von Hartmut Pätzke
Otto Dix (1891-1969), Maler und Graphiker, zählt zu den bedeutenden deutschen bildenden Künstlern des 20. Jahrhunderts. Auch nach der Bildung zweier deutscher Staaten blieb er Dresden treu. Er besaß bis 1962 gemeinsam mit Ernst Bursche (1907-1989) in der Kesselsdorfer Straße ein Atelier und ließ seine Lithographien in Dresden drucken. Das wurde auch, vor allem durch freundschaftliche Verbindungen mit Dresdner Malern und Graphikern, die er nicht aufgeben wollte, gefördert. Bis 1966 besucht er die Elbmetropole mindestens einmal jährlich für mehrere Wochen. Dix wird 1955 Mitglied der Akademie der Künste in Berlin (-West) und 1956 korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie der Künste (der DDR). Politische Bekenntnisse gab er bewusst nicht ab. In Dresden hatte er in Fritz Löffler (1899-1988) seinen Biographen, dessen „Otto Dix. Leben und Werk“ seit 1960 sechs aktualisierte Auflagen erlebt hat und der auch das in Recklinghausen 1981 erschienene Oeuvre der Gemälde erarbeitet hat. Bereits 1947 ist in einem Brief die Verbindung zu Otto Conzelmann (1909-1992) in Stuttgart dokumentiert, in dem Dix die Französische Militärregierung bittet, diesem „einen Interzonenpaß zu bewilligen, da er mit wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt ist und zu diesem Zweck unbedingt die Bilder in meinem Dresdener Atelier sehen muß.“ 85 Briefe von Dix beleuchten bis 1967 die produktive Gemeinsamkeit mit diesem anderen wichtigen Interpreten seines Werkes und Biographen, dem die bereits 1959 in Hannover erschienene „Dix“-Monographie und weitere Veröffentlichungen zu verdanken sind. Dix hatte vom Wert seiner Kunst eine hohe Meinung. So erhöhte er den Verkaufspreis des großen Kriegstryptichons, das die Staatlichen Kunstsammlungen erwarben, seit 1956 bis zum Verkauf 1968 von 50.000 DM auf 500.000 DM.
Erstmals erlauben die Briefe, die von 1904 bis in sein Todesjahr reichen, einen guten Einblick sowohl in sein privates Leben als auch in seine vielfältigen Beziehungen. Herausgeberin Ulrike Lorenz und Gudrun Schmidt, Bearbeiterin der Briefe, der Biografie und des Personenverzeichnisses, haben sich in getrennten Beiträgen zu „Dein Otto, Ihr Dix – ein Künstlerleben in Briefen“ und „Zur Edition“ geäußert. Zugunsten einer rein chronologischen Wiedergabe der Briefe bildeten sie vier Gruppen: Briefe an Martha und die Familie (zirka 570), an Freunde, Sammler und Persönlichkeiten (nahezu 600), an den Kunsthandel (118), an Institutionen (zirka 140). In die erste Bilanz gelangten gut 1.500 Briefe und Karten. Gudrun Schmidt nennt „weit über 2.000 Briefe“, die veröffentlicht werden könnten. Aus der Zahl von 600 Briefen an Fritz Löffler sind zirka 140 Briefe seit 1948 ausgewählt worden. Es fehlen sowohl die Dix-Briefe an seine Dresdner „Zweitfamilie“, an Käthe König (1902-1981) und an die gemeinsame Tochter Katharina König (geboren 1939), als auch eine Reihe Briefe an den Kunsthistoriker Hans Kinkel (geboren 1929). Faksimilierte oder in Ausschnitten handschriftlich wiedergegebene Briefe des Malers und Graphikers zeigen eine schwer zu lesende Handschrift. Sowohl die Briefe an die Familie als auch an andere Personen sind oft mit Zeichnungen versehen. Mitunter ist für einzelne Worte angemerkt: nicht entzifferbar. Doch scheint mir in einigen Fällen Buchstabentreue nicht gewahrt zu sein. Dix schreibt, grafisch, woraus in der Transkription graphisch wird. Groß- und Kleinschreibungen erscheinen mir mitunter unzulässig verändert zu sein, manchmal fehlt ein Wort.
Den umfangreichsten Teil nehmen die Briefe und Karten an die Familie ein, über 350 Seiten. Die frühesten Mitteilungen enthalten Karten an seinen Vater Franz Dix (1862-1942) und an seine Eltern, Franz und Louise Dix (1863-1953) von 1904. Seine Briefe aus Dresden an seine Frau Martha (seit 1921), wahre Liebesbriefe in der ersten Zeit unterzeichnet er mit „Dein Toy“, dann mit „Dein Jim“ oder „Dein Jimmy“, auch mit „Dein Jimroy“. Die Briefe kommen weiterhin aus Dresden, zwischendurch einmal aus Düsseldorf, weitere Orte sind ab 1923 Breslau, Münster, Berlin, Erfurt, Gera, Elberfeld. Seine Kinder bedenkt er, besonders wenn er auf Reisen ist, mit Briefen. Nelly, (1923-1955), die Erstgeborene , bezieht er von Anbeginn in seine Briefe an Martha ein. 1927 teilt er aus Berlin mit: „Wir haben ein Brüderchen bekommen.“ Ursus (1927-2002) folgt Jan (geboren1928). In den meisten Briefen stehen Familiäres und Materielles nebeneinander. Auch die Familie Hans Koch (1881-1952), der nach der Scheidung 1923 von Martha deren Schwester Maria Elisabeth (1890-1969) geheiratet hat und ihren Sohn Martin (1917-2010) und die Tochter Hana (1920-2006) in der Ehe übernimmt, hat Familienstatus. Die Briefe an Martha enden kurz nach seinem letzten Arbeitsbesuch in Dresden im August 1966. Sie hat ihre Briefe an Dix vernichtet.
Unter den Briefen an Freunde sind die an Hans Bretschneider (1892-1915), den er als seinen „einzigen wahren Freund“ bezeichnet, recht persönliche Bekenntnisse: „Kunst ist eben nur für Künstler.“ Adressatin Miriam Britzel (1920) ist die Malerin und Graphikerin Marianne Britze (1883-1980) in Bautzen. Franz Lenk (1898-1968) wird in den Nazijahren zu seinem Vertrauten, die Radierungen des Kriegs-Zyklus und dessen Zeichnungen versteckt er vor dem Zugriff der Nazis. Mit ihm war Dix seit 1915 bekannt. Mit George Grosz (1893-1959), Kurt Günther (1893-1955) und vor allem mit Ernst Bursche (1907-1989) korrespondierte er. An ihn sind von 1941 bis 1944, vor allem aus Hemmenhofen, 23 Briefe gerichtet. Seit Herbst 1946 schreibt Dix wieder an Bursche. Bis zum Februar 1961 sind es 61 Briefe. Bursche fungiert auch als Brief- und Nachrichtenträger zu seiner „Zweitfamilie“.
Den Briefen beigegeben ist in der Regel der Aufbewahrungsort, auch Literaturhinweise und hilfreiche weiterführende Angaben. Es wäre so manches hinzuzufügen, einige Dinge zu korrigieren: Der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands wurde am 4. Juli 1945 in Berlin gegründet, im August wurde Johannes R. Becher (1891-1958) sein erster Präsident. Der Sonntag war eine kulturpolitische Wochenzeitung.
Das Personenverzeichnis ersetzt keineswegs ein Register, das Gehalt und Inhalt der Briefe am besten erschließen würde. Nicht allein auf den Adressaten wäre zu achten, wichtig sind in der Regel auch Namen, die in den Dix-Briefen erwähnt werden. Mehrere Register wären denkbar. Ein Personenregister, ein Ortsregister und ein Werkregister. Das Personenverzeichnis entschädigt keineswegs, da es weder die Daten oder Seitenzahlen der Briefe an die Adressaten wiedergibt, noch nur entfernt alle Namen verzeichnet, darunter so wichtige wie Erhard Frommhold (1928-2007), Diether Schmidt (1930-2012), Werner Schmidt (1930-2010), noch von dem Verleger, Galeristen und Maler Detlev Rosenbach in Hannover weiß. Eine ganze Reihe Flüchtigkeiten, wie das Geburtsjahr von Josef Hegenbarth (1884), wären zu korrigieren.
Gudrun Schmidt deutet an, wie schwierig es ist, die Briefe sicher zu datieren. Zugleich meint sie, dass die Kenntnis der Briefe dazu beitragen könnte, ein neues Werkverzeichnis der Gemälde mit sichereren Datierungen versehen zu können.
Ulrike Lorenz (Herausgeberin): Otto Dix. Briefe, Wienand Verlag, Köln 2013, 1024 Seiten, 49,80 Euro.
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