von Alfons Markuske
Von ihm stammt die wahrscheinlich kürzeste Definition für die ureigene Musik der Gitanos, der spanischen Roma: „Der Flamenco ist – atmen.“
Ihn live zu erleben, den Großmeister dieser Musik und zugleich einen ihrer maßgeblichsten Revolutionierer, war mir nur ein einziges Mal vergönnt. Im Berliner Tempodrom, das mit seiner modernistischen Architektur so überhaupt nicht zu dieser in ihrer Ursprungsform archaischen Musik passt. Doch als der Saal ins Dunkel getaucht war und er die Saiten anschlug, da waren nur noch die Klänge, deren Rhythmen und Zauber Körper und Geist elektrisieren…
Paco de Lucía, der eigentlich Francisco Sánchez Gómez hieß, geboren am 21. Dezember 1947, stammte aus der Hafenstadt Algeciras in Andalusien. Dieser Teil Spaniens wird gemeinhin die Heimat des Flamenco genannt. Seinen Spitznamen Paco ergänzten die Jungen auf der Straße durch den Namen seiner Mutter Lucía, um ihn von den zahllosen anderen Pacos zu unterscheiden. Sein Vater war sein erster Gitarrenlehrer, mit zwölf Jahren stand er das erste Mal auf einer Bühne in seiner Heimatstadt. Sein internationaler Durchbruch war 1973 der Hit „Entre dos Aguas“, eine Rumba. Es folgte eine beispiellose Künstlerkarriere, die ihn im „Ranking“ der großen internationalen Gitarristen an die Spitze führte.
Es soll Menschen geben, die vom Feuer und der Seele des Flamenco nicht angerührt werden, die ihn für überemotionalisierten Folklorekitsch halten oder ihn nur im kommerziell aquarellierten, leicht eingängigen Stil der Gipsy Kings kennen. Wer den Test machen will, ob Flamenco zu ihm durchdringt, ihm unter die Haut geht, der höre sich eines der frühen Solo-Alben von Paco de Lucía an – etwa „La fabulosa guitarra de Paco de Lucía“ von 1967 – oder besser noch eines aus dessen langjähriger Zusammenarbeit mit Camarón de la Isla, der als Cantaor, als Flamencosänger, mit seiner Stimme der kongeniale Partner für de Lucías Gitarre war. Beide spielten zwölf Alben ein – „El Duende Flamenco“ von 1972 und „Fuente y Caudal“ von 1973 sind zwei davon.
Beide Künstler kamen vom klassischen Flamenco, den sie pflegten und zu dem sie immer wieder auch zurückkehrten, aber sie waren keine bloßen konservativen Bewahrer. Sie experimentierten – mit neuen Instrumenten, anderen Rhythmen, ungewöhnlichen Interpretationen. Dafür kam der Begriff Flamenco Nuevo auf, und der wurde zum Transmissionsriemen, der den Flamenco, neu wie klassisch, aus den kleinen südspanischen Flamencolokalen, den Tablaos, erst in andere Regionen Spaniens, dann über die Landesgrenzen hinaus und schließlich global, bis in die großen Konzertsäle der Metropolen, popularisierte. Gleichwohl betonte Paco de Lucía – vor allem an die Adresse jener, die ihm vorwarfen, die von ihm angestoßenen Modernisierungen könnten das Wesen des Flamenco zerstören –, stets, dass er zu jenen Flamenco-Puristen gehöre, die dessen Wesen verteidigten: „[…] ich respektiere dieses Wesen, das Alte, das Gültige des Flamenco.“ Zugleich beharrte er auf seiner künstlerischen Eigenständigkeit: „Was mir […] fehlt, ist der Gehorsam der Puristen.“
Paco de Lucía wurde weltweit zum Inbegriff des Flamenco, wozu nicht zuletzt seine Mitwirkung an und in Carlos Sauras‘ Tanzfilm „Carmen“ von 1983, dem „Mittelteil“ von Sauras Flamenco-Trilogie, beitrug.
Er öffnete sich aber auch ganz anderen Musikrichtungen. Dem Jazz zum Beispiel, und was für Sphärenklänge entstehen können, wenn man den mit Flamenco-Elementen kombiniert – natürlich mit ebenbürtigen Partnern – das ist auf einem Jahrhundertalbum zu hören: dem Live-Mitschnitt des legendären Konzerts „Friday Night in San Francisco“ von 1981, zusammen mit Al Di Meola und John McLaughlin. Zwei Millionen Mal verkauft. Auch von Amiga.
Ein nicht minderer Meister war de Lucía auf der Konzertgitarre. Seine Interpretation des „Concierto de Aranjuez“ von Joaquín Rodrigo mit dem Orquesta de Cadaques unter der Leitung von Edmon Colomer von 1991 legt davon Zeugnis ab.
Paco de Lucía ist am 26. Februar in Cancún, Mexiko, wo er seit Jahren lebte, einem Herzinfarkt erlegen – beim Spielen mit seinen Kindern am Strand.
Schlagwörter: Alfons Markuske, Flamenco, Gitarre, Paco de Lucía