvergessliche Nummer aber war 1996 am Gorki-Theater Berlin die Inszenierung von Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“. Und weil Superstar Harald Juhnke krankheitshalber ausfiel, übernahm die Regisseurin selbst sagenhafte 90 Mal die Titelrolle des naiv-durchtriebenen Schusters Wilhelm Voigt.
Zum Schluss noch eine Anmerkung zur Hauptmännerei: „Der Biberpelz“ ist das weitaus stärkere Stück gegenüber dem aus guten Gründen selten gespielten „Roten Hahn“; im Zusammenschluss fällt da die Spannung deutlich ab. Immerhin aber gab der dem Regisseur Gelegenheit für ein sehr besonderes Finale: Mutter Wolff, verbittert und geschüttelt von heftigen Gewissensbissen ob ihrer rücksichtslosen Gangsterei, stirbt als komische kleine Tragödin, derweil die Thalbach-Enkelin in der Rolle eines elend behinderten Armeleutekinds strahlend ein Lied anstimmt. Es ist Brechts „Kinderhymne“, deren Zeilen als (dann „von oben“ abgelehnter) Text für die von Hanns Eisler komponierte neue deutsche Nationalhymne gedacht war, der aber auch passt auf die alte Haydn-Melodie. Ein Verfremdungseffekt mit einem Gruß an Brecht. Für alle ein bewegender Schlussmoment. Und ein Herzensmoment der Umjubelten:
Anmut sparet nicht noch Mühe,
Leidenschaft nicht noch Verstand,
dass ein gutes Deutschland blühe,
wie ein andres gutes Land […]
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