von F.-B. Habel
Nur wenige Tage vor Eröffnung der 64. Internationalen Filmfestspiele Berlin – kurz Berlinale genannt – fällte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein Urteil, das über Wohl und Wehe des deutschen Films entschied. Das Filmfördergesetz, das die Vielfalt des deutschen Films sicherstellen soll, war auf Antrag kommerzieller Fernsehsender auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüft worden. Die fälschlicherweise auch „die Privaten“ genannten Medienmogule sträubten sich dagegen, regelmäßige Abgaben in den Filmförderfonds einzubringen. Karlsruhe hat nun die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes bestätigt. „Das Urteil ist ein Befreiungsschlag für das deutsche Kino“, hieß es in einer Stellungnahme des Verbandes der deutschen Filmkritik (VdFk). „Solidarität ist gerade in Kulturfragen ein wichtiger Maßstab. Es kann nicht sein, dass sich wenige reiche und mächtige Unternehmen aus der Solidargemeinschaft des Kinos verabschieden.“
Andernfalls wäre es zu harten Einschnitten in der Förderpraxis gekommen. Viele Filme würden ohne eine ausreichende Vorfinanzierung gar nicht entstehen. Und den meisten der wenigen Filme, die von mutigen Produzenten frei produziert werden, sieht man leider an, dass sie unterfinanziert sind. Hinzu kommt, dass man mit Förderungen ausländische Großproduktionen ins Land holen kann, die die einheimische Filmwirtschaft ankurbeln.
Allerdings ist diese Praxis umstritten. Darum mahnte der VdFk auch eine stärkere kulturelle Ausrichtung des Gesetzes an: „Die kulturelle Qualität und der künstlerische Erfolg der Filme sind ein wichtigerer Maßstab, als kurzfristige wirtschaftliche Rendite. Zudem müssen kulturelle und wirtschaftliche Filmförderung transparenter voneinander unterschieden werden.“ Die Allianz Deutscher Produzenten erwartet, dass in der Novelle des Filmförderungsgesetzes auch die Telekommunikationsunternehmen, die durch die Verbreitung von Filmen gutes Geld verdienen, zu Abgaben herangezogen werden, um den deutschen Film zu stärken.
In diesem Jahr traten im Wettbewerb der Berlinale vier rein deutsche Filme an, die jedoch von der Kritik kontrovers aufgenommen wurden. Während Dominik Grafs überlanger biografischer Schiller-Film „Die geliebten Schwestern“ von vielen als zu oberflächlich abgetan wurde, meinten andere, man werde sich Schiller in Zukunft nicht mehr anders vorstellen können, als Florian Stetter ihn spielte. Bei Edward Bergers Berliner Odyssee „Jack“ wurde ebenfalls vor allem der junge Hauptdarsteller gelobt und angemerkt, der Film habe wohl eher in die Sektion „Generation“ gepasst. Gelinden Unwillen erregte Feo Aladags Kriegsfilm „Zwischen Welten“, der die zweifellos problematische Situation deutscher Soldaten im afghanischen Krisengebiet sehr einseitig schildert. Möglicherweise haben auch Fernsehanstalten als Co-Produzenten glättenden Einfluss gehabt.
Religiöser Fundamentalismus in seiner christlichen Ausprägung ist das Thema des Psychodramas „Kreuzweg“, für das die Geschwister Anna und Dietrich Brüggemann mit einem Silbernen Bären für das beste Drehbuch ausgezeichnet wurden. Erzählt wird von einer 14jährigen, die in einer an die Pius-Bruderschaft erinnernden Gemeinschaft einer Gehirnwäsche unterzogen wird. „Wer Kindern in diesem Alter erzählt, ein höheres Wesen könne in jeden Winkel seines Herzens hineinsehen und dort Sünden ausfindig machen, missbraucht sie seelisch.“ Dieser Feststellung von Anna Brüggemann ist nichts hinzuzufügen.
Das publizistische Jammern, dass dies der einzige deutsche Film sei, der einen Bären gewann, ignoriert den Film „Grand Budapest Hotel“ des Amerikaners Wes Anderson. Die internationale Produktion entstand fast ausschließlich in Deutschland, und besonders die Schönheiten von Görlitz sind immer wieder zu bewundern. Gerade das 1913 eröffnete, als Karstadt-, HO-, Centrum- und Hertie-Kaufhaus bekannte Warenhaus, das einzige, das im Jugendstil erhalten ist, strahlt – in eine Hotel-Lobby verwandelt – in schöner Pracht. Anderson hat sich von der bitter-melancholischen Atmosphäre in Stefan Zweigs Novellen inspirieren lassen und doch einen recht heiteren Hotel-Film über ein Stück europäischer Geschichte gedreht – immer in wohlgebauten Einstellungen. Neben Ralph Fiennes in der Hauptrolle ist besonders die Maskenbildnerin von Tilda Swinton hervorzuheben. Sie verwandelte die 53jährige überzeugend in eine 87jährige, nachdem Angela Lansbury, die dieses Alter tatsächlich schon erreicht hat, absagen musste, da sie als „Miss Daisy“ auf großer Tournee war. Auch Florian Lukas spielte in grauen Szenen dieses bunten Films mit, denn er gab neben Harvey Keitel und Karl Markovics einen Sträfling im Zittauer Knast.
Viel Rummel wurde um einen anderen internationalen Film gemacht, der vor allem in Babelsberg und Sachsen-Anhalt entstand. Für „The Monuments Men“ begleitete ein großes Staraufgebot Regisseur George Clooney an den Marlene-Dietrich-Platz. Erzählt wird auf Grundlage wahrer Erlebnisse von einer US-Einheit, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs deutsche Kunstwerke vor der Vernichtung retten soll. Da stimmen so manche historische Zusammenhänge nicht, aber wirklich perfide ist der Film, wenn er aus den sowjetischen Soldaten (damals immerhin noch Verbündete der Amerikaner) kulturlose Barbaren macht, denen die Kunstwerke auf keinen Fall in die Hände fallen dürfen. Dabei wirkte der amerikanisch-deutsche Streifen passagenweise wie ein Remake des deutsch-sowjetischen Films „Fünf Tage – fünf Nächte“, den Lew Arnstam 1960 bei der DEFA drehte. Das geht bis hin zu der Figur der Kunstwissenschaftlerin, die den Soldaten hilft. Seinerzeit wurde sie von Marga Legal gespielt, diesmal von Cate Blanchett. Aber während Arnstams Film, der von der Rettung der Werke der Dresdner Gemäldegalerie erzählt, Dmitri Schostakowitschs erstklassige Filmmusik zu bieten hat, wartete Alexandre Desplat zu Recht vergebens auf eine Oscar-Nominierung für seine 08/15-Untermalung. Eine Freude sind hingegen die Kopien vieler Meisterwerke, die Michael Lenz, der sein Handwerk in der DEFA-Malerwerkstatt lernte, für die „Monuments Men“ schuf. Dafür fehlt sein Name im Abspann.
Der Brasilianer Karim Aïnouz lebte 2004 mit einem Stipendium in Berlin. Er muss die Stadt als sehr grau empfunden haben, denn er stellte im Wettbewerb seine brasilianisch-deutsche Koproduktion „Praia do Futuro“ (Strand der Zukunft) vor, in der er von einem deutschen Touristen (Clemens Schick) erzählt, der sich in den brasilianischen Rettungsschwimmer (Wagner Moura) verliebt, nachdem er ihn aus dem Wasser geholt hat. Als beide zusammen nach Berlin gehen, fühlt sich der Brasilianer hier einsam. Die Geschichte ist vorhersehbar, aber Aïnouz erzählt sie in anstrengenden Zeitsprüngen, nach denen sich der Zuschauer selbst zusammenreimen muss, was sich unterdessen zugetragen hat. Im Wettbewerb hatte der Film keine Chance.
In der Panorama-Sektion gab es ein Pendant zu diesem Film. Als deutsch-ungarische Koproduktion inszenierte Ádám Császi „Viharsarok“ (Land der Winde). Zu Beginn meint man, einen Kommentar zum aktuellen Outing von Fußballspielern zu sehen. Szábi spielt bei einer deutschen Mannschaft, aber er scheint zu weich, nicht draufgängerisch genug. Nach einem verlorenen Spiel kehrt er in seine Heimat zurück. Er will vom Fußball, zu dem ihn sein Vater drängte, lassen und sich eine Existenz als Imker auf dem Dorf aufbauen. Der Steinmetzlehrling Áron hilft ihm, und beide kommen sich näher, als ihnen lieb sein kann. Die Dorfbewohner sind religiös geprägt. Als Szábis Berliner Sportsfreund ankommt, setzt ein Widerstreit der Gefühle ein, der nichts Gutes verheißt. Császi setzte seinen ersten langen Film sensibel in eindringlichen Bildern in Szene, wirkte aber in der Handlungsführung noch unsicher.
Während der Berlinale wurde Angela Merkels langjähriger Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) zum neuen Präsidenten der Filmförderanstalt gewählt. Schon in seiner vorigen Funktion hat er sich für mehr Kultur im Film eingesetzt, wenn auch manchmal etwas halbherzig. Man darf gespannt sein, wie er seinen neuen Einfluss geltend macht.
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